![Rauchflagge | Bild: "Weltweit sind mehr als 82 Millionen Menschen auf der Flucht" © Vladm [Royalty Free] - Dreamstime.com Venezuela Rauchflagge | Bild: "Weltweit sind mehr als 82 Millionen Menschen auf der Flucht" © Vladm [Royalty Free] - Dreamstime.com](https://www.fluchtgrund.de/files/2022/10/dreamstime_xl_102926609-scaled-713x475.jpg)
Rauchflagge | Bild: "Weltweit sind mehr als 82 Millionen Menschen auf der Flucht" © Vladm [Royalty Free] - Dreamstime.com
Die vergessenen Flüchtlinge Venezuelas
„Tagsüber denke ich, dass alles in Ordnung ist. Aber nachts merke ich, dass etwas in mir zerbrochen ist. Ich kann nicht schlafen, weil ich Albträume habe, dass ich wieder in Venezuela bin, dass ich ziellos herumlaufe. Ich denke daran, wie ich nach Peru gelaufen bin, über die Berge in Kolumbien, ohne Schuhe oder Jacke. Ich war obdachlos in Venezuela, das ist der Grund, warum ich gegangen bin. Manchmal blicke ich zurück und denke: Wir hätten beide sterben können.“ Adriana Sierra, heute 23, gehört zu den schätzungsweise 6 Millionen Menschen, die aus Venezuela geflohen sind. Zu Fuß machte sie sich auf den beschwerlichen Weg von ihrer Heimat nach Peru, immer an der Straße entlang. Zusätzlich trug sie ihren kleinem Sohn auf dem Arm und zog einen Rollkoffer hinter sich her. Drei Monate dauerte die Reise, auf der sie überfallen und sexuell missbraucht wurde. 1)Spiegel Ausland: „Nachts merke ich, dass etwas in mir zerbrochen ist“; 18.07.2022
Seit dem russischen Angriffskrieg auf die Ukraine und der daraus resultierenden Flüchtlingswelle geraten andere Flüchtlingsströme gerne in Vergessenheit. Dabei hat Venezuela schon jetzt mehr Einwohner durch Flucht verloren, Tendenz steigend. Die Covid-19 Pandemie hat den Zustand zusätzlich verschlimmert, da sich Familien gezwungen sahen, den ohnehin niedrigen Lebensmittelkonsum durch die Armut weiter zu reduzieren oder Schulden zu machen. Im Gegensatz zu den Menschen in der Ukraine flüchten die Venezolaner jedoch nicht vor Krieg, sondern vor den verheerenden Auswirkungen einer Wirtschaftskrise und der daraus resultierenden Zunahme von Gewalt. Die Hoffnung auf eine politische Veränderung schrumpft immer mehr. Doch wie konnte es so weit kommen? 2)Deutsche Welle: Venezuela: Die vergessenen Flüchtlinge; 30.03.2022 3)ACNUR: Situación de Venezuela; Stand 11.10.2022
Venezuela könnte ein reiches Land sein, da es über die größten bekannten Erdölquellen weltweit verfügt. Der Ressourcenreichtum hat das Land jedoch in Korruption versinken lassen. Weltweit sind Korruption und Misswirtschaft die Hauptursachen für Flucht. Die meisten Menschen fliehen aus Ländern, die auf dem Korruptionsindex ganz oben stehen. Unter dem letzten Präsidenten Venezuelas, Hugo Chávez, wurde das Geld mit vollen Händen ausgegeben, zusätzlich wurden Schulden aufgenommen. Damals war der Ölpreis noch hoch und es ließen sich Milliarden damit verdienen. Beträchtliche Summen der sogenannten „Petrodollars“ verschwanden jedoch in private Taschen. Im Jahr 2014 sank der Ölpreis und die Konten seines Nachfolger Nicolás Maduro Moros waren schnell leer. 4)Deutsche Welle: Erdöl und Ruin – Der Exodus aus Venezuela; 11.03.2022
Hinzu kommt, dass die venezolanische Industrie in den Ruin getrieben wurde. Von einst 12.000 Fabriken gibt es nur mehr etwa 2.000. Durch die hohe Auswanderungsrate fehlen Fachkräfte. Statt die Privatwirtschaft zu fördern, wurden von den Petrodollars subventionierte Güter importiert. Die alten Wirtschaftseliten wurden entmachtet und die Bevölkerung ist seitdem stärker auf den Staat angewiesen. Die Wirtschaftspolitik hat jedoch eine weitere Schwachstelle. Maduro setzte seine Freunde aus dem Militär in Schlüsselpositionen der Industrie ein. Den ehemaligen Soldaten fehlt jedoch die nötige Expertise, eine ganze Ölindustrie zu verwalten. Wegen des daraus resultierenden Missmanagements ist die Erdölförderung um ein Drittel eingebrochen und heute auf dem Stand von 1945. 5)Deutsche Welle: Erdöl und Ruin – Der Exodus aus Venezuela; 11.03.2022
Venezuela hat die höchste Inflationsrate weltweit. Maduro ließ immer mehr Geld drucken, um den Staat am Laufen zu halten. Der Bolívar ist fast nichts mehr wert. Ein Kilogramm Fleisch kostet 30.000 Bolívar – das Doppelte eines Monatslohns. Benzin bekommt man hingegen fast geschenkt. So kosten beispielsweise Tausende Liter Benzin ungefähr so viel wie eine Flasche Wasser. Der Grund für den günstigen Benzinpreis ist folgender: Mit dem günstig eingekauften Benzin lässt sich in den Nachbarländern zum normalen Preis viel Geld verdienen. Venezuela braucht die Devisen, um wenigstens das Nötigste an Essen und Medikamenten zu importieren. Viele Venezolaner gehen in Nachbarländer um Arbeit zu finden. Auch diese schicken die Devisen nach Hause. Das Geld ist bitter nötig, um die nötigsten Importgüter zu finanzieren. Dennoch warnt die Welternährungsorganisation vor einer Hungersnot in Venezuela, was aufgrund der immer knapper werdenden Nahrungsmittelimporte als wahrscheinlich gilt. Außerdem haben die Menschen dort mit regelmäßigen Stromausfällen oder dem Ausbleiben von Leitungswasser zu kämpfen. 6)Deutsche Welle: Erdöl und Ruin – Der Exodus aus Venezuela; 11.03.2022 7)BZ Ausland: Millionen Flüchtlinge – und niemand schaut hin; 29.12.2021
Die nach Peru geflüchtete Adriana Sierra verkauft inzwischen Kaffee auf der Straße. Sie wird dort immer wieder rassistisch beleidigt und gedemütigt. „Ich bin eine Träumerin. Ich wäre gerne Künstlerin. Ich verkaufe Kaffee, weil ich nie studiert habe oder gelernt habe, wie man Fingernägel lackiert. Die Männer starren mich die ganze Zeit an und ich bete abends, dass ich zu Hause ankomme“, sagt sie. Am meisten Angst habe sie davor, ins Bett zu gehen, da ihre Träume die traumatisierende Flucht immer wieder zurück in ihr Gedächtnis holen. 8)Spiegel Ausland: „Nachts merke ich, dass etwas in mir zerbrochen ist“; 18.07.2022
Fußnoten und Quellen:
Keine Kommentare