![Bild: "Already a water-stressed country, water scarcity is increasing with climate change" © UNDP Iraq [CC BY-NC 2.0] - flickr Trockene Landschaft im Irak Bild: "Already a water-stressed country, water scarcity is increasing with climate change" © UNDP Iraq [CC BY-NC 2.0] - flickr](https://www.fluchtgrund.de/files/2021/09/51098228843_c420b37f8e_b-713x476.jpg)
Bild: "Already a water-stressed country, water scarcity is increasing with climate change" © UNDP Iraq [CC BY-NC 2.0] - flickr
Rekorddürre verschärft Hungersnot im Nahen Osten
Wenn man an Syrien denkt, hat man vor allem Bilder von Schlachtfeldern, Flüchtlingsströmen und ausgebombten Städten im Kopf. Was man mit Syrien weniger verbindet, ist der Hunger. Dieser ist aber durchaus schwerwiegend: Mit 12 Millionen Menschen hat über die Hälfte der Bevölkerung keinen ausreichenden und sicheren Zugang zu Nahrungsmitteln, wodurch über eine halbe Million Kinder an Mangelernährung leiden. Die Hungersnot hat verschiedene Ursachen. Da wäre der einerseits wahrscheinlich offensichtlichste Grund, der Bürgerkrieg, der seit über 10 Jahren tobt. Die dadurch verursachte Zerstörung und Vertreibung schwächte einerseits die Landwirtschaft, viel schlimmer aber ist, dass die Lebensmittelversorgung auch als Waffe gehandhabt wird. Beispielsweise will das Assad-Regime nicht mit Hilfsorganisationen kooperieren, die gleichzeitig der Bevölkerung in von Rebellen kontrollierten Gebieten helfen. Auch eine UN-Resolution, die wenigstens einen Grenzübergang zwischen der Türkei und der von islamistischen Rebellen kontrollierten Provinz Idlib offen hält, wurde nur um Haaresbreite nicht im UN-Sicherheitsrat von Russland blockiert. 1) RT DE: Grenzübergang Bab al-Hawa: Es geht dem Westen darum, Syriens Souveränität zu untergraben; Artikel vom 8.7.21 2)DW: Idlib: Warten auf den Tod; Artikel vom 26.6.21 3)DW: Syrien: Hunger in der einstigen Kornkammer; Artikel vom 15.3.21
Ein weiterer Faktor ist die aus dem Bürgerkrieg hervorgegangene Wirtschaftskrise. Die syrische Wirtschaft war durch den Konflikt schon lange angeschlagen. Erschwerend kamen in letzter Zeit die Covid-19 Pandemie und fehlende Finanzhilfen aus dem Iran hinzu, jedoch versetzen ihr erst die Wirtschaftskrise im Libanon und die neuen amerikanischen Sanktionen den Todesstoß. Der Libanon ist für Syrien als Nachbar schon immer ein zentraler Handelspartner. Gerade die syrische Ober- und Mittelschicht deponierten und investierten große Teile ihres Geldes im Libanon, Geld das nun durch den dortigen Wirtschaftskollaps nicht für den Wiederaufbau in Syrien zur Verfügung steht. Hinzukommt, dass mittels Handel über den Libanon internationale Sanktionen umgangen werden konnten, was nun ebenfalls erschwert wurde. Letzteres gewann stark an Bedeutung, da die USA erst 2020 ihre Sanktionen massiv verschärft hatten, woraus sich in Syrien eine Hyperinflation ergab. Durch diese Abwertung der syrischen Lira wurden Lebensmittel und Medikamente immer unerschwinglicher. Somit machen sich die USA durch ihre Sanktionen zu einem Mitschuldigen an der Hungersnot im Land. 4)DW: Syrien: Hunger in der einstigen Kornkammer; Artikel vom 15.3.21 5)NZZ: Trumps neue Sanktionen erhöhen den Druck auf Asad und erschüttern die syrische Wirtschaft; Artikel vom 17.6.20 6)DW: Libanon: Politischer Zorn und wirtschaftliches Chaos; Artikel vom 16.6.20
