![Der Globale Süden leidet immer mehr unter Extremwetterereignissen | Bild: "South Sudan" © United Nations Photo [CC BY-NC-ND 2.0] - flickr Zwei Kinder laufen Hand in Hand durch ein überschwemmtes Feld im Südsudan. Der Globale Süden leidet immer mehr unter Extremwetterereignissen | Bild: "South Sudan" © United Nations Photo [CC BY-NC-ND 2.0] - flickr](https://www.fluchtgrund.de/files/2021/02/34959222630_b82c3a4f8c_c-713x476.jpg)
Der Globale Süden leidet immer mehr unter Extremwetterereignissen | Bild: "South Sudan" © United Nations Photo [CC BY-NC-ND 2.0] - flickr
Umweltrassismus – Der Kampf gegen den Klimawandel ist ein anti-kolonialer Kampf
Wir sitzen nicht im selben Boot. Und doch wird uns gerade das im Kampf gegen den Klimawandel oft vermittelt. Der Globale Süden leidet bereits seit Jahren unter den Folgen der zunehmenden Erderhitzung: Dürren, Hitzewellen und Hurrikans – für den Globalen Norden noch Zukunftsszenarien. Dabei ist die weltweit unterschiedliche Betroffenheit der Menschen vom Klimawandel kein Zufall. Vielmehr ist sie Ergebnis einer seit Jahrhunderten existierenden systemischen Ungleichheit, begründet durch koloniale Strukturen, die bis heute existieren.
Der Begriff des Umweltrassismus – also der Zusammenhang zwischen Umweltverschmutzung und Rassismus – tauchte das erste Mal in der Studie “Toxic Waste and Race in the United States” von 1987 auf. Diese zeigt, dass zwei Drittel der Giftmüllanlagen der Vereinigten Staaten in Gemeinden angesiedelt sind, die mehrheitlich von Schwarzen und Indigenen Menschen sowie People of Color (BIPoC) bewohnt werden. Die Verteilung verlief nicht nach dem Zufallsprinzip, sondern war Ergebnis lokaler, staatlicher und bundesstaatlicher Landnutzungspolitik. Diese Tatsache lässt sich weltweit beobachten: der Export unserer Abfälle, darunter Giftmüll, findet besonders in von Migration und Schwarzer Armut geprägten Territorien der Länder selbst statt, aber auch in den Globalen Süden. Die Opfer der rassifizierten Umweltpolitik leiden unter verschmutzten Flüssen und Seen, Pestiziden und verseuchten Lebensmitteln. 1)Verso Books: Racial Capitalocene: Is the Anthropocene racial? – von Françoise Vergès; Essay vom 30.08.2017 2)der Freitag: Kosmovision: Kolonialismus/Klimakrise; nicht mehr verfügbar
Der Klimawandel begann bereits vor der Industrialisierung
Wie so oft angenommen, finden die Umweltverschmutzung und menschengemachte Erderwärmung ihren Ursprung in der Industrialisierung. Doch um die Disparität der weltweiten Betroffenheit zu verstehen, muss man längst weiter zurückblicken, in die Kolonialgeschichte.
Im Jahr 1454 wurden erstmals Menschen auf die Insel Madeira vor der Nordwestküste Afrikas gebracht und dort auf Plantagen versklavt. 1492 fand man den Seeweg in die Amerikas und die ersten europäischen Schiffe kamen auf der Suche nach Gold an. Diese zwei Jahreszahlen markieren den Beginn der europäischen Kolonialgeschichte und somit den Startpunkt der Genozide und Verschleppungen Schwarzer, Indigener Menschen und People of Color (BIPoC). Die Ausbeutung derer, dessen Arbeitskraft als natürliche Ressource verstanden wurde, machte die Anhäufung des Kapitals und die Etablierung einer weltweiten Wirtschaftsmacht überhaupt erst möglich. Der Mechanismus breitete sich über die Kontinente aus und führte zur wachsenden Asymmetrie zwischen dem heutigen Globalen Norden und Süden. 3)taz: Forscherin über Klimakrise und Rassismus: „Nicht alle sitzen im selben Boot“; Artikel vom 10.08.2020 4)taz: Kolonialismus und Klimakrise: 500 Jahre Umweltrassismus; Artikel vom 18.11.2019
Länder des Globalen Südens sind besonders betroffen
Puerto Rico, Myanmar und Haiti sind laut der Entwicklungs- und Umweltorganisation German Watch die Länder, die in den letzten 20 Jahren am meisten vom Klimawandel betroffen waren. Alles Länder, die dem Globalen Süden zugeordnet werden. Sie sind den Gefahren, die immer häufigere und intensivere Extremwetterereignisse mit sich bringen, schutzlos ausgeliefert – zum einen, da sie anfälliger gegenüber den schädlichen Auswirkungen sind und zum anderen, weil sie selten die Kapazitäten zur Bewältigung von Krisen besitzen. Leben und Existenzgrundlage der Bevölkerung werden gefährdet, sowie die Sicherheit und nachhaltige Entwicklung bedroht.
