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Äthiopische Flüchtlinge suchen Schutz im Sudan | Bild: © ©UNHCR/Olivier Jobard [Copyright] - UNHCR
Äthiopien: Militäroffensive in Tigray droht das Land zu spalten
Seit Jahren droht der Konflikt zwischen der Volksbefreiungsfront Tigray (TPLF) und äthiopischen Streitkräften zu eskalieren. Das Land befindet sich im Umbruch und wer auch immer die Oberhand gewinnt, wird einen Systemwechsel einleiten.
Am vierten November 2020 erschien der äthiopische Ministerpräsident Abiy Ahmed Ali im Staatsfernsehen, um eine Militäroffensive der äthiopischen Streitkräfte (englisch Ethiopian National Defense Forces, kurz ENDF) auf die TPLF und somit die Region Tigray anzukündigen. Dem vorausgegangen war ein Anschlag auf äthiopische Militärbasen und Bundeskräfte in der regionalen Hauptstadt Mekelle und in anderen Lagern in Tigray, mutmaßlich verübt von TPLF-Kräften. Die Worte blieben nicht ohne Taten und was folgte, waren anhaltende Berichte von Luft- und Bodenangriffen auf militärische Einrichtungen der Tigray-Regionalkräfte sowie gewaltsame Übergriffe auf die Zivilbevölkerung selbst.

Ministerpräsident Abiy Ahmed Ali |Bild: © GovernmentZA [CC BY-ND 2.0] – flickr
Menschen fliehen in den Sudan
Mit Beginn der Militäroffensive riegelte Abiy Ahmed, laut Medienberichten, die gesamte Region von jeglicher Kommunikation ab und lässt weder Nahrungsmittel noch humanitäre Hilfe nach Tigray. Bereits vor Ausbruch der Kämpfe waren die Menschen zum Überleben auf Nahrungsmittellieferungen und medizinische Versorgung von außen angewiesen. Nun verschlechtert sich die Lage für die Bevölkerung so rapide, dass viele gezwungen sind, aus der Region Tigray zu fliehen. Unterbrochene Telefon- und Internetleitungen machen eine unabhängige Berichterstattung über die Lage im Konfliktgebiet kaum möglich, doch diejenigen, die vor der Gewalt fliehen, tragen die Botschaft der Gräueltaten weiter.
Der 31-jährige Geografielehrer Berhane floh mit seiner Tochter aus der Stadt Humera in Tigray, nachdem sie schon seit mehreren Tagen Gewehrschüsse und Bomben hörten. Jeglichen Kontakt zu seiner Frau hat er verloren. Sie besuchte ihre Familie, nachdem sie ihre Arbeit als Lehrerin aufgrund der Schulschließungen zu Corona aufgeben musste. “Dieses Jahr ist ein besonders stressiges Jahr, weil das Coronavirus einen gravierenden Einfluss auf unser tägliches Leben, die Wirtschaft und unsere psychische Gesundheit hat und jetzt auch noch dieser Krieg ausgebrochen ist. Alles zusammen stellt für uns eine große Belastung dar”, sagt Berhane. Viele Flüchtende berichten, an der Grenze auf Familienmitglieder zu warten oder darauf hoffen, zurückkehren zu können. Doch im Moment scheint das angesichts der Gewalt, die in Tigray anhält, unmöglich.
