Verfolgung und Diskriminierung von LGBTQ als koloniales Erbe?

Verfolgung und Diskriminierung von LGBTQ als koloniales Erbe?

Alle Menschen, die “aufgrund ihrer Rasse, Religion, Nationalität, politischen Überzeugung oder Zugehörigkeit zu einer bestimmten sozialen Gruppe begründete Furcht vor Verfolgung haben“, müssen als Flüchtling geschützt werden – besagt die Genfer Flüchtlingskonvention. Unter sozialer Gruppe sind ebenso all jene inbegriffen, die vor der Verfolgung und Diskriminierung aufgrund ihrer sexuellen Orientierung oder Geschlechtsidentität fliehen. Und die Zahl dieser Menschen spitzte sich in den letzten Jahren dramatisch zu. In noch rund 80 Ländern weltweit ist Homosexualität strafbar, in manchen droht auf gleichgeschlechtliche Beziehungen sogar die Todesstrafe, darunter im Iran, in Saudi-Arabien und Teilen Nigerias. Also überwiegend Länder des afrikanischen Kontinents. In Debatten um die Rechte von LGBTQ+ Personen weltweit stehen diese besonders oft im Fokus. Nicht selten taucht dabei das Phänomen der radikalen Gegenüberstellung von “afrikanischer” und “westlicher Kultur” auf. Der Westen – geprägt von Modernität und Offenheit – und ihm entgegengesetzt der Süden als Entwicklungsbereich und noch immer tief geprägt von primitiven und konservativ religiösen Werten. Doch was aus westlicher Perspektive heute meist als rückständig angesehen wird, ist Erbe einer seit Jahrzehnten andauernden Kolonialpolitik des Globalen Nordens selbst. 

Homophobie war Teil des kolonialen Imperialismus 

Homosexualität und variierende Geschlechtsidentitäten waren auf dem afrikanischen Kontinent nicht immer Ziel gesellschaftlicher und politischer Angriffe. In etwa vierzig ethnischen Gruppen in Afrika sind in der Vergangenheit gleichgeschlechtliche Ehen dokumentiert, verteilt über das südliche Afrika, Benin, Nigeria, Kenia und den Südsudan. Eine 2.000 Jahre alte Höhlenmalerei in Simbabwe, stellt ebenfalls männlich-männlichen Sex dar. Wo zunächst sexuelle Toleranz und Offenheit herrschten, brachten westliche Kolonialmächte später nach eigenem Vorbild Homophobie und Heteronormativität ein. In Großbritannien beispielsweise wurden Anti-Homosexualitätsgesetze ursprünglich im Mittelalter in die Verfassung aufgenommen. Ziel war der Schutz der “christlichen Prinzipien” des Landes, nach welchen Sex lediglich mit Fortpflanzung assoziiert wurde und nicht-fortpflanzungsbezogener Sex, also “fleischliche Handlungen gegen die Ordnung der Natur” als Verstoß gegen Körper und Geist des Einzelnen sowie die Gesellschaft im Ganzen gesehen wurden. Die Anti-Sodomie-Gesetze wurden in kolonisierten Gebieten eingeführt und bilden noch heute die Grundlage für Strafgesetze über sexuelles Verhalten.  ¹⁾Amnesty International: Making Love a Crime: Criminalization of Same-Sex Conduct in Sub-Saharan Africa; Bericht vom 24.06.2013²⁾iz3w: Grenzenlos beschämend: Homophobie treibt LGBT-Personen in die Flucht; Stand vom 29.04.2021 ³⁾Bundeszentrale für politische Bildung: Geschlecht und Sexualität; Artikel vom 20.5.2016

Verfolgung und Diskriminierung von LGBTQ+ heute 

Diese betreffen LGBTQ+ auf dem afrikanischen Kontinent tagtäglich. In einigen Ländern, wie beispielsweise Uganda, werden regelmäßig Menschen verhaftet, nachdem sie bei Behörden als schwul oder lesbisch denunziert wurden. Meist werden sie verhaftet, angeklagt und verurteilt, ohne dass Beweise für gleichgeschlechtliches Verhalten vorliegen. In manchen Fällen werden sogar invasive medizinische Untersuchungen durchgeführt, um das angeklagte Verhalten zu “beweisen”. Der 18-jährige Godfrey weiß, was es bedeutet, diese Gewalt zu erfahren. Nachdem er mit seinem Freund bei gleichgeschlechtlichem Akt entdeckt wurde, ergriff er mit ihm die Flucht. Sie waren bereits aus der ugandischen Hauptstadt Kampala geflohen und befanden sich in den von Rebellen gehaltenen Gebieten im Norden, als bewaffnete Männer sie fanden und angriffen: “Sie kamen mit Gewehren und umstellten das Haus. Sie schnappten sich die Schrotflinte und schossen ihm in die Seite des Kopfes, als er sich hinkniete. Ich dachte, sie kämen, um auch mich zu holen.” Bei den ugandischen Behörden war er bereits unbeliebt, nicht nur weil er schwul ist, sondern weil er sich gegen den Präsidenten Yoweri Museveni ausgesprochen hatte. “Ich wurde von der Schule verwiesen. Als ich entlassen wurde, verstoß mich auch meine Familie. Mein Vater sagte: “Ich kann dich hier auf keinen Fall behalten, die Schule hat bereits die Polizei informiert”. Würde er in sein Geburtsland zurückkehren, könnte ihm nicht nur die Konfrontation mit tief verwurzelten und gewalttätigen Vorurteilen durch die Gesellschaft, sondern auch lebenslange Haft drohen. Im Dezember 2013 verabschiedete das ugandische Parlament so zum Beispiel ein Gesetz, welches für homosexuelle Handlungen die lebenslange Freiheitsstrafe vorsieht. Der erste Entwurf drohte sogar mit der Todesstrafe, die jedoch nach internationalen Protesten abgewendet werden konnte. Gefängnis droht außerdem nicht nur jenen, die den gleichgeschlechtlichen Akt selbst ausüben, sondern ebenso den Menschen, die davon wissen und sie nicht der Polizei melden. Damit öffnet das Gesetz der Willkür und falschen Anschuldigungen Tür und Tor. ⁴⁾Queeramnesty: Fluchtgrund: Sexuelle Orientierung und Geschlechtsidentität; Bericht von 2014 ⁵⁾BBC: Gay Ugandan asylum seekers ‚in danger if sent home‘; Artikel vom 27.02.2021 ⁶⁾iz3w: Eine Frage der Existenz – warum Menschen fliehen; nicht mehr verfügbar 

