Weltfrauentag: Die Pandemie verschärft die Gefährdung der Frauenrechte
Krisen sind niemals geschlechtsneutral. Covid-19 ist da keine Ausnahme. Statistisch gesehen sind es mehr Männer, die infolge des Virus’ sterben, während Frauen und Mädchen weltweit überproportional von den wirtschaftlichen und sozialen Folgen der Pandemie betroffen sind. Extreme Armut, Arbeitslosigkeit, Krankheit und geschlechtsspezifische Gewalt gegenüber Frauen haben sich in den letzten Monaten gravierend verschlimmert.
Dies liegt unter anderem daran, dass jene Wirtschaftssektoren, die am stärksten von der Pandemie getroffen wurden, überwiegend weiblich sind. Die ohnehin prekären Jobs sind geprägt von niedrigen Löhnen, schlechten Arbeitsbedingungen und unbezahltem Urlaub – und halten seit dem pandemiebedingten Wirtschaftsrückgang auch zahlreiche Lohnkürzungen oder Kündigungen bereit.
Ein Arbeitsplatz ist für viele der Schlüssel zur Unabhängigkeit
Besonders bemerkbar machte sich dies die letzten Monate in der Textilindustrie. Mit einem Anteil von rund 80 Prozent sind es hauptsächlich Frauen, die einen der wichtigsten Wirtschaftszweige in Asien stemmen. Doch von der Industrie, die für extrem hohe Stückzahlen zu niedrigen Preisen bekannt ist, profitieren Arbeiter kaum. Sie befinden sich am unteren Ende der Leiter, wenn es um Löhne geht und sind gegenüber Arbeitgebern in einer verwundbaren Situation. Mit der zunehmenden Verbreitung von COVID-19 spitzte sich diese zu und führte bereits zur Entlassung von rund 20.000 Textilarbeiterinnen. Die wenigsten besaßen finanzielle Rücklagen, die sie vor der drohenden Armut schützen. Nach einer Analyse von der UNDP und UN Women werden bis 2021 etwa 435 Millionen Frauen und Mädchen mit weniger als 1,90 Dollar pro Tag auskommen müssen – darunter 47 Millionen, die durch das Virus in die Armut getrieben wurden. Die Textilindustrie steht zwar für die schamlose Ausbeutung seiner Arbeiterinnen und doch bietet sie mit einem festen Grundeinkommen vielen die Möglichkeit zur Emanzipation von häuslichen Verhältnissen. Durch den zahlreichen Verlust von Arbeitsplätzen droht vielen Frauen erneut, in Abhängigkeit von Partner und Familie abzurutschen und unbezahlte Sorge- und Pflegearbeit zu übernehmen. 1)Fair Wear Foundation: How does Covid-19 affect women garment workers?; Stand vom 09.03.2021 2)UN Women: From insights to action: Gender equality in the wake of COVID-19; erschienen 2020 3)NETZ Partnerschaft für Entwicklung und Gerechtigkeit e.V.: Bangladesh: Textilindustrie; nicht mehr verfügbar
Die fehlende Sicherheit hat für Frauen langfristige Folgen
Die beengten Wohnverhältnisse sowie die zunehmende soziale und ökonomische Unsicherheit ließen die häusliche und geschlechtsspezifische Gewalt gegenüber Frauen im letzten Jahr stark ansteigen. Die Frauenorganisation der Vereinten Nationen UN Women spricht von rund 31 Millionen zusätzlichen Fällen. Eine Selbstbefreiung aus dem gewalttätigen Umfeld ist für sie dabei meist unmöglich: Durch die finanzielle Abhängigkeit und die eingeschränkte Möglichkeit das Haus zu verlassen, sind Frauen Ehemännern und männlichen Verwandten schutzlos ausgeliefert.
