![Bergkarabach musste schon viele Kriege über sich ergehen lassen. Nach der Großoffensive Aserbaidschans fliehen nun viele aus der Region. | Bild: "Von einer Bombe getroffenes Gebäude während des Krieges in Bergkarabach" © Salajean | Dreamstime.com [Royalty Free] - Dreamstime Von einer Bombe getroffenes Gebäude während des Krieges in Bergkarabach Bergkarabach musste schon viele Kriege über sich ergehen lassen. Nach der Großoffensive Aserbaidschans fliehen nun viele aus der Region. | Bild: "Von einer Bombe getroffenes Gebäude während des Krieges in Bergkarabach" © Salajean | Dreamstime.com [Royalty Free] - Dreamstime](https://www.fluchtgrund.de/files/2023/09/dreamstime_m_54295474-713x474.jpg)
Bergkarabach musste schon viele Kriege über sich ergehen lassen. Nach der Großoffensive Aserbaidschans fliehen nun viele aus der Region. | Bild: "Von einer Bombe getroffenes Gebäude während des Krieges in Bergkarabach" © Salajean | Dreamstime.com [Royalty Free] - Dreamstime
Bergkarabach: Tausende fliehen aus Angst vor Vergeltung Aserbaidschans
Am 19. September 2023 griff Aserbaidschan die Region Bergkarabach mit einer Großoffensive an. Bergkarabach liegt auf aserbaidschanischem Staatsgebiet, wird aber mehrheitlich von Armeniern bewohnt. 1991 erklärte sich Bergkarabach für unabhängig, wurde jedoch von der internationalen Staatengemeinschaft nie als eigenständig anerkannt. Nur einen Tag nach Beginn des Krieges wurde ein Waffenstillstand zwischen den beiden Ländern beschlossen – ein Waffenstillstand, der tatsächlich aber eine Kapitulation ist. Gegen das gut ausgerüstete Militär Aserbaidschans konnten die Streitkräfte von Bergkarabach nicht ankommen. Bergkarabach verpflichtete sich, alle Waffen abzugeben und Aserbaidschan plant, die abtrünnige Region wieder in den Staat eingliedern. Die sich selbst für unabhängig erklärte Republik Bergkarabach soll zum 01.01.2024 aufgelöst werden – das gab zuletzt die lokale Führung bekannt. Bergkarabach werde demnach „aufhören zu existieren“. Die Entscheidung war als Bedingung des Waffenstillstands getroffen worden. Für die armenischen Bewohner von Bergkarabach ist das eine Schreckensnachricht: Seit dem Waffenstillstand vor wenigen Tagen sind schon über 65 000 Menschen nach Armenien geflohen. Experten erwarten, dass alle in Bergkarabach lebenden Armenier die Region verlassen werden – das waren zuletzt 120 000 Menschen. 1)Tagesschau: Warum es in Bergkarabach immer wieder eskaliert, erschienen am 20.09.2023 2)ZDF Heute: Wenn die Heimat zur Hölle wird, erschienen am 25.09.2023 3)Deutschlandfunk: Nach dem Krieg wächst die Sorge vor Vertreibung, erschienen am 21.09.2023 4)Tagesschau: Tagesschau 20 Uhr 25.09.2023, erschienen am 25.09.2023 5)Tagesschau: Bergkarabach soll aufgelöst werden, erschienen am 28.09.2023
Die Menschen aus Bergkarabach haben Angst vor der Regierung Aserbaidschans. Diese Furcht hat einen historischen Ursprung: Schon seit Jahrzehnten gibt es zwischen Aserbaidschan und Bergkarabach immer wieder militärische Konflikte. Schon 1917, nach Ende der Zarenzeit, gab es zwischen Aserbaidschan und Armenien einen Bürgerkrieg um Bergkarabach. Im Jahr 1921 wurde die Region dann rechtlich dem Staat Aserbaidschan zugeschrieben. Als Bergkarabach 1991 nach Zerfall der Sowjetunion seine Unabhängigkeit erklärte und eine eigene Regierung wählte, kam es zu einem dreijährigen Krieg zwischen Aserbaidschan und Armenien. 