Flucht als einzige Überlebensmöglichkeit 

Wie Godfrey bleibt vielen LGBTQ+ nur die Flucht als einzige Überlebensmöglichkeit. Ziel queerer Migrant*innen aus dem Nahen Osten und nordafrikanischen Raum ist meist Israel, während Menschen aus dem subsaharischen Afrika bevorzugt nach Südafrika fliehen. Einerseits, da das Land für sie ein erreichbarer Fluchtort ist und es andererseits als Vorreiter in Rechten für LGBTQ+ gilt. Ein Diskriminierungsverbot aufgrund der sexuellen Orientierung wurde bereits 1996 – noch vor Deutschland und anderen europäischen Staaten – in der Verfassung verankert. Doch der Zirkel der Gewalt hat auch infolge ständiger Bedrohung und Demütigung am Zufluchtsort häufig kein Ende. Wer flieht, bewegt sich ständig auf unsicherem Terrain. Auch in den Unterzeichnerstaaten der Genfer Konvention, darunter Australien, Kanada, Europa und die Vereinigten Staaten, können sie sich oft nicht sicher fühlen. Trotz des ausdrücklich zugesicherten Schutzes von Menschen, die vor Gewalt oder Verfolgung aufgrund ihrer sexuellen Orientierung oder Geschlechtsidentität fliehen, erfahren sie oft Einschüchterung, Vereinsamung und Traumata durch homophobe Mitflüchtende, Personal in Unterkünften, Gefängnissen, beim Verhör sowie im Alltagsleben. ⁷⁾Amnesty International: Making Love a Crime: Criminalization of Same-Sex Conduct in Sub-Saharan Africa; Bericht vom 24.06.2013 ⁸⁾iz3w: Eine Frage der Existenz – warum Menschen fliehen; nicht mehr verfügbar  ⁹⁾INKOTA-netzwerk: LGBTIQ – Kämpfe unterm Regenbogen: Standesamt oder Steinigung; nicht mehr verfügbar

LGBTQ+ benötigen noch immer Schutz 

2007 entwickelten internationale Menschenrechtsexpert*innen die Prinzipien der Yogyakarta. Diese sollen einen globalen Standard für die Sicherung von Menschenrechten für LGBTQ darstellen und klare Maßstäbe für eine konsequente Menschenrechtspolitik auf internationaler sowie nationaler Ebene setzen. Ziel ist die Bekämpfung der Gewalt gegen Homosexuelle, ein Ende der strafrechtlichen Verfolgung von Homosexualität sowie der Zugang zu Bildung, das Recht auf Familiengründung, die Versammlungsfreiheit und das Asylrecht. Dabei werden Staaten präzise Empfehlungen gemacht, wie sie diese Standards umsetzen können. Die nordischen Staaten, die Schweiz, die Tschechische Republik, Argentinien, Uruguay und die Niederlande machten sich die Empfehlungen bereits zu Eigen und setzen sich nachdrücklich für die weltweite Anerkennung der Yogyakarta-Prinzipien ein. ¹⁰⁾LSVD: Yogyakarta-Prinzipien – Anwendung der Menschenrechte in Bezug auf sexuelle Orientierung und geschlechtliche Identität; Stand vom 29.04.2021

Während die kolonisierenden europäischen Länder seither einvernehmliche gleichgeschlechtliche sexuelle Handlungen entkriminalisiert haben, bestehen die Hinterlassenschaften vergangener homophober Gesetze in afrikanischen Ländern südlich der Sahara fort. Homosexualität und Transsexualität spielen zwar eine immer größere Rolle in den afrikanischen Kulturen, Literaturen und Medien, dennoch kommen viele Länder ihren internationalen Menschenrechtsverpflichtungen nicht nach. Homophobe Strafrechtsverschärfungen wie in Uganda und Nigeria beeinflussen rückwirkend andere Länder und bestärken den kontinentalen homophoben Diskurs.  

Homosexuellenfeindliche Regierungen sollten anfangen, ihren menschenrechtlichen Verpflichtungen nachzukommen. Sie müssen die Rechte aller Mitglieder der Gesellschaft, unabhängig von sexueller Orientierung oder Geschlechtsidentität, respektieren und schützen. Anderenfalls droht ihnen auf lange Sicht die Isolation vom internationalen Schauplatz. Dies hätte besonders gravierende Folgen für die dort lebenden LGBTQ-Communities, die sich in permanenter Gefahr für ihre Freiheit, Leib und Leben befinden. Es wird zwar noch einige Zeit dauern, bis sie die vollständige Anerkennung ihrer Rechte zum internationalen Konsens wird, doch ihre Stimmen werden immer lauter. Und bis dahin sollte man ihnen mit solidarischem Handeln und offenen Grenzen entgegenkommen.