![So wie auf diesem Foto sieht es in fast allen Regionen des Nigerdeltas aus: Öllecks aufgrund von kaputten Pipelines verursachen in Nigeria immer wieder verheerende Schäden für Natur und Mensch. | Bild: "Oil spill at Goi Creek, Nigeria, August 2010." © Friends of the Earth International [CC BY-NC-ND 2.0] - flickr Ölversuchte Landschaft in Goi Creek im Nigerdelta/Nigeria. Im August 2010. So wie auf diesem Foto sieht es in fast allen Regionen des Nigerdeltas aus: Öllecks aufgrund von kaputten Pipelines verursachen in Nigeria immer wieder verheerende Schäden für Natur und Mensch. | Bild: "Oil spill at Goi Creek, Nigeria, August 2010." © Friends of the Earth International [CC BY-NC-ND 2.0] - flickr](https://www.fluchtgrund.de/files/2020/10/NigeriaXoilXspillXGoiXCreek-713x476.jpg)
So wie auf diesem Foto sieht es in fast allen Regionen des Nigerdeltas aus: Öllecks aufgrund von kaputten Pipelines verursachen in Nigeria immer wieder verheerende Schäden für Natur und Mensch. | Bild: "Oil spill at Goi Creek, Nigeria, August 2010." © Friends of the Earth International [CC BY-NC-ND 2.0] - flickr
Ölpest in Nigeria – wie sich westliche Konzerne vor der Verantwortung drücken
Nigeria im Westen Afrikas ist reich an Erdöl. Seit der Entdeckung des Rohstoffs in den 1950er Jahren ist seine Bedeutung für Nigeria kontinuierlich gewachsen, sodass Erdöl heute für 80 Prozent der Staatseinnahmen verantwortlich ist. Gefördert wird das Erdöl im Nigerdelta, einem Gebiet, das etwa der Fläche Bayerns entspricht. Es stellt mit seinem Erdöl- und Gasvorkommen die zentrale wirtschaftliche Lebensader des Landes dar. Zu Anfangszeiten der Förderung galt das „schwarze Gold“ noch als Hoffnungsträger für einen wirtschaftlichen Aufschwung des Nigerdeltas, mit neuen Arbeitsplätzen und verbesserten Lebensbedingungen für Nigerianerinnen und Nigerianer. Doch nur die wenigsten in Nigeria profitieren von diesem Reichtum. Das Geld, das die internationalen Konzerne für die Ölförderung bezahlen, teilt eine kleine korrupte Elite in den fernen Großstädten Abuja und Lagos unter sich auf. Die überwältigende Mehrheit der Bevölkerung lebt trotz immenser Bodenschätze und großem Reichtum des Landes in absoluter Armut. Viele können nicht einmal ihre Grundbedürfnisse abdecken. 1)UN Development Programme: Niger Delta Human Development Report 2006; abgerufen am 02.11.2020 2)nowestversusrest: Das Erdögeschäft in Nigeria: Finanzielle Profite internationaler Konzerne auf Kosten der lokalen Bevökerung und Umwelt; Artikel vom 03.01.2020 3)Bundeszentrale für politische Bildung: Nigeria; Artikel vom 06.07.2020 4)Süddeutsche Zeitung: Shells Schande; Artikel vom 08.01.2015 5)tagesschau.de: Der Fluch des Öls; Artikel vom 16.11.2012
Zusätzlich müssen die Bewohner des Deltas mit den Folgen der Umweltverschmutzung leben, die durch die Ölförderung entstehen. In den vergangenen 50 Jahren sind aufgrund von Lecks in den Anlagen schätzungsweise neun bis dreizehn Millionen Barrel Öl ins Ökosystem ausgetreten. Es handelt sich um eine der größten Umweltkatastrophen weltweit. Teilweise werden die Lecks über Wochen nicht behoben. Jedes Jahr laufen geschätzt 180.000 Tonnen Rohöl in das Delta. Auch die oberirdisch verlegten Ölpipelines, die sich durch die Landschaft ziehen, sind oft undicht und schädigen so die Natur schwer. Die Landschaft des Nigerdeltas mit seinen Mangrovenwäldern und Sümpfen ist weitestgehend vom Öl zerstört. Die Böden, insbesondere wertvolles Ackerland, und die Flüsse im Nigerdelta sind bis zu fünf Meter tief