![Bild: "Nicolas Maduro, Diktator von Venezuela" © Luisarismendi1 | Dreamstime.com [Royalty Free] - Dreamstime Nicolas Maduro, unter ihm stürzte Venezuela in die tiefste Krise seiner jüngeren Geschichte Bild: "Nicolas Maduro, Diktator von Venezuela" © Luisarismendi1 | Dreamstime.com [Royalty Free] - Dreamstime](https://www.fluchtgrund.de/files/2023/09/dreamstime_m_129452583-713x472.jpg)
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Venezuela – Politikversagen & internationaler Druck treiben Millionen in die Flucht
Von fast nirgendwo auf der Welt fliehen so viele Menschen wie aus Venezuela, trotzdem hört man in Europa nur wenig über die humanitäre Katastrophe im Land. Ein ganzes Viertel der Bevölkerung ist weg, sieben von 28 Millionen Venezolanern sind aus ihrem Land geflohen, die Meisten in angrenzende südamerikanische Staaten. Dabei hat Venezuela eigentlich beste Voraussetzungen – es besitzt immerhin die größten bestätigten Öl-Reserven der Welt. Noch vor zehn Jahren galt es als reichstes Land Südamerikas und investierte Milliarden in Sozial- und Bildungsprogramme. 1) UNO Flüchtlingshilfe: Nothilfe für Flüchtlinge aus Venezuela; stand 11.08.2023 2)Bloomberg Television: Special Report: Inside Venezuela; vom 20.08.2021 3) Bundeszentrale für politische Bildung: Kriege und Konflikte – Venezuela; vom 01.10.2020
Heute hingegen ist der Staat geradezu verwahrlost, 75 Prozent der Bevölkerung leben in extremer Armut, 80 Prozent können sich nicht ausreichend Lebensmittel leisten. Die Inflation war zwischenzeitlich mit den schlimmsten Zeiten der Weimarer Republik zu vergleichen und zwischen 2014 und 2020 hat sich 80 Prozent der Wirtschaftsleistung schlicht in Luft aufgelöst. 4) Bundeszentrale für politische Bildung: Kriege und Konflikte – Venezuela; vom 01.10.2020 5)El País: Venezuelan economy seeks growth, while stuck between political crisis and „Chevron effect“; vom 10.07.2023 6) UNO Flüchtlingshilfe: Nothilfe für Flüchtlinge aus Venezuela; stand 11.08.2023
Um diese Entwicklung zu verstehen, lohnt sich einen Blick auf die politische Entwicklung der Jahrtausendwende. 1998 gewann der junge und charismatische General Hugo Chávez die Präsidentschaftswahl, ein Soziallist, der versprach, die immensen Reichtümer des Landes endlich gerecht zu verteilen. In wenigen Jahren verstaatlichte er weite Teile der Öl-Industrie und baute mit den Milliarden Schulen und Sozialwohnungen. Millionen wurden erstmals aus der Armut gehoben und hatten über Gemeinderäte und Arbeiterkollektive noch nie dagewesene Gestaltungsmöglichkeiten. Der Öl-Preis war hoch, so war immer genug Geld für die ausladenden Programme der Regierung vorhanden. Und wenn nicht, dann wurde es sich eben geliehen. 7) Bundeszentrale für politische Bildung: Kriege und Konflikte – Venezuela; vom 01.10.2020 8) Al Jazeera: From riches to rags: Venezuela’s economic crisis; vom 14.02.2018 9)Vox: The collapse of Venezuela, explained; vom 25.08.2017 10)The Next System Project: Social Programs in Venezuela Under the chavista Goverments; vom 07.08.2017 11)Deutschlandfunk: Der Chavismus und die Folgen; vom 06.03.2003 12) Council of foreign Relations: Venezuela: The Rise and Fall of a Petrostate; vom 10.03.2023
