![Das gewonnene Öl aus dem Nigerdelta wird in die ganze Welt verschifft. | Bild: "Rohöltankschiff" © Igor Groshev | Dreamstime.com [Royalty Free] - Dreamstime Rohöltanker beim Abpumpen von Ballastwasser in Lagos, Nigeria, Afrika Das gewonnene Öl aus dem Nigerdelta wird in die ganze Welt verschifft. | Bild: "Rohöltankschiff" © Igor Groshev | Dreamstime.com [Royalty Free] - Dreamstime](https://www.fluchtgrund.de/files/2023/09/dreamstime_m_69630360-713x367.jpg)
Das gewonnene Öl aus dem Nigerdelta wird in die ganze Welt verschifft. | Bild: "Rohöltankschiff" © Igor Groshev | Dreamstime.com [Royalty Free] - Dreamstime
Nigeria: Ölindustrie vernichtet Lebensgrundlagen der Menschen
Nigeria ist die größte Volkswirtschaft Afrikas und war im Jahr 2020 der siebtgrößte Exporteur von Erdöl weltweit. Trotzdem leben etwa 40 Prozent der Bevölkerung unter der Armutsgrenze, die Arbeitslosenquote unter jungen Menschen liegt bei 42 Prozent. Wie kann es sein, dass das Land mit der stärksten Wirtschaft Afrikas eine Bevölkerung hat, die zu einem großen Teil nicht von diesem Reichtum profitiert? 1)Bundeszentrale für Politische Bildung: Der Fluch des Segens. Nigeria und das Öl, erschienen am 06.08.2021 2)Statista: Ranking der größten Erdölexporteure weltweit im Jahr 2020, erschienen am 02.08.2023 3)Bundesministerium für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung: Armut und Korruption allgegenwärtig, erschienen am 16.03.2023
Das Nigerdelta ist ein besonderes nigerianisches Ökosystem, das von vielen kleinen Wasserläufen durchzogen ist. Es ist so groß wie die Schweiz. Ursprünglich lebten die Bewohner dieser Region in Eintracht mit der Umwelt. Zusätzlich zu der reichen Natur bietet das Nigerdelta noch einen anderen Schatz: Erdöl. In diesem Gebiet lagern unter der Erde über 25 Milliarden Barrel Öl, es ist einer der Orte mit den höchsten Rohstoffvorkommen Afrikas. Seit 1958 fördert eines der weltweit größten Mineralöl- und Erdgasunternehmen mit Sitz in Großbritannien dieses Öl. Die europäische Firma zahlt für das Rohöl, die Weiterverarbeitung findet allerdings meist außerhalb von Nigeria statt. Somit geht nur der Mindestertrag an das Land, dem das Öl eigentlich gehört – den tatsächlichen Profit bekommt der Staat nicht zu sehen. Dazu kommt, dass die Ölfirmen mit Menschen arbeiten, die nicht aus Nigeria kommen. Sie leben in eigenen, abgeschlossenen Vierteln und kommen so nicht mit der Bevölkerung des Nigerdeltas in Kontakt. In der Region leben 23 Millionen junge Menschen, von denen viele nach einer Arbeitsstelle suchen. Doch obwohl es die naheliegende Lösung für die Ölfirma wäre, lokale Arbeitskräfte unter Vertrag zu nehmen, haben diese Menschen keine Chance auf eine Stelle. Das europäische Unternehmen bedient sich an Nigerias Rohstoffen, ohne einen wirtschaftlichen Aufschwung der Region folgen zu lassen. 4)Bundeszentrale für Politische Bildung: Der Fluch des Segens. Nigeria und das Öl, erschienen am 06.08.2021 5)Deutschlandfunk: Reichtum für wenige, Elend für viele, erschienen am 11.11.2006 6)Storymaps: Warum ist Nigeria arm?, erschienen am 04.01.2021 7)DW News: Taking Oil Companies to Task for Contamination of the Niger Delta, erschienen am 20.05.2023 8)Bloomberg Originals: Black Snow: Nigeria’s Oil Catastrophe, erschienen am 24.03.2022
Aber es bleibt nicht bei der wirtschaftlichen Ausbeutung des Nigerdeltas. Die langen Pipelines, die durch die Natur führen, bekommen immer wieder Lecks. Oft wird dafür der Ölkonzern verantwortlich gemacht, weil er zu wenig in die Sicherheit und Funktionstüchtigkeit der Pipelines investiert. Das Öl aus den Leitungen tropft so nach und nach in die Natur – und zerstört so den Lebensraum Wasser und Boden. Die kaputten Pipelines sind keine Seltenheit und mittlerweile ist die Umweltverschmutzung durch das Öl stark fortgeschritten. Der Dorfälteste des Ortes Oloibiri beschreibt den Anfang der Ölverschmutzung so: „Bevor [der europäische Mineralölkonzern] kam und die Erdölförderung begann, hatten wir von allem ausreichend. Die Böden waren sehr fruchtbar. Aber weniger als zwei Jahre, nachdem 1956 die Ölförderung losging, stellten wir Veränderungen fest. Die Ernten wurden schlechter. Die Feldfrüchte gerieten mickrig. Der Fisch wurde knapp. Wir erlitten mehrere Ölkatastrophen, die Flüsse und Felder verseuchten. Tote Fische trieben auf der Wasseroberfläche. So begann unser Leidensweg.