30 000 Menschen starben. Während des Krieges eroberte Armenien Teile Aserbaidschans, die rund um die Region Bergkarabach lagen und erklärte diese Gebiete zu einer Sicherheitszone. Seit dem Waffenstillstand aus dem Jahr 1994 verhandelten die beiden Länder, jedoch kam kein Friedensabkommen zustande. In den folgenden Jahren kam es immer wieder zu kleineren militärischen Auseinandersetzungen, bis die Spannungen 2020 abermals im Krieg mündeten. Aserbaidschan konnte Teile der von Armenien besetzen Gebiete zurückerobern. Der Krieg dauerte sechs Wochen und kostete über 6500 Menschen das Leben. Das Waffenstillstandsabkommen, das zwischen den beiden Staaten ausgehandelt wurde, besagte, dass Armenien auch die anderen besetzten Ortschaften wieder an Aserbaidschan zurückgeben musste. Russland, das bei diesem Abkommen die Vermittlerrolle eingenommen hatte, stationierte 2000 Soldaten zur Überwachung des Waffenstillstands in Bergkarabach. 6)Tagesschau: Warum es in Bergkarabach immer wieder eskaliert, erschienen am 20.09.2023
Russland fungierte damit als Schutzmacht Armeniens. Armeniens Premierminister Nikol Paschinjan sagte Anfang September 2023: „Armeniens Sicherheitsarchitektur war zu 99,999 Prozent mit Russland verbunden.“ Jedoch hat Russland mit dem Angriff auf die Ukraine einen Teil seiner Macht in seinem Einflussgebiet verloren. Da gerade alle Truppen im Ukrainekrieg benötigt werden, ist die Stärke Russlands als Schutzmacht Armeniens geschwächt. Außerdem schwindet auch der Wille Russlands, Armenien um jeden Preis zu unterstützen: Da Armenien sich immer mehr an der westlichen Politik orientiert, kann Russland nicht mehr auf seinen Verbündeten zählen. Die Diktatur Aserbaidschan bekommt hingegen bedingungslose Unterstützung aus der Türkei. Da Aserbaidschan viele Rohstoffvorräte an Öl und Gas besitzt, ist es außerdem international ein beliebter Wirtschaftspartner. Auch die EU und Deutschland machen mit Aserbaidschan Geschäfte, bis 2027 sollen sich die Gasimporte aus Aserbaidschan in die EU mehr als verdoppeln. Bundeskanzler Olaf Scholz sagte noch Mitte März 2023: „Aserbaidschan ist für Deutschland und die Europäische Union ein Partner von wachsender Bedeutung.“ Das Land habe „das Potenzial, einen wichtigen Beitrag zur Diversifizierung der deutschen und europäischen Energieversorgung zu leisten, wenn es um Öl und Gas geht“. Durch den Gewinn der florierenden Wirtschaft konnte Aserbaidschan sein Militär rundum modernisieren und es so auch möglich machen, dass Bergkarabach so schnell besiegt werden konnte. Die Machtverhältnisse der internationalen Staatengemeinschaft trugen also dazu bei, dass dieser Konflikt eskalieren konnte. 7)RND: Tragödie im Südkaukasus. Europas „Gaspartner“ Aserbaidschan lässt die Panzer rollen, erschienen am 19.09.2023 8)Tagesschau: Warum es in Bergkarabach immer wieder eskaliert, erschienen am 20.09.2023