Fallen jegliche Sicherheitsnetze weg und gibt es keinen anderen Ausweg, um die eigene Familie zu versorgen, bleibt Frauen oft nichts anderes übrig, als sich das überlebenswichtige Einkommen auf anderem Wege zu sichern. Die Zahl der Sexarbeiterinnen in Mexiko-Stadt ging in den letzten Jahren stark zurück. Nun sorgt die Pandemie dafür, dass sie wieder ansteigt. Bei den Betroffenen handelt es sich meist um Hausfrauen und Familienmütter. Das Geld, das sie mit der Prostitution verdienen, reicht kaum aus, um sich und die Familie über Wasser zu halten – pro Kunde bekommen sie knapp 50 Pesos, umgerechnet circa zwei Euro. Ähnlich ging es Claudia, die der Sexarbeit in der Metropole vor 10 Jahren entkommen war, bis ihr Mann seine Arbeit verlor. “Wir hatten Hunger und Not. Mein jetziger Partner hat seinen Job verloren, weil viele Firmen geschlossen wurden, sodass wir keine Ersparnisse oder Einkommen hatten, um zu essen oder die Miete zu bezahlen. Nach zehn Jahren wurde ich dazu getrieben, wieder als Sexarbeiterin zu arbeiten.”
Dazu kommt das erhöhte Risiko einer Infektion mit Covid-19, da das Einhalten des Mindestabstands beim Verkehr mit Kunden kaum möglich ist. Auch Verhütungsmittel werden nur selten verwendet – schlicht, weil sie zu teuer sind. Die Folgen tragen die Frauen: Sie erkranken oft an sexuell übertragbaren Krankheiten oder werden ungewollt schwanger. Für viele ist das derzeit ein Albtraumszenario. Die Kapazitäten des Gesundheitssystems sind vielerorts ausgelastet und konzentrieren sich hauptsächlich auf die Bekämpfung des Corona-Virus. Der ohnehin inadäquate Zugang zu sexueller und reproduktiver Gesundheitsversorgung wird weiter eingeschränkt. Nach UN-Schätzungen könnte die Krise zu 7 Millionen ungewollten Schwangerschaften führen und außerdem einen Anstieg der Mütter- und Kindersterblichkeit zur Folge haben. 4)ZDF: Mexiko-Stadt: Corona-Krise: Wenn nur Sexarbeit bleibt; erschienen am 02.03.2021 5)UN Women: Auswirkungen der Corona-Pandemie; nicht mehr verfügbar 6)UN Women Deutschland: Corona: Eine Krise der Frauen; nicht mehr verfügbar 7)Brot für die Welt: Gewalt gegen Frauen in der Corona-Krise: Eine Schattenpandemie; Artikel vom 24.11.2020
Lösungsstrategien zur Ungleichheit existieren bereits – sie müssen nur noch angenommen werden
Die Auswirkungen, die die Krise bereits nach wenigen Monaten auf die Existenz von Millionen Frauen hat, werden nicht geringer, wenn man sie ignoriert. Ein erster Schritt ist, die Ungleichheit in unserer Gesellschaft sichtbar zu machen, um deren Bekämpfung gar erst zu ermöglichen. Die Einführung einer weltweiten Gender-Analyse durch Regierungen, Marken und Zulieferer kann dabei nützlich sein, die sozial konstruierten Rollen und Identitäten zu identifizieren, die die Verteilung von Ressourcen, Möglichkeiten, Einschränkungen und Macht während einer Krise beeinflussen. Erst dann, wenn die Erkenntnisse auf allen Ebenen unseres Wirtschafts- und Sozialsystems etabliert werden, kann darauf angemessen reagiert werden. Von Hilfsorganisationen wie UN Women und CARE erscheinen bereits regelmäßige Berichte, die die systemische Ungleichheit aufzeigen und zahlreiche Anstöße zur Überwindung dieser geben. Sie müssen lediglich angenommen und umgesetzt werden, sonst werden die Gräben, die die Chancengleichheit von Frauen* weltweit verhindern, immer größer. Und das betrifft immerhin die Hälfte unserer Erdbevölkerung. 8)Der Spiegel: Frauen in der Politik 2020: Macht wird weiblicher; Artikel vom 01.01.2020 9)UN Women: International Women’s Day 2021; Stand vom 09.03.2021 10)CARE: „Time for a Better Bargain: How the Aid System Shortchanges Women and Girls in Crises“; Bericht von Februar 2021
Fußnoten und Quellen:
Keine Kommentare