Schon jetzt sollen Hunderte Menschen getötet worden sein. Nach Angaben des UN-Flüchtlingshilfswerks flüchteten bereits mehr als 50.000 in das Nachbarland Sudan, wo sie sich auf die sudanesischen Bundesstaaten Kassala und al-Qadarif verteilen. Die meisten davon seien Tigrayaner sowie zur Hälfte Frauen und Kinder „Es ist der größte Menschenstrom in den östlichen Sudan seit zwanzig Jahren. Alles kommt sehr, sehr plötzlich. Innerhalb von drei Wochen hat sich eine veritable humanitäre Krise ergeben“, urteilt die UNHCR-Sprecherin in Nairobi. „Die Menschen kommen erschöpft und verängstigt an. Viele mussten sehr schnell fliehen, oft nur mit den Kleidern, die sie am Leib hatten. Sie hörten, dass die Kämpfe sie erreichen würden, und mussten sofort aufbrechen.“5)der Freitag: Es gibt kein Pardon; Artikel vom 28.11.20206)Deutschlandfunk: Hintergründe und Konfliktlinien: Eskalation in Äthiopiens Tigray-Region; Artikel vom 30.11.2020 7)heise: Äthiopien: Was steckt hinter dem Konflikt in Tigray?; Artikel vom 15.12.2020 8)Human Rights Watch: Äthiopien: Bevölkerung angesichts Eskalationen in Tigray schützen; Artikel vom 13.11.2020 9)Amnesty International: Ethiopia: International humanitarian aid must be allowed into Tigray refugee camps amid food shortage warning; Artikel vom 11.12.202010)UNHCR: UNHCR poised to resume aid delivery to displaced in Tigray; Artikel vom 04.12.2020
Der ethnische Konflikt brodelt weiter

Die Region Tigray | Bild: © Aljazeera [CC BY-SA 4.0] – Wikimedia Commons
Sein zunehmend autokratischer und diktatorischer Kurs kostete ihn letztendlich ebenfalls die Unterstützung der Oromo, die sich nach und nach von ihm und der Regierungskoalition distanzierten. Im Moment stützt sich der Ministerpräsident vor allem auf die Ethnie der Amharen, die sich historisch schon immer in tiefer Rivalität zu den Tigrayanern befunden haben. 11)Deutschlandfunk: Hintergründe und Konfliktlinien: Eskalation in Äthiopiens Tigray-Region; Artikel vom 30.11.202012)heise: Äthiopien: Was steckt hinter dem Konflikt in Tigray?; Artikel vom 15.12.202013)Human Rights Watch: Äthiopien: Bevölkerung angesichts Eskalationen in Tigray schützen; Artikel vom 13.11.2020
Vorerst keine diplomatische Lösung in Sicht
Die Chancen auf eine friedliche Lösung des Konflikts werden als gering eingeschätzt, da sich mit der Volksbefreiungsfront Tigray und ENDF zwei ebenbürtige und militärisch gut ausgerüstete Akteure gegenüberstehen. Auch gibt es keine Anzeichen auf Bemühungen um Frieden, kündigte die Regierung Abiy zuletzt an, die TPLF vernichten zu wollen. Die Polizei solle nun nach “TPLF-Kriminellen” suchen und sie vor Gericht stellen. Aus Sicht der Regierung handelt es sich bei der Offensive lediglich um eine “Gesetzesvollzugs-Operation” gegen eine Gruppe, die sich der Zentralregierung widersetzt. Der Friedensnobelpreisträger ignorierte bislang alle internationalen Appelle zu einer friedlichen Beilegung des Konflikts und lehnte Vermittlungsangebote als eine Einmischung in die inneren Angelegenheiten ab. Auch die TPLF betonte bereits vor Beginn der Kämpfe, dass sie an Verhandlungen mit Addis Abeba nicht interessiert sei – die Freilassung von inhaftierten Anführern gelte als Voraussetzung für jegliche Gespräche.
In den vergangenen Wochen habe es von beiden Seiten so viele verbale und politische Eskalationen gegeben, dass für eine politische Lösung „der Spielraum wahrscheinlich irgendwann erschöpft war“, sagt Michael Tröster, Leiter des Regionalbüros der Friedrich-Ebert-Stiftung in Äthiopien. Dauern die Kämpfe noch länger an, würde das nicht nur große Teile der Bevölkerung bedrohen, sondern ebenfalls eine ernste Bedrohung der verfassungsmäßigen Ordnung und Stabilität darstellen. Die Regierung zeigt im Moment jedenfalls, dass sie dazu bereit ist, alles zu tun, um gegen Regionalregierungen vorzugehen. Eine Provokation für all die Regionen des Landes, deren regionale Akteure mehr Autonomie einfordern. Je länger der Konflikt andauert, umso mehr droht dem Land der Zerfall. 14)DER SPIEGEL: Krieg in Äthiopien: Ein Land vor dem Zerfall; Artikel vom 24.11.2020 15)Deutschlandfunk: Hintergründe und Konfliktlinien: Eskalation in Äthiopiens Tigray-Region; Artikel vom 30.11.2020