Angeheizt wird diese Krise von Treibhausgasen, an deren Freisetzung der Globale Norden einen Anteil von beinahe zwei Dritteln hat. Industriestaaten sind somit die größten Klimaverursacher, doch im Gegensatz zum Globalen Süden werden sie von den markanten Auswirkungen der Erderhitzung bislang noch weitgehend verschont und können sich überall auf der Welt besser gegen dessen Folgen schützen. 5)Germanwatch: Global Climate Risk Index 2021; Bericht vom Januar 2021 6)klimareporter: Klimakrise als soziale Krise: Warum Klimaungerechtigkeit kein Zufall ist; Artikel vom 08.10.2020
Die Klimakrise ist eine soziale Krise
Notwendig wäre eine gerechte Bekämpfung des Klimawandels – mit Berücksichtigung des Umstandes, wer den größten Anteil an dessen Ursache trägt und wer am stärksten darunter leidet. Doch von den Ländern mit den größten Emissionen blieb bisher jegliches Engagement zur Bekämpfung des Klimawandels aus. Nicht zuletzt, weil es auch um sehr viel Geld geht. Würde künftig klar in Verursacher und Betroffene unterschieden werden, könnte der Globale Süden konkrete Entschädigungszahlungen fordern. Die feministische und postkolonlialistische Denkerin Françoise Vergès spricht daher von der Ära des rassistischen Kapitalozäns, anstelle des Anthropozäns. Der Begriff des Anthropozäns sei ihr zu simpel, da er die “naturalisierten Ungleichheiten, die Entfremdung und die Gewalt, die die strategischen Macht- und Produktionsverhältnisse der Moderne prägen, nicht in Frage stellt.” Die festgefahrenen Strukturen postkolonialer Politik müssen aufgelöst werden, um den Wandel in die Wege zu leiten, den wir so dringend für eine wirksame Klimapolitik benötigen. Der Globale Norden muss in Zukunft einen klimapolitischen Kurs verfolgen, der von Wissenschaft und Logik geprägt ist, anstatt weiterhin an seiner Machtposition festzuhalten. 7)Jason Moore, “The Capitalocene Part I: On the Nature & Origins of Our Ecological Crisis” (January 2014 8)taz: Klimakrise und Rassismus: „Die gleiche Wurzel“; Artikel vom 25.06.2020 9)taz: Nominierte 2020: Black Earth Kollektiv: Klimagerechtigkeit intersektional denken; Stand vom 23.02.2021 10)taz: Kolonialismus und Klimakrise: 500 Jahre Umweltrassismus; Artikel vom 18.11.2019
Klimagerechtigkeit muss intersektional gedacht werden
Eine Strategie, die ihm selbst jedoch vorschwebt, ist das sogenannte Geoengineering. So wird der großmaßstäbliche und technische Eingriff in die Ökosysteme der Erde bezeichnet, – etwa durch Verringerung der Treibhausgase und Reduktion der Sonneneinstrahlung – der den Klimawandel aufhalten soll. Solche Megainfrastrukturprojekte erfordern einen Zugang zu einer Unmenge an Ressourcen, die sich Industriestaaten durch ihre globalen Machtsysteme sichern. Eine karge Aussicht also für all jene, die die Auswirkungen der Klimakrise bereits seit Jahren zu spüren bekommen und weder die Mittel noch Wege besitzen, um sich künftig davor zu schützen. 11)taz: Kolonialismus und Klimakrise: 500 Jahre Umweltrassismus; Artikel vom 18.11.2019 12)Youtube: Norio – Technologie und Weltraum: Ist Geoengineering unsere Rettung?; Video vom 13.09.2020
Das Kollektiv Black Earth aus Berlin will sich ebenso wenig mit halbherziger Symptombekämpfung begnügen und fordert daher, die Perspektiven von Schwarzen Menschen, Indigenen und People of Color (BIPoC) bei der Bekämpfung der Klimakrise sichtbarer zu machen. “Heute sind es vor allem BIPoC, die zuerst und direkt von der Erderhitzung betroffen sind.” sagt Samie Blasingame in einem Interview. Die 30-jährige studierte Environmental Policy and Planning an der Freien Universität Berlin und ist Teil des Kollektivs. Ziel der Gruppe ist vor allem die Beendigung der ausbeuterischen Produktions-, Wirtschafts- und Lebensweise auf Kosten der Ökosysteme und Menschen im Globalen Süden, die gleichberechtigte Beteiligung von Menschen und Ländern des Globalen Südens in allen klimapolitischen Entscheidungsprozessen, sowie eine Politik, die alle marginalisierten Menschen, darunter BIPoC, Menschen ohne Aufenthaltsstatus, queere und trans*inter, nicht-binäre Menschen miteinschließt. 13)Black Earth Kollektiv – aufgerufen am 23.02.2021 14)taz: Nominierte 2020: Black Earth Kollektiv: Klimagerechtigkeit intersektional denken; Stand vom 23.02.2021 15)Youtube: Berlin for India:@Samie Bee (Black Earth) – Protest in solidarity with farmers in India, Rathaus Neukölln, 09.01.2021
Der kapitalistische Umgang der Unternehmen mit der Bevölkerung wird nie die Fürsorge hervorrufen, die es für eine gerechtere Gesellschaft braucht. Vielmehr brauchen wir eine Diskussion, die zum Handeln und zur Unterstützung der am stärksten gefährdeten Länder und Menschen führt, die mit den Auswirkungen des Klimawandels zu kämpfen haben. Der Kampf für Klimagerechtigkeit muss intersektional gedacht werden. Ungerechtigkeiten, die mit der Klimakrise zusammenhängen – sprich Rassismus, Sexismus und Kapitalismus – müssen mitgedacht werden, um die Dimensionen der Unterdrückung zu überwinden.
Fußnoten und Quellen:
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