Piraterie als Symptom: Somalia wehrt sich gegen die Ausbeutung durch Industrieländer
Somalia, das Land am Horn von Afrika, steht auf Platz zwei der Liste von gescheiterten Staaten. Als ehemalige italienische und britische Kolonie konnte es sich bis heute nicht von dem Eingreifen von außen erholen. Das Land ist tief verstrickt in Terror und Bürgerkrieg, ohne funktionierende Regierung. Piraterie ist in den Küstengebieten und Gewässern Somalias bis weit auf den Indischen Ozean hinaus verbreitet. Gift, Raubfischerei, Piraten und Frust. Welche Rolle spielen ausländische Akteure dabei?
Nach dem zerstörerischen Tsunami der 2004 Somalias Küste erreicht, bleiben rostige Fässer am Strand zurück. Darin befindet sich hochgiftiger Abfall aus der Chemie-, Schwermetall– oder Atomindustrie. Die Flutwellen schwemmen die Fässer an die Strände, welche zuvor weit draußen vor Somalias Küsten von ausländischen Tankern im Meer versenkt werden. Der Giftmüll kommt aus reichen Industrieländern. Mit dem steigenden Wohlstand der modernen Wirtschaftsnationen fällt täglich immer mehr gefährlicher Abfall an. Diesen ordnungsgemäß zu entsorgen, ist in Europa sehr teuer. Die Entwicklungsländer Afrikas bieten daher eine attraktive Alternative für die Verklappung des Giftmülls. Zwar illegal, aber dafür billig. Seit den 80er Jahren wird Somalia laut Umweltorganisationen wie Greenpeace und United Nations Environmental Program (UNEP) massiv von ausländischen meist mafiösen Firmen zur Giftmüllverklappung genutzt. Das Land bietet hervorragende Voraussetzungen dafür, da seit nun mehr als 30 Jahren Bürgerkrieg und Anarchie herrschen. Somalia wird von Warlords der rivalisierenden Clans und der islamistischen Terrormiliz Al-Shabaab beherrscht, nicht von Gesetzen und Rechtsstaatlichkeit. Die somalischen Parteien und bewaffneten Gruppierungen akzeptieren das Entsorgen von toxischen und radioaktiven Abfällen. Im Austausch fordern sie Waffen, Munition und Geldbeträge, die in Europa um Längen höher wären. Die Müllverklappung ist somit einer der Treiber für den anhaltenden bewaffneten Konflikt. 1) somalitalk: the evidence of toxic and radioactive wastes dumping in Somalia and its impact on the enjoyment of human rights: a case study; aufgerufen am 18.02.2021 2) youtube: Somalia und die Giftmüllmafia; aufgerufen am 18.02.2021 3) gebende-hände: Somalia: vom Bürgerkriegsland zur radioaktiven Müllkippe Europas; aufgerufen am 18.02.2021
Somalische NGOs untersuchten 2006 bis zu 40 der vom Tsunami angespülten Fässer. Einige waren noch intakt, andere sind über die Zeit und durch die Flutwellen beschädigt oder geplatzt. Der Inhalt ergoss sich ins Meer oder versickerte ins Grundwasser. Seit die gefährlichen Fässer an der Küste aufgetaucht sind, leiden Umwelt und Bevölkerung unter den Folgen. Die Fischbestände sind vergiftet, tote Fische treiben an den Strand. Auch die Küstenbewohner klagen über gesundheitliche Probleme, Hautentzündungen, Kopfschmerzen, Blutungen oder Durchfall. Die Angst unter den Menschen ist groß, da Kinder bereits mit Missbildungen und Krankheiten geboren werden. Mediziner sprechen von Krankheiten, die sie in Somalia noch nie erlebt haben. 4) youtube: Somalia und die Giftmüllmafia; aufgerufen am 18.02.2021 5) gebende-hände: Somalia: vom Bürgerkriegsland zur radioaktiven Müllkippe Europas; aufgerufen am 18.02.2021
Ausländische Raub-Fischerei stielt Somaliern die Lebensgrundlage

(c) AMISOM Public Information [CC0 1.0] – flickr
Das große Problem zeigt sich hier wieder für die einheimische Bevölkerung. 70 Prozent der an den Küsten lebenden Menschen bestritten einst den Lebensunterhalt mit dem Fischfang. Jetzt sind es lediglich 5 Prozent. Die großen ausländischen Trawler fangen den einheimischen Fischern die Beute weg. Damit geht ihnen die Existenzgrundlage verloren, die Menschen werden arbeitslos, haben keine Perspektive mehr und häufig leidet die ganze Familie unter Hunger. Der Fisch, der eigentlich Nahrungsquelle der Somalier ist, landet nun auf den Tellern in Europa und Asien. Stattdessen bildet sich in Somalia eine humanitäre Krise, für welche aus Europa Hilfslieferungen und finanzielle Unterstützung kommen. 9) somalitalk: the evidence of toxic and radioactive wastes dumping in Somalia and its impact on the enjoyment of human rights: a case study; aufgerufen am 18.02.2021 10) online.uni-marburg: Piraten vor Somalias Küsten: Kanonenbootdiplomatie oder Friedenspolitik?; aufgerufen am 19.02.2021