mit Öl verseucht. Damit sind auch die Fischbestände und das Trinkwasser vergiftet. Dreiviertel der Bevölkerung in der Region leben von der Fischerei und ihrer landwirtschaftlichen Subsistenzwirtschaft. Durch die anhaltenden Umweltverschmutzungen der Ölkonzerne sind ihre Lebensgrundlagen stark bedroht.6)tagesschau.de: Der Fluch des Öls; Artikel vom 16.11.2012 7)nowestversusrest: Das Erdögeschäft in Nigeria: Finanzielle Profite internationaler Konzerne auf Kosten der lokalen Bevökerung und Umwelt; Artikel vom 03.01.2020 8)Amnesty International im Oktober 2015; abgerufen am 02.11.2020 9)Arte Reportage: Nigeria: Und ewig währt die Ölpest; Reportage vom 29.01.2011; abgerufen am 02.11.2020 10)UN Environment Programme: Environmental Assessment of Ogoniland 2011; abgerufen am 02.11.2020 11)UN Development Programme: Niger Delta Human Development Report 2006; abgerufen am 02.11.2020
Zudem leidet die Gesundheit der Menschen im Nigerdelta unter den Umweltschäden: Ungenutzte Gase, die bei der Ölförderung freigesetzt werden, werden meistens einfach abgebrannt, anstatt sie sinnvoll zu nutzen. Viele der Substanzen, die beim Abfackeln entstehen, sind nachweislich gefährlich für Pflanzen, Tiere und Menschen in der direkten Umgebung. Durch die Luftverschmutzung hat die Bevölkerung mit Hustenanfällen, Atemproblemen und saurem Regen inklusive schlechter Ernten zu kämpfen. Von der Klimabilanz ganz zu schweigen. Und das, obwohl der Oberste Gerichtshof Nigerias bereits 2005 die Praxis als Verstoß gegen die Menschenrechte der Delta-Bewohner verurteilt und für illegal erklärt hatte. Das Urteil wurde von der Ölindustrie nie angefochten und hat also bis heute Bestand. Das Problem: Die Bußgelder sind oft zu gering und werden auch nur sporadisch erhoben. Deshalb kümmern sich die Ölfirmen wenig um Recht und Gesetz in Nigeria und kalkulieren vereinzelte Strafzahlungen für ihre Umweltsünden sogar mit ein. 12)Deutsche Welle: Nigerdelta: Das giftige Gas; Artikel vom 03.11.2017
Damit ist die Bevölkerung Nigerias in doppelter Hinsicht der Verlierer: Während der Profit an die Eliten im eigenen Land oder an ausländische Ölkonzerne geht, bleiben ihnen die unschönen Nebenwirkungen der Ölförderung erhalten – und bedrohen ihre ohnehin schon wackelige Existenz.
Vor allem ein britisch-niederländische Ölkonzern steht seit Jahren immer wieder in den Schlagzeilen im Zusammenhang mit seinen Erdölprojekten in Nigeria und dessen Folgen. Eine der besonders betroffenen Regionen im Nigerdelta ist das Land des Ogoni-Volkes. Seit Jahrzehnten sind Böden, Mangrovensümpfe, Flussläufe, Fischreviere und sogar das Trinkwasser im Ogoniland massiv verseucht: durch ausgelaufenes Rohöl, schlecht gewartete Anlagen und illegale Raffinerie-Betriebe. Die Lebensbedingungen der dort ansässigen Ogoni haben sich seitdem erheblich verschlechtert. Die ethnische Gruppe protestiert bereits seit den 1990er Jahren mit friedlichen Mitteln gegen die Bereicherung korrupter Eliten, die verweigerte ökonomische Entwicklung der Region, Umweltverschmutzung, Repression durch die bewaffneten Kräfte von Staat und Ölgesellschaften und eine Kultur der Straflosigkeit. Einer der schlimmsten Vorfälle der vergangenen Jahre ist bis heute noch nicht vollständig aufgearbeitet: Im Jahr 2008 sorgten in der nigerianischen Kommune Bodo Schäden an zwei Pipelines dafür, dass wieder einmal Öl auslief und die Umwelt verseuchte. Nach Schätzungen von Amnesty International waren es wohl mehrere Hunderttausend Liter Öl, eine genaue Angabe veröffentlichte