Doch Chávez Herrschaft brachte nicht nur Positives. Im „Sozialismus des 21. Jahrhunderts“ entwickelte sich Venezuela zunehmend zum Ein-Mann-Staat, das Militär übernahm mehr und mehr staatstragende Funktionen und der Raum für kritische Stimmen und Opposition wurde immer enger. Auch die Nationalisierung der Öl-Produktion verlief nicht reibungslos. Zwar konnte Venezuela so Milliarden einnehmen – im Prozess wurden aber auch tausende erfahrene Mitarbeiter gegen teils unqualifizierte Parteisympathisanten ausgetauscht. Die Vergesellschaftungswelle in den 2000ern tat ein Übriges, um ausländische Inverstoren abzuschrecken und das Rückgrat des heimischen Privatsektors zu brechen. Die Folge: Nepotismus und Korruption griffen um sich, die Öl-Produktion bewegte sich in einem stetigen Abwärtstrend und die heimische Industrie kam zum Erliegen. Chávez schuf ein Wirtschafts-System, das sich allein durch Erdöl und Schulden finanzierte – alles andere wurde importiert. Auch zu besten Zeiten litt Venezuelas Energie-Branche dabei an der niedrigen Qualität des heimischen Roh-Öls und der fehlenden Technik zur Raffinierung im eigenen Land – So blieb der staatliche Ölkonzern immer abhängig vom Ausland und musste seine Ware weit unter dem möglichen Verkaufswert vertreiben.13) Arte: Venezuela: Der See und das Öl; vom 31.01.202314) Al Jazeera: From riches to rags: Venezuela’s economic crisis; vom 14.02.201815) Bundeszentrale für politische Bildung: Kriege und Konflikte – Venezuela; vom 01.10.2020 16)Süddeutsche Zeitung: Die Schlieren der Gier; vom 07.09.202317) Council of foreign Relations: Venezuela: The Rise and Fall of a Petrostate; vom 10.03.2023
Bis zu Chávez Tod 2013 funktionierte dieses System – Für seinen Nachfolger, den ebenfalls autoritären Nicolás Maduro, tat es das nicht mehr. Maduro erbte ein Land, das zur Gänze am seidenen Faden des Öl-Preises hing, ganze 96 Prozent der kritischen Exporteinnahmen speisten sich aus dem Energiesektor. 2015 passierte dann das absehbare Desaster: Innerhalb eines Jahres halbierte sich der Preis pro Barrel auf knapp über 50 Dollar. Das Land konnte nicht mehr für seine weitreichenden Importe zahlen, Versorgungsengpässe für alles zwischen Aspirin und Weizen wurden Alltag. Die venezolanische Währung, der Bolívar, stürzte in eine fatale Abwärtsspirale und verteuerte jegliche Importe noch weiter. Die Regierung reagierte, indem sie Daten über die Inflation zensierte und die Gelddruckmaschinen anwarf – ein sicherer Weg in die Katastrophe.18) Council of foreign Relations: Venezuela: The Rise and Fall of a Petrostate; vom 10.03.202319)Forbes: The path To Hyperinflation: What Happend To Venezuela?; vom 07.08.201820)Statista: Average annual Brent crude oil price from1976 to 2023; stand 12.09.202321) Al Jazeera: From riches to rags: Venezuela’s economic crisis; vom 14.02.201822) Bundeszentrale für politische Bildung: Kriege und Konflikte – Venezuela; vom 01.10.2020
Weiter verschärft wurde die Situation durch die brutale Reaktion Maduros auf die anhaltende Protestwelle gegen seine desolate Regierungsführung. Hunderte wurden aus politischen Motiven festgenommen, Amnesty International spricht von Folter und Hinrichtungen durch die Polizei. Einen Höhepunkt erreichte die Opposition, als sie 2015 eine Mehrheit im Parlament erringen konnte – nur damit Maduro es kurzer Hand entmachtete. Die Präsidentschaftswahl 2018 war danach derart offensichtlich gefälscht, dass die Demonstrationen wieder aufflammten und die internationale Gemeinschaft eine ganze Reihe an Sanktionen gegen das Land verhängte.23) Bundeszentrale für politische Bildung: Kriege und Konflikte – Venezuela; vom 01.10.202024)Amnesty International: Venezuela 2022;vom 28.03.202325)Vox: The collapse of Venezuela, explained; vom 25.08.2017