“ Heute, über 60 Jahre später, sind ganze Wälder gestorben, die reichhaltigen Fischgründe, von denen sich die Bewohner früher ernährten, gibt es nicht mehr. Das Flusswasser ist von all dem Öl mittlerweile schwarz gefärbt. Umweltexperten sind bestürzt, wie weit das Maß der Zerstörung dieses Ökosystems fortgeschritten ist, Nicht einmal mehr das Grundwasser ist trinkbar, weil das Öl den gesamten Boden verseucht hat. Durch die Umweltverschmutzung verlieren die Menschen nicht nur ihre geliebte Heimat, sondern auch ihren Lebensunterhalt. Viele arbeiteten ursprünglich in der Landwirtschaft oder als Fischer. Da die Natur nun endgültig erschöpft ist und so gut wie kein Leben mehr hervorbringt, geraten diese Menschen jetzt in Armut und prekäre Lebenssituationen. 9)Bundeszentrale für Politische Bildung: Der Fluch des Segens. Nigeria und das Öl, erschienen am 06.08.2021 10)Guardian News: Thousands of Nigerians Seek Justice for Devastating Impacts from Shell Oil Spills, erschienen am 02.02.2023 11)Bloomberg Originals: Black Snow: Nigeria’s Oil Catastrophe, erschienen am 24.03.2022 12)Deutschlandfunk: Reichtum für wenige, Elend für viele, erschienen am 11.11.2006
Aus dieser Not heraus machen viele Einheimische ein Geschäft aus der illegalen Entnahme des Öls aus den Pipelines. Dazu sprengen sie Löcher in die Leitungen und sammeln so Rohöl, das sie später zu Geld machen können. Das treibt die Ölverschmutzung noch weiter voran – ein Kreislauf des Elends. Mit Feuern wird versucht, den Rohstoff zu veredeln. Da die Bevölkerung zu arm ist, um sich Filter zu leisten, geht der giftige Ruß frei in die Luft über und setzt sich überall fest. Somit befindet sich im Nigerdelta sowohl an Pflanzen, als auch an Häusern, frischgewaschener Kleidung und auch dem eigenen Körper andauernd ein dicke, schwarze Schicht. Eine aktuelle Studie des Bayelsa States, ein Bundesstaat Nigerias, stellt fest, dass der Boden, das Wasser, die Luft und sogar das Blut der Anwohner im Nigerdelta zu einem so hohen Maß von Öl- und Rußpartikeln verschmutzt sind, dass es die Sicherheitsgrenzen überschreitet. Das führt beim Menschen zu Schwierigkeiten beim Atmen und Krankheiten an Herz, Leber und Nieren. Im Nigerdelta sterben mehr Menschen an durch Öl verursachtem Krebs als an der in der Region verbreiteten Krankheit Malaria. Ein Anwohner sagt: „We are dying slowly, but surely. And our life span is reducing everyday.” Diese Gesundheits- und Naturkatastrophe hätte verhindert werden können, wenn der europäische Mineralölkonzern sich auf dieselbe rücksichtsvolle Weise verhalten hätte, wie er es in seiner Heimat tut, meint ein Betroffener. 13)Bloomberg Originals: Black Snow: Nigeria’s Oil Catastrophe, erschienen am 24.03.2022 14)DW News: Taking Oil Companies to Task for Contamination of the Niger Delta, erschienen am 20.05.2023
Da die Lage der Einheimischen immer aussichtsloser wird und sie das Gefühl haben, nicht gehört zu werden, formiert sich bewaffneter Widerstand gegen die Regierung und die Ölkonzerne. Die Lage eskaliert regelmäßig. Dickson Mobosi ist 36 Jahre alt und stammt aus dem Nigerdelta. Er flüchtete 2014 über Niger, Libyen und Italien nach Deutschland. Als er Mitte 20 war, waren seine beiden Eltern in der Widerstandsbewegung gegen die Regierung tätig. Sowohl die Mutter als auch der Vater wurden deshalb umgebracht. Weil Dickson Mobosi sein eigenes Leben in Gefahr sah, floh er aus seiner Heimat. 15)Tagesspiegel: Helles Deutschland: Hilfe für einen nigerianischen Flüchtling, erschienen am 17.09.2015
Schon im Jahr 2010 veröffentlichte die Umweltkommission der Vereinten Nationen einen Bericht über die unfassbaren Zustände im Nigerdelta. Darin forderte sie eine fünfjährige Reinigungsaktion der Umwelt, die etwa eine Milliarde US-Dollar kosten wird und von dem Mineralölkonzern, der für diese Verschmutzung verantwortlich ist, bezahlt werden soll. Offiziell begann 2018 eine Organisation damit, diese Mahnung der UN umzusetzen. Doch nach fünf Jahren Arbeit berichten Anwohner, dass sie keine Veränderung der Zustände wahrgenommen haben. Nicht einmal die Orte, die als „leicht zu reinigen“ gekennzeichnet worden waren, wurden gesäubert, ganz zu schweigen von den komplexeren Gebieten. Derzeit laufen mehrere Gerichtsverfahren von Einheimischen gegen das Unternehmen, die den Konzern zur Rechenschaft ziehen wollen. Der bekannte Mineralöl- und Erdgaskonzern, von dem auch wir in unserem Alltag regelmäßig Benzin kaufen, muss für seine Taten endlich Verantwortung übernehmen und den Nigerianern in ihren Kampf, die Natur zu retten, zur Seite stehen. 16)Bloomberg Originals: Black Snow: Nigeria’s Oil Catastrophe, erschienen am 24.03.2022 17)Bundeszentrale für Politische Bildung: Der Fluch des Segens. Nigeria und das Öl, erschienen am 06.08.2021
Fußnoten und Quellen:
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