Shell nie. Amnesty International forderte den verantwortlichen Konzern Shell wiederholt auf, angemessene Entschädigungen zu zahlen, die Umweltschäden zu beseitigen und seine Pipelines sicherer zu machen. Unterstützt wurde diese Forderung auch von einem Bericht des Umweltprogramms der Vereinten Nationen (UNEP) aus dem Jahr 2011, der ebenfalls die massive Ölverschmutzung in der Region Ogoniland anprangert. Dennoch unternahm Shell für weitere vier Jahre nichts in diese Richtung. Erst 2015, sechs Jahre nach der Ölkatastrophe in Bodo, einigte sich das nigerianische Tochterunternehmen des Konzerns mit den Bewohnern der Kommune auf Schadenersatzzahlungen von rund 70 Millionen Euro. Zwar bekamen die geschädigten Bewohner je ca. 2700 Euro direkt ausgezahlt – eine hohe Summe für die Menschen in einem Land, in dem zwei Drittel in der Region unterhalb der Armutsgrenze leben und der gesetzliche Mindestlohn bei 80 Euro im Monat liegt. Nach den Maßstäben der globalen Ölwirtschaft ist das jedoch eine geradezu läppische Summe.13)Deutschlandfunk: Der Fluch im Nigerdelta; Artikel vom 27.07.2017 14)nowestversusrest: Das Erdögeschäft in Nigeria: Finanzielle Profite internationaler Konzerne auf Kosten der lokalen Bevökerung und Umwelt; Artikel vom 03.01.2020 15)Amnesty International: Ölpest im Nigerdelta; Artikel vom 07.01.205 16)Der Tagesspiegel: „An Skrupellosigkeit kaum zu überbieten“; Artikel vom 04.08.2014 17)UN Environment Programme: Environmental Assessment of Ogoniland 2011; abgerufen am 02.11.2020 18)Süddeutsche Zeitung: Shells Schande; Artikel vom 08.01.2015
Zumal es über diesen Teilerfolg hinaus wenig Grund zum Feiern gibt. Die Ursachen für das Elend bleiben bestehen, die nächsten Katastrophen sind vorprogrammiert; schließlich verlaufen durch die Region noch unzählige weitere Pipelines, die ähnlich schrottreif sind. Und die umfassende Säuberung des Nigerdeltas inklusive Ogoniland hat auch immer noch nicht stattgefunden: Die in dem UNEP-Bericht von 2011 vorgeschlagenen Notfallmaßnahmen wurden von den im Nigerdelta vertretenen Ölkonzernen nicht umgesetzt. Das milliardenschwere Säuberungsprojekt, das 2016 von der nigerianischen Regierung gestartet wurde, stellte sich als wirkungslos heraus. Laut Amnesty International haben die Arbeiten nur in elf Prozent der verschmutzten Stätten begonnen, während weite Flächen immer noch massiv kontaminiert sind. An gerade mal fünf Prozent der verseuchten Orte gibt es aktuelle Bemühungen, die Umweltschäden zu beseitigen. Keine der erfassten Verschmutzungsstätten wurde bislang vollständig bereinigt. 19)Süddeutsche Zeitung: Shells Schande; Artikel vom 08.01.2015 20)Deutschlandfunk: Der Fluch im Nigerdelta; Artikel vom 27.07.2017 21)Amnesty International: No clean up, no justice: Shell’s oil pollution in the Niger Delta; Artikel vom 18.06.2020
Es bleibt also noch sehr viel zu tun, bis das Ogoniland und das Nigerdelta vollends von den Umweltschäden, die durch die Ölförderung ausländischer Konzerne entstanden sind, befreit sind. Denn das ist wohl das Einzige, was man hier mit Sicherheit sagen kann: Das Ogoniland kann beim Aufräumen nur der Anfang sein, die gesamte Region des Nigerdeltas benötigt eine komplette Reinigung und einen Wiederaufbau. Die Ölkonzerne, allen voran Shell, müssen sich ihre Schuld eingestehen und Verantwortung übernehmen. Dafür, dass sie jahrzehntelang die Gewinne aus dem Ölgeschäft eingestrichen, die verheerenden Nebenwirkungen aber der Bevölkerung überlassen haben.
Fußnoten und Quellen:
Keine Kommentare