Unter der Führung der Trump Administration wurden damals weitgehende Strafmaßnahmen gegen die Öl- und Finanzindustrie des Landes beschlossen. Die USA hörten effektiv auf, Rohöl aus Venezuela zu beziehen, schlossen venezolanische Banken von internationalen Transaktionssystemen aus und froren bitter benötigte Devisenreserven ein. Auch die EU schloss sich einigen Sanktionen gegen die Regierung an. So gibt es seit 2017 ein Waffenembargo und Beschränkungen für Parteifunktionäre, die in die Niederschlagung der Aufstände verwickelt waren. Die Politik der USA ist dabei durchaus kritisch zu betrachten – Das erklärte Ziel eines Rücktritts der Maduro Regierung konnten die Sanktionen bis heute nicht erreichen. Stattdessen verschlechterten sie die Lage der Zivilbevölkerung weiter und zementierten die Versorgungsengpässe, die für Millionen Venezolaner Unterernährung und Hoffnungslosigkeit bedeuten.26) Bundeszentrale für politische Bildung: Kriege und Konflikte – Venezuela; vom 01.10.202027)Council on Foreign Relations: Do U.S. Sanctions on Venezuela Work?; vom 04.11.202228)Deutsche Welle: Die lange Liste der Sanktionen gegen Venezuela; vom 17.02.201929)Reuters: Washington drafts proposal for Venezuela’s oil sanction easing; vom 24.08.2023
Die Abwärtsspirale der bolivarischen Republik beschleunigte sich von da aus nur noch. Die Wirtschaftsleistung implodierte, die Inflationsrate lag zwischenzeitlich bei 65 000 Prozent und die Öl-Produktion viel auf ein Zehntel der Neunziger Jahre. Gewalt und Vetternwirtschaft griffen um sich – Transparency International schätzt das Land heute als viert korruptestes der Welt ein. Während der Staat mit der Situation heillos überfordert war und zweifelhafte ökonomische Maßnahmen beschloss, wurde das Leben für unzählige Venezolaner unbezahlbar. Der Mindestlohn liegt heute bei umgerechnet etwa fünf Dollar, der von den UN berechnete Warenkorb an Grundnahrungsmitteln für eine Familie aber bei 380. In knapp fünf Jahren verwandelte sich ein prosperierendes Land in Südamerika in einen Failed-State ohne verlässliche Institutionen, funktionierende Wirtschaft oder ausreichenden Schutz der eigenen Bürger. 30)Statista: Venezuela: Inflationsrate von 1981 bis 2022; stand 12.09.202331)Amnesty International: Venezuela 2022;vom 28.03.202332)Transparency International: Korruptionswahrnehmungsindex 2022; stand vom 12.09.202333)Council on Foreign Relations: Do U.S. Sanctions on Venezuela Work?; vom 04.11.202234)France 24: Venezuela grappels with endless crisis; vom 18.02.202235)El País: Venezuelan economy seeks growth, while stuck between political crisis and „Chevron effect“; vom 10.07.2023
Für knapp ein Viertel der Venezolaner war die Flucht die einzige Option. Gerade die Jungen verlassen das Land in großen Zahlen, einige in Richtung der US-Südgrenze, die meisten finden jedoch in direkten Nachbarstaaten Zuflucht. Allein Kolumbien hat 2,5 Millionen Flüchtlinge aufgenommen.36) UNO Flüchtlingshilfe: Nothilfe für Flüchtlinge aus Venezuela; stand 11.08.2023
Wie sich Venezuela in Zukunft entwickelt ist ungewiss, gerade eben scheint das Land allerdings am potentiellen Beginn eines Aufschwungs zu stehen. So ist die Wirtschaft wieder leicht gewachsen, der Dollar hat den instabilen Bolívar weitgehend abgelöst und der Öl-Preis ist im Zuge des Ukraine-Kriegs wieder deutlich gestiegen. Auch die USA drängen vor dem Hintergrund hoher Energiepreise und der aufziehenden Wahl in Venezuela auf eine Entspannung. Der Deal: faire und freie Präsidentschaftswahlen 2024 gegen ein Ende der Strafmaßnahmen. Wie viel Hoffnung das venezolanische Volk auf wahren Wandel haben darf, bleibt jedoch fraglich – bisher schien Machthaber Maduro nie allzu erpicht darauf, sich dem Votum der Bürger zu stellen. 37)Reuters: Washington drafts proposal for Venezuela’s oil sanction easing; vom 24.08.202338)France 24: Venezuela grappels with endless crisis; vom 18.02.202239)Council on Foreign Relations: Do U.S. Sanctions on Venezuela Work?; vom 04.11.2022
Fußnoten und Quellen:
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