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Was bringt Menschen dazu, ihre Heimat zu verlassen und ein besseres Leben zu suchen? | Bild: © earthlink e.V. [alle Rechte vorbehalten] -
Repression und Folter in Ägypten – eine Diktatur genießt internationales Ansehen
Der 25. Januar 2010 markiert in Ägypten den Beginn des Arabischen Frühlings. Ein Auftakt von Protesten läutete den Umsturz eines Regimes ein, das seit Jahren für Willkür, Gewalt und schlechte Regierungsführung stand. Zehntausende strömten auf den zentralen Platz von Kairo, den Tahrir, um für bessere Lebensverhältnisse, Freiheit und soziale Gerechtigkeit zu demonstrieren.
Zehn Jahre später ist der Kampf um Freiheit längst nicht ausgefochten – Tausende Menschen, die an vorderster Front für soziale und politische Gerechtigkeit kämpften, sind bis heute in ägyptischen Gefängnissen inhaftiert. Dort sind sie der Folter, Misshandlung und gezielten Unterversorgung einer Regierung ausgesetzt, die trotz allem internationales Ansehen genießt.
10 Jahre Arabischer Frühling
Angeführt wurden die Proteste des Arabischen Frühlings in Ägypten vor allem von Jugendlichen, die sich schon seit 2005 Gehör über die hohe Arbeitslosigkeit und Wohnungsnot verschaffen wollten und wiederholt für ihre Rechte auf die Straße gingen. Angesichts der zunehmenden Unzufriedenheit in der Bevölkerung überrascht es kaum, dass lediglich ein Tropfen nötig war, um das Fass zum Überlaufen zu bringen. Zum einen war dies die Uneinigkeit des Mubarak-Regimes über den zukünftigen politischen Kurs des Landes. Zum anderen der Beginn des Arabischen Frühlings in Tunesien, wo mit dem Sturz des tunesischen Langzeitherrschers Zine el-Abidine Ben Ali der erste und größte Erfolg der Bewegung verzeichnet wurde. Der revolutionäre Funke sprang auf die Kairoer*innen über und Menschen unterschiedlichster Lager und ideologischer Gesinnungen riefen zum Aufstand auf. Es dauerte nicht lange und die Parteizentrale von Mubaraks Einheitspartei NDP, “Symbol der korrupten Regierung”, stand in Flammen. Zunächst herrschte Riesenhoffnung, dann folgte Ernüchterung. Nach wochenlangen Massenprotesten trat der Diktator Husni Mubarak im Februar 2011 zurück und ermöglichte so eine demokratische Öffnung mit freien Wahlen. Die Muslimbrüder unter Mohammed Mursi gelangten an die Macht. Der so lang ersehnte Wandel schien geschaffen, doch die desolate Lage der Wirtschaft und das Militär blockierten. Der so lang ersehnte Wandel blieb jedoch aus – die neue Regierung setzte alles daran, Ägypten in ein islamistisches Land umzubauen, anstatt die Bevölkerung angesichts der desolaten Wirtschaftslage zu einen. Das Militär entzog sich jeglicher Kooperation und putschte sich 2013 unter Abdel Fattah al-Sisi zurück an die Staatsspitze. Seitdem leitet dieser das Land mindestens so autoritär wie einst Mubarak. 1)vorwärts: Arabischer Frühling in Ägypten: Eine gescheiterte Revolution; Artikel vom 25.01.2021 2)bpb: Arabischer Frühling; nicht mehr verfügbar
Politischen Gefangenen droht Folter und Misshandlung
Routinemäßig finden Verschleppungen und Folter durch die Polizei und die Behörde für Nationale Sicherheit statt, sowie Verhaftungen zehntausender durch die Regierung aus politischen Gründen. Jede Form der Opposition und Kritik wird von den Behörden mit Terrorismus gleichgesetzt und in großem Umfang mit dem Tod bestraft. 3)Human Rights Watch: Ägypten: Beharrlicher Widerstand gegen brutale Unterdrückung; Artikel vom 14.01.2020 4)Human Rights Watch: Egypt; Stand vom 15.02.2021