NGOs, somalische Behörden und Fischer sowie internationale Organisationen kritisieren die Raubfischerei und die Giftmüllabladung durch ausländische Akteure. Sie bitten um internationale Hilfe, doch ohne Erfolg. Die illegalen Machenschaften erlangen in der Weltengemeinschaft nur wenig Interesse. In der Öffentlichkeit des Westens wird stattdessen vorrangig über nur ein Problem berichtet: Piraterie. Die moderne Piraterie in Somalia beeinträchtigt den internationalen Handel. Somalia liegt strategisch sehr bedeutend am Horn von Afrika, direkt an der Meerenge Bab al Mandab. Der Großteil der Schiffe auf dem Weg zwischen Europa und dem östlichen Asien passieren dieses Nadelöhr zwischen dem Golf von Aden und dem Roten Meer. Es geht hauptsächlich um Handelsgüter wie Erdöl. Daher reagiert die Weltengemeinschaft umgehend mit militärischer Präsenz. Die NATO, Russland, China, Indien, Korea, der Iran aber auch die EU versuchen durch das Militär, die Schiffe vor den Überfällen somalischer Piraten zu schützen. 11) somalitalk: the evidence of toxic and radioactive wastes dumping in Somalia and its impact on the enjoyment of human rights: a case study; aufgerufen am 18.02.2021 12) youtube: Im Land der Piraten – Terror vor Somalias Küsten; aufgerufen am 18.02.2021
Mit Piraterie gegen Piraterie – internationale Kräfte bangen um ihre illegalen Geschäfte

(c) AMISOM Public Information [CC0 1.0] – flickr
Die internationale Staatengemeinschaft geht mit Militärpräsenz gegen somalische Piraten vor, um die Fischpiraten aus eigenen Reihen zu schützen. Nichts wird gegen die rechtswidrige Giftmüllabladung getan. Stattdessen fördert die EU mit Subventionen die Fischerei und damit den Hunger in Somalia und weigert sich, die nachweislich aus Europa stammenden giftigen Abfälle zu untersuchen und ordnungsgemäß zu entsorgen. Die EU, das Nachbarland Kenia, maritime Weltmächte wie die Volksrepublik China – jeder bedient sich an dem Staat, welcher seit 30 Jahren nicht zurück auf eigene Beine finden kann. Es ist leicht das bitterarme Land als Mülldeponie und Fischfangbecken zu nutzen. Doch wenn sich die Menschen wehren, müssen ausländische Akteure um ihre eigenen illegalen Machenschaften bangen. Dass sie selbst diese Entwicklung erst provoziert haben, interessiert sie natürlich nicht. 16) wissenschaft und frieden: von Fischen, Fischern und Piraten; nicht mehr verfügbar
Zu diesen Krisen kommen für die Bevölkerung weitere humanitäre Probleme hinzu. Langanhaltende Dürren, abwechselnd mit Sturmflutartigen Regenfällen zerstören Ernten und Behausungen. Eine Heuschreckenplage führt ebenfalls zu akuter Lebensmittelknappheit. Millionen Somalier leiden an Hunger. Mit 2,6 Millionen Vertriebenen gehört Somalia zu den Ländern mit den meisten Binnenflüchtlingen. Fast 1 Millionen Menschen flohen in andere Länder, hauptsächlich in die Nachbarländer Kenia, Äthiopien und den Jemen. Dabei sind nicht allein die Perspektivlosigkeit und der Hunger Motor hinter diesen Entscheidungen. Hundert Tausende müssen vor den Kämpfen, Bomben, Schusswechseln und terroristischen Anschlägen zwischen den verschiedenen bewaffneten Gruppen, Milizen und Warlords flüchten. Somalia ist wohl eines der gefährlichsten Länder der Welt. Seit Jahrzehnten wirkt die Weltengemeinschaft der Abwärtsspirale nicht entgegen, sondern befeuert sie noch, indem sie das Land ausbeutet und mit Waffen versorgt. 17) uno-flüchtlingshilfe: Flüchtlingssituation in Somalia; aufgerufen am 22.02.2021
Fußnoten und Quellen:
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