
Bild: © Northfoto - Dreamstime.com
Bis zu eine halbe Million afghanische Flüchtlinge bis Ende 2021 erwartet
August 2021 war ein Monat mit schwerwiegenden Folgen für Afghanistan. Nach 20-jähriger Besetzung durch die Truppen der NATO angeführt von den USA beendeten am 31.08.2021 auch die letzten Soldaten den Abzug aus dem Land. Der längste Militäreinsatz in der US-amerikanischen Geschichte geht somit zu Ende – und mit ihm die zumindest vergleichsweise liberale Phase der aufstrebenden Demokratie in Afghanistan. Nun besetzen zwar keine fremden Truppen mehr das Land oder tragen hier Kämpfe aus, dafür haben sie es jedoch den Taliban überlassen, die bereits vor dem Abzug der US-Truppen die Hauptstadt Kabul besetzt hatten und die Macht über das Land an sich rissen. Unter dieser Herrschaft in Kombination mit den Folgen langjähriger Kriege, die das Land nach wie vor zeichnen, trägt die Bevölkerung Afghanistans schwere Konsequenzen.1)ZEIT: Taliban: Machtübernahme in Afghanistan ; Stand 28.09.2021 2)tagesschau: Einsatz ist beendet Letzte US-Truppen aus Afghanistan abgezogen ; Artikel vom 31.08.2021 3)DGVN: Der Konflikt in Afghanistan und die UN ; Artikel vom 24.08.2021
Besonders leiden unter der Herrschaft der Taliban die Frauen und Mädchen Afghanistans. Das Frauenministerium in Kabul, das über 20 Jahre hinweg aufgebaut wurde und große Bemühungen um die Gleichstellung von Frauen in der afghanischen Gesellschaft unternommen hatte, wurde umfunktioniert in das „Ministerium der Tugenden und Laster“ – seinem ursprünglichen Zweck also komplett entfremdet. Die zwar kleinen aber dennoch vorhandenen Fortschritte für Frauen sind durch die Taliban bedroht. Die Schul – und Hochschulbildung für Frauen beispielsweise ist ohnehin schwer zugänglich: Ca. 60 Prozent der 10-jährigen Mädchen besuchen die Schule. Oft werden sie aber bereits jung verheiratet und müssen danach ihren Schulbesuch abbrechen – bereits mit 15 Jahren besuchen nur noch ca. 30 Prozent der Mädchen die Schule. Nun wollen die Taliban das Studium für Frauen zusätzlich erschweren, indem sie die Koedukation an den Unis verbieten. Ob es bei diesen Einschränkungen bleiben wird, ist zu bezweifeln, wenn man an die frauenrechtliche Lage während der letzten Machtphase der Taliban zurückdenkt; weitere Einschränkungen der Menschenrechte für Frauen sind zu befürchten. 4)IRC: Hilfe für Frauen und Mädchen in Afghanistan – Was mit Frauen und Mädchen in Afghanistan geschieht und wie Deutschland helfen kann ; Artikel vom 01.09.2021 5)SPIEGEL Ausland – Kabul Diary Was die Abschaffung des Frauenministeriums für Afghanistan bedeutet ; Artikel vom 28.09.2021 6)Medica Mondiale: Wo wir arbeiten: Afghanistan ;Stand 06/2021 7)Der Tagesspiegel: Taliban verkünden Geschlechtertrennung an Afghanistans Unis; Artikel vom 12.09.2021
Doch nicht nur im Bereich der Frauenrechte ist die ohnehin schon fragile humanitäre Lage Afghanistans gefährdet. Bereits weniger als zwei Monate nach der Machtergreifung folgten massive Einschränkungen der Freiheit, Sicherheit und Menschenrechte für die afghanischen Bürger. So wurde beispielsweise das Rasieren von Bärten in einer Provinz bereits verboten, und auch in Kabul berichten Barbiere bereits von Befehlen der Taliban, Rasuren zu unterlassen. Auch die grausamen Bestrafungs – und Abschreckungsmethoden, für die die Taliban bekannt sind, drohen zurückzukehren: In Herat beispielsweise wurden die Leichen von 4 Männern an Kränen zur Schau gestellt – nach Angaben der Taliban waren sie Entführer, die von der Polizei getötet wurden. Auch Hinrichtungen und Amputationen