Der Amnesty-Bericht „‚What do I care if you die?‘ Negligence and denial of health care in the Egyptian prisons“ zeigt mit dokumentierten Hafterfahrungen von 67 Personen, wie skrupellos das Regime gegen Kritiker vorgeht. “Folter, Misshandlungen und gezielte Unterversorgung” sind in ägyptischen Gefängnissen “an der Tagesordnung”, berichtet Markus N. Beeko, Generalsekretär von Amnesty International in Deutschland. “Amnesty liegen Belege vor, wie Gefängnisbehörden teils unter Berufung auf Anweisungen der Nationalen Sicherheitsbehörde regierungskritische Gefangene ins Visier nehmen und ihnen angemessene Ernährung oder Familienbesuche verweigern. Auch die Verweigerung notwendiger medizinischer Versorgung wird bewusst als Strafe eingesetzt.” Die Lage für Inhaftierte ist derart katastrophal, dass 2013 hunderte Menschen in Gewahrsam gestorben sind. Das Bekanntgeben offizieller Zahlen scheitert bislang an den Behörden. Auch die Zulassung unabhängiger Untersuchungen zu den Todesfällen bleibt aus. 5)DER SPIEGEL: Amnesty-Bericht über ägyptische Gefängnisse: »Folter, Misshandlungen und gezielte Unterversorgung«; Artikel vom 25.01.2021 6)Amnesty International: Ägypten: Zehn Jahre nach „Arabischem Frühling“ sind Gefangene in Lebensgefahr; Artikel vom 25.01.2021
Bis heute halten die Verhaftungen und Repressionen an – so wurden bei Protesten gegen die nahezu vollständige Einschränkung der Versammlungsfreiheit und den Präsidenten am 20. September 2019 rund 4.400 Demonstranten verhaftet. Angeordnet durch die Oberste Staatsanwaltschaft (SSSP) und begründet durch den Vorwurf der „Mitgliedschaft in einer terroristischen Gruppe“ sowie der „Verbreitung von Falschnachrichten”. In mehreren Fällen kam es durch den Einsatz von Sondergerichten zu grob unfairen Prozessen und Todesurteilen.
Im vergangenen Jahr wurde die Macht al-Sisis durch Reformen erheblich ausgebaut und gefestigt. Gleichzeitig macht sich jedoch der Widerstand der Ägypter*innen, die für Freiheit und Rechtsstaatlichkeit kämpfen, immer häufiger bemerkbar. 7)Human Rights Watch: Ägypten: Beharrlicher Widerstand gegen brutale Unterdrückung; Artikel vom 14.01.2020 8)Human Rights Watch: Egypt; Stand vom 15.02.2021 9)Amnesty International: Egypt; Stand vom 15.02.2021
Die Arabellion lebt weiter
Die Mathematikprofessorin Laila Soueif ist mit ihrer Familie in Ägypten bereits seit Januar 2011 bekannt für ihren Kampf gegen die Repression: “Du hast die Wahl, das still auszuhalten oder laut gegen Unrecht zu sprechen. Ich wäre sehr unglücklich und verärgert über mich selbst, würde ich da still bleiben.” Der Weg zur Selbstbefreiung muss besonders von der ägyptischen Bevölkerung beschritten werden, Hilfe von außen sei nur wenig zielführend. “Ich fordere von [europäischen Regierungen] nicht, unsere Regierung zur Rechenschaft zu ziehen, das ist unser Job.” Sinnvoller wäre es, Ägypten “in deren Außenpolitik zur Rechenschaft [zu] ziehen.” 10)taz: Aktivistinnen über ägyptische Revolution: „Statt Hoffnung eine Portion Wut“; Artikel vom 20.12.2020
Doch von Sanktionen oder Ächtung des al-Sisi-Regimes durch westliche Außenpolitik ist keine Spur. Vielmehr unterhalten die USA und EU-Staaten, darunter Deutschland, eine beinahe freundschaftliche Beziehung zum Repressionsstaat. Unter dem Deckmantel der Entwicklungshilfe und Demokratisierung investiert Deutschland jährlich bis zu 1,6 Milliarden Euro in eine “nachhaltige Wirtschaftsentwicklung, Wasser- und Abfallwirtschaft sowie Förderung von erneuerbaren Energien und Energieeffizienz”. Die Bundesrepublik ist nach China sogar zweitgrößter Handelspartner von Ägypten und unterstützt dessen Führung jährlich mit Rüstungsgütern von mehreren hundert Millionen Euro – 750 Millionen Euro waren es allein im Jahr 2020. 11)taz: Aktivistinnen über ägyptische Revolution: „Statt Hoffnung eine Portion Wut“; Artikel vom 20.12.2020 12)Amnesty International: Ägypten: Zehn Jahre nach „Arabischem Frühling“ sind Gefangene in Lebensgefahr; Artikel vom 25.01.2021
Wenn eine ernsthafte nachhaltige und positive Entwicklung der Menschenrechte in Ägypten angestrebt werden soll, dürfen Verbrechen an politischen Gefangenen und Regierungsgegnern nicht weiter geduldet werden. Zuschüsse und Liberalisierungen im Namen der Demokratisierung führen kaum zu mehr Meinungsfreiheit, wenn sie allein jenen zukommen, die versuchen, diese zu unterschlagen. Der Bevölkerung muss die Stimme zurückgegeben werden, die sie braucht, um ihren Kampf um Freiheit auszuführen.
Fußnoten und Quellen:
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