Zu all dem kommt nun noch die wohl schwerste Dürre seit 70 Jahren im Mittleren Osten. Angesichts dieser warnten erst vor kurzem verschiedene NGOs vor einer humanitären Katastrophe. Durch den Wassermangel leeren sich die Stauseen, weswegen im Moment die wichtigsten Wasserkraftwerke in der Region vor der Schließung stehen. 70 Prozent der Weizenernte drohen auszufallen, was dramatische Auswirkungen für die Landwirte haben könnte. Problematisch ist auch, dass die Viehalter ihre Tiere nicht mehr selbst versorgen können, obwohl diese ihre einzige Einnahmequelle sind. Viele kaufen Wasser und Futter zu, wodurch sie sich enorm verschulden. Das noch vorhandene Wasser reicht nicht mal mehr zum Trinken: Die Brunnen müssen doppelt oder dreifach so tief sein, wie noch vor der Dürre und das Wasser daraus ist nicht mal trinkbar. Das Trinkwasser wird vielerorts nur noch selten mit dem LKW angeliefert und ist dann in der Folge hart umkämpft. Oft müssen auch die Kinder versuchen an Wasser zu kommen und es nachhause tragen. Das Gewicht des Wassers behindert häufig ihr Wachstum und sie sind deswegen für ihr ganzes Leben einschränkt. Auch treten vermehrt Krankheiten auf, die durch schlechte Trinkwasserqualität verbreitet werden. Die Dürre entzieht also Landwirten, Viehhaltern und durch die niedrigen Flusspegel auch Fischern ihre Lebensgrundlage und ihr Einkommen, weswegen viele befürchten, ihren Beruf aufgeben und in die Stadt ziehen zu müssen, um nicht zu verhungern. Eine weitere Flüchtlingskatastrophe droht und hat teilweise schon begonnen. Aber auch in den Städten ist die Lage nicht viel besser, wodurch es dort nur zu einer Verschlimmerung der Armut und damit unweigerlich zu Konflikten kommen wird. Durch die Landflucht verschlimmert sich sogar die Hungerkatastrophe, da die Felder nicht mehr bewirtschaftet werden. 7)CARE: Syrien/Irak: Klimakrise führt zur schlimmsten Dürre seit Jahrzehnten; Meldung vom 23.8.21 8)NRC: “Humans, animals and land: we all need water to live” Inside Syria’s water crisis; Stand 9.9.21 9)ORF: Enorme Dürre im Irak und in Syrien; Artikel vom 23.8.21 10)DER SPIEGEL: Panik im Paradies; Artikel vom 30.8.21
Auch eine Flucht in die Nachbarländer kommt nicht wirklich in Frage, da auch dort die Situation nicht viel besser ist: Der Irak ist genauso stark betroffen wie Syrien. In der Türkei, dem Libanon und dem Iran ist die Lage zwar noch nicht ganz so dramatisch, aber auch hier herrscht extreme Trockenheit. Syrien und der Irak werfen der Türkei und dem Iran zudem vor, die Wassermengen rücksichtslos zu reduzieren, die über die großen Flüsse wie Euphrat und Tigris über die Grenze strömen, um mehr für sich selbst zu haben. Gerade im Fall der Türkei ist das interessant, da der Euphrat in Syrien durch hauptsächlich von Kurden kontrolliertes Gebiet fließt, mit denen die sie ja in einen sehr langwierigen Konflikt verwickelt ist. Seit die Türkei 2019 nach Nordsyrien einmarschiert ist, kontrolliert sie auch das mit Abstand wichtigste Wasserwerk in der Region, woraufhin sich die Wasserversorgung laut kurdischen Vertretern dramatisch verschlechtert haben soll. Der Verdacht liegt also nahe, dass die Türkei den Wassermangel in Nordsyrien aus eigenen Interessen verschärft, was diese aber abstreitet. 11)DW: Wasser als Waffe in Nordsyrien?; Artikel vom 25.3.20 12)TurkishMinute: ‘Desert’: drying Euphrates threatens disaster in Syria; Artikel vom 30.8.21 13)Asia Times: Iraq the big loser of Middle East water wars; Artikel vom 30.8.21 14)DW: Tensions rise as Iranian dams cut off Iraqi water supplies; Artikel vom 16.8.21 15)Perspektive Online: Türkei und Syrien: Wasserentzug als kriegerisches Mittel; Artikel vom 5.8.20 16)Arab News: Water issue leads to new area of Turkey-Russia cooperation; Artikel vom 13.8.21
Dürren sind in der Region eigentlich keine Ungewöhnlichkeit, warum ist aber dann diese so außergewöhnlich zerstörerisch? Bei einer Studie zur ebenfalls in Syrien schon verheerenden Trockenzeit zwischen 2006 und 2010 fanden die Macher drei entscheidende Faktoren: Der erste war die extreme Ausbeutung der Wasserresourcen durch die Landwirtschaft, die erst durch die Regierung gefördert und auch später noch toleriert wurde. Deswegen wurden Brunnen gebohrt und die kostbaren Grundwasserreserven schon in eigentlich ausreichend feuchten Jahren verbraucht. Während der Dürren selbst blieb den von Brunnen abhängigen Landwirten Garnichts anderes übrig, als tiefer zu bohren und somit das Grundwasser noch stärker auszubeuten.