Mit diesen Voraussetzungen begann Aserbaidschan schon im Dezember 2022, die Bevölkerung von Bergkarabach einzuschüchtern. Da Bergkarabach in den Bergen liegt und dadurch nur schwer zugänglich ist, gibt es nur eine Straße, über die die Region erreicht werden kann. Im Waffenstillstandsabkommen zwischen Armenien und Aserbaidschan von 2020 war festgelegt worden, dass Aserbaidschan einen freien Personen- und Güterverkehr zwischen Armenien und Bergkarabach gewährleisten muss. Aserbaidschan errichtete vor Monaten einen Kontrollpunkt auf dieser Zufahrtsstraße und ließ nur noch wenige Fahrzeuge passieren. Da die Bevölkerung somit keine Güter aus dem Ausland importieren konnte, kam es zu einer katastrophalen Knappheit an lebenswichtigen Dingen. Es gab nicht genug Medikamente, Benzin oder Lebensmittel. Eine Mutter beschrieb ihre Lage Mitte August 2023 so: „Wir sind eine große Familie mit elf Leuten und wir sind mittlerweile so weit, dass wir auf Frühstück und Abendessen verzichten müssen. Es gibt noch ein bisschen Zucker, Reis und Buchweizen im Haus – das war es“. Die Zahlen von Fehlgeburten hatten sich in den letzten Monaten in Bergkarabach verdreifacht, weil die Schwangeren so unterernährt waren. Im August dieses Jahres war ein 40-jähriger Mann an Mangelernährung gestorben. Stephan Malerius, der Leiter des Regionalprogramms Südkaukasus der Konrad-Adenauer-Stiftung sagt über die Blockade des Zufahrtswegs: „Dies ist der Versuch gewesen, die armenische Bevölkerung in Bergkarabach auszuhungern.“ Man könne es auch als deutlichen „Versuch einer ethnischen Säuberung“ bezeichnen. Der Angriff auf Aserbaidschan sei „die Fortsetzung dieses Aushungerns mit militärischen Mitteln“ gewesen. 9)Tagesschau: Warum es in Bergkarabach immer wieder eskaliert, erschienen am 20.09.2023 10)Deutschlandfunk: Droht ein Genozid am Rande Europas?, erschienen am 17.08.2023 11)Deutschlandfunk: Nach dem Krieg wächst die Sorge vor Vertreibung, erschienen am 21.09.2023
Nachdem die Bevölkerung Bergkarabachs viele Monate lang ohne eine ausreichende Versorgung leben musste, durchlebte sie nun auch noch die militärische Offensive. Ein alter Mann aus Bergkarabach sagt: „Wir haben die letzten Tage kaum überlebt, es war gruselig. Es gab Beschuss von allen Seiten, es gab tote Menschen. Ich weiß nicht, wo sie jetzt sind. Zwei gekühlte Lastwagen wurden mit den Leichen gefüllt und es gibt keinen Ort, um sie zu begraben.“ Obwohl Aserbaidschan den in Bergkarabach lebenden Armeniern zusichert, dass ihre Rechte nach der Eingliederung Bergkarabachs in Aserbaidschan respektiert werden, glauben die Menschen das nicht. Die Bewohner Bergkarabachs befürchten, dass Aserbaidschan ihnen alle Rechte rauben wird oder der armenischen Bevölkerung etwas antut, als Rache für die Kriegshandlungen der letzten Jahrzehnte. Auch Stephan Malerius hält das Versprechen, dass die Armenier in Bergkarabach weiterhin sicher seien, für nicht glaubwürdig. Er sagt: „Man will Bergkarabach von Armeniern gesäubert haben“, damit gebürtige Aserbaidschaner in diesem Gebiet leben könnten. Bis jetzt sind schon über 65 000 Bewohner Bergkarabachs nach Armenien geflohen. Die armenische Regierung rechnet damit, dass in den nächsten Tagen noch mehrere Zehntausende Flüchtlinge aus Bergkarabach in Armenien Zuflucht suchen werden. 12)Democracy Now: Top U.S. & World Headlines – September 25,2023, erschienen am 25.09.2023 13)Tagesschau: Tagesschau 20 Uhr 25.09.2023, erschienen am 25.09.2023 14)Deutschlandfunk: Nach dem Krieg wächst die Sorge vor Vertreibung, erschienen am 21.09.2023 15)ZDF Heute: Wenn die Heimat zur Hölle wird, erschienen am 25.09.2023 16)RND: Immer mehr Armenier fliehen aus Berg-Karabach, erschienen am 25.09.2023 17)Tagesschau: Warum es in Bergkarabach immer wieder eskaliert, erschienen am 20.09.2023
Fußnoten und Quellen:
Keine Kommentare