als Strafmaßnahmen wollen die Taliban wieder einführen. Ob diese wieder öffentlich stattfinden werden ist unklar, doch in jedem Fall stellt diese Entwicklung einen menschenrechtlichen Rückschritt dar. Auch humanitäre Hilfsprojekte wurden zwangsweise eingestellt, da die in Afghanistan stationierten Mitarbeiter sich gezwungen sahen, nach der Machtergreifung der Taliban das Land zu verlassen. Zwar gibt es auch Helfer, die die Hoffnung noch nicht aufgegeben haben und weiterhin trotz Gefahr stationiert bleiben – wie viel sie unter der aktuellen Regierung jedoch ausrichten können, um der Bevölkerung auszuhelfen, wird sich noch herausstellen. 8)Frankfurter Rundschau: Afghanistan: Religionspolizei der Taliban überwacht Bartschneide-Verbot ; Artikel vom 27.09.2021 9)terre des hommes: Unterstützen Sie Kinder in Afghanistan ; Artikel vom 16.09.2021 10)Der Tagesspiegel. Taliban stellen als Abschreckung Tote zur Schau , Artikel vom 25.09.2021
Was für die Bevölkerung Afghanistans folgt, darüber lässt sich nur mutmaßen. Zwar behaupten die Taliban, künftig einen gemäßigteren Ansatz verfolgen zu wollen. Wie glaubhaft diese Beteuerungen sind, ist aber anzuzweifeln, wenn man die vorher genannten bisherigen Handlungen und Verbote beachtet. Das Versprechen der Mäßigung könnte ein Versuch sein, Sympathie und Vertrauen von anderen Regierungen zu gewinnen, um so politische Bedeutung zu erlangen. Denn die Taliban zeigen offen Interesse daran, in Verbindung mit anderen Regierungen zu treten. So baten sie beispielsweise darum, bei der UN – Vollversammlung Afghanistan vertreten zu dürfen. Dieser Antrag wurde abgelehnt; da aber der Sprecher der vorherigen Regierung ebenfalls nicht sprechen konnte, war Afghanistan so bei der Versammlung gar nicht vertreten. Die Reaktion der Taliban auf die Weigerung der UN–Staaten, ihren Anliegen zuzuhören, und die angepriesene Veränderung in der Politik gegenüber der vor dem ersten Regierungssturz bleibt abzuwarten. Zu vermuten ist aber, dass die afghanischen Staatsbürger weiterhin schwerwiegende Folgen von der Taliban – Regierung davontragen werden. Seit der Übernahme des Landes durch die Taliban gab es bereits eine Welle von Flüchtlingen. Bis Ende 2022 werden bis zu eine halbe Million Fluchtversuche erwartet. Einige Flüchtende wurden bereits mittels Luftbrücken beim Abzug der Truppen evakuiert – die USA beispielsweise flogen 125.000 Menschen aus. Doch Tausende mussten auf anderem Wege flüchten. Und viele sind immer noch auf der Flucht oder konnten das Land noch nicht verlassen. 11) Human Rights Watch: Wie geht es weiter für die Menschen, die vor den Taliban fliehen?, Artikel vom 10.09.2021 12)DW: Taliban verkünden Amnestie für Beamte ; Artikel vom 17.08.2021 13)RND: UN-Vollversammlung: Weder Taliban noch afghanische Delegation kommen zu Wort , Artikel vom 27.09.2021
Auch wenn der Versuch, Afghanistan vor einer weiteren Episode des Terrors zu retten, misslungen ist, gibt es dennoch Dinge, die außerhalb Afghanistans und auch außerhalb der politischen Sphäre unternommen werden können, um die Not der Menschen am Hindukusch zu lindern. So gibt es weiterhin Hilfsorganisationen, die in Afghanistan tätig sind oder aus dem Ausland helfen wollen. Diese sind nun mehr als je zuvor auf Unterstützung angewiesen. Dazu gehören beispielsweise MISEREOR , das International Rescue Committee (IRC) oder humanium . Spenden an diese oder andere in Afghanistan tätigen Menschenrechtsorganisationen können helfen, die Folgen von Krieg und Terror für die Bevölkerung zu erleichtern.
Fußnoten und Quellen:
Keine Kommentare