Als zweiten Grund identifizierten die Forscher das enorme Bevölkerungswachstum. Dieses trat wie für Entwicklungsländer typisch ohnehin seit den 1950ern auf. Verstärkt wurde es rund um diese Dürre noch durch 1,2-1,5 Millionen Flüchtlinge aus dem Irak. Diese Bevölkerungsexplosion erhöhte massiv die Nachfrage, was bei dem sehr geringen Angebot für Lebensmittel in einer Dürre natürlich die Konkurrenz innerhalb der Bevölkerung erhöhte.
Als dritten Faktor nennen die Forscher die zunehmende Häufigkeit von extremen Dürren, da sich dadurch die Böden und Grundwasserreserven zwischen den Dürren nicht mehr erholen können. Als Grund für die Zunahme der Extremwetterereignisse nennen die Forscher – nicht wirklich überraschend – den Klimawandel. Die Studie zeigt den klaren Trend, dass durch den Klimawandel die Niederschläge zurückgehen und die Temperaturen –und damit auch die Verdunstung – steigen. Der Temperaturanstieg fällt sogar noch stärker aus als im weltweiten Durchschnitt. Trockenheit in der Region entsteht hauptsächlich durch ein Hochdruckgebiet über dem Mittelmeer, wodurch deutlich feuchtigkeitsärmere Luft über den fruchtbaren Halbmond geleitet wird, was zu weniger Niederschlägen führt. Dieses Phänomen verursacht die natürlich auftretenden, periodischen Dürren, wird aber durch die Erderwärmung verstärkt. Die Kombination aus natürlichen Schwankungen und dem generellen Trend verschärft so die natürlich auftretenden Dürren massiv. Die steigende Häufigkeit von extremen Trockenperioden verschlimmert die Situation zusätzlich, da sich die Wasserreserven nicht erholen können. 17)Kelley et al.: Climate change in the Fertile Crescent and implicationsof the recent Syrian drought; Aufsatz vom 2.3.15 18)Spektrum: Wie der syrische Bürgerkrieg mit dem Klimawandel zusammenhängt; Artikel vom 2.3.15 19)wissenschaft.de: Dürre als Zündfunke für den syrischen Bürgerkrieg?; Artikel vom 3.3.15
Die zitierte Studie hat zudem noch zwei weitere Ergebnisse, die für die Zukunft interessant sein könnten: Sie besagt einerseits, dass die untersuchte Dürre von 2006-2011 durch die von ihr verursachte Landflucht, Armut und Unzufriedenheit den Syrischen Bürgerkrieg entscheidend mit ausgelöst hat. Angesichts der aktuellen Lage ist das natürlich beunruhigend. Verstärkt wird das von dem anderen Ergebnis, dass bei der derzeitigen Entwicklung der fruchtbare Halbmond zum Ende unseres Jahrhunderts kein fruchtbarer Halbmond mehr sein wird. Es wird also nicht die letzte Dürre gewesen sein und je schlimmer der Klimawandel wird, umso schlimmer werden auch die Konflikte werden. 20)Kelley et al.: Climate change in the Fertile Crescent and implicationsof the recent Syrian drought; Aufsatz vom 2.3.15
Fußnoten und Quellen:
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