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Was bringt Menschen dazu, ihre Heimat zu verlassen und ein besseres Leben zu suchen? | Bild: © earthlink e.V. [alle Rechte vorbehalten] -
Ägypten: Deutschland stützt eine Vorzeige-Diktatur
Von der hiesigen Öffentlichkeit unbeachtet ist es in den letzten Wochen in ganz Ägypten zu Protesten gegen Machthaber Abdel Fattah al-Sisi gekommen. Anlass war das einjährige Jubiläum von ähnlichen Protesten 2019. Wie damals reagierte der Staat auch dieses Jahr wieder mit brutaler Härte: Mit Schlagstöcken, Tränengas und scharfer Munition. Zwei Tote soll es gegeben haben und – je nach Quelle – über 1.000 Festnahmen. 1) DW: Middle East: Egypt: Crackdown intensifies as protests spread to rural poor; Artikel vom 07.10.2020 2) Human Rights Watch: Protests Still Scare Egypt’s Government: Violent State Response No Guarantee of Stability; Artikel vom 13.10.2020 3) Middle East Monitor: Egypt: Nearly 2,000 arrested since September’s protests; Artikel vom 12.10.2020
Ein solcher Umgang mit größtenteils friedlich demonstrierenden Menschen zeichnet ein gutes Bild von dem Regime, das momentan in Ägypten regiert. Präsident al-Sisi, ein ehemaliger General, ist seit dem Militär-Putsch 2013 an der Macht und seit der Wahl 2014 (mit 96,3 Prozent der Stimmen) offiziell im Amt. In den sechs Jahren, die seitdem vergangen sind, hat er sein Land in die Diktatur geführt. Die Opposition wird mundtot gemacht, NGOs werden schikaniert und Proteste wie die der vergangenen Wochen brutal niedergeschlagen. Der Geheimdienst ist gefürchtet und operiert auch im Ausland. Häufig kommt es zu sogenannten „Enforced Disappearances“: Menschen, die die Regierung kritisieren, verschwinden urplötzlich und tauchen erst Tage oder Wochen später in einem staatlichen Gefängnis wieder auf. Dort werden sie oft monatelang festgehalten und nicht selten gefoltert. Der Vorwand ist stets der gleiche: Terrorbekämpfung. 4) Lüders, Michael: Wer den Wind sät. Was westliche Politik im Orient anrichtet; 2015 5) Arabische Welt: Ägyptens Geheimdienst: Ein langer Schatten; Artikel vom 18.07.2020 6) Amnesty International: Permanent State of Exception: Abuses by the Supreme State Security Prosecution; Bericht vom November 2019

Ägyptens Präsident al-Sisi | Bild: © Kremlin.ru [CC BY 4.0] – Wikimedia Commons
Mit Ägypten lassen sich nun mal gute Geschäfte machen. 2019 betrug das ägyptisch-deutsche Handelsvolumen knapp 4,5 Milliarden Euro. Ägypten ist einer der größten Abnehmer deutscher Waffen. Die Deutschen stellen auch die größte Gruppe der Touristen in Ägypten: 1,8 Millionen waren es im letzten Jahr. Kein Wunder, dass Sisi von westlichen Politikern hofiert wird. Im Januar verlieh der Dresdner Semperopernball ihm sogar den St. Georgs Orden für Politik und Kultur. Der ägyptische Präsident sei ein „Brückenbauer und Friedenstifter“ sowie „Hoffnungsträger und Mutmacher eines ganzen Kontinents“, so die Begründung. Dafür erntete der Verein natürlich massive Kritik und es hagelte Absagen für den Ball. Einen Monat später erkannte man Sisi den Preis wieder ab. Zu Recht, denn der Präsident ist das Gegenteil dessen, wofür man ihn ausgezeichnet hat. Er ist ein Autokrat, den das Wohlergehen seines Volkes wenig kümmert. 8) Auswärtiges Amt: Deutschland und Ägypten: bilaterale Beziehungen; Artikel vom 21.02.2020 9) Stockholm International Peace Research Institute: Arms Transfers Database: Importer/Exporter TIV Tables; Stand 10/2020 10) SZ: Al-Sisi bekommt Semperopernball-Orden wieder aberkannt; Artikel vom 04.02.2020
Bei seinem Amtsantritt hatte al-Sisi freilich große Versprechungen gemacht: Weniger Armut, eine bessere Gesundheitsversorgung, Bildung, Freiheit, Arbeitsplätze und vieles mehr. Gekommen ist davon nichts. Seine Politik ermöglicht es vor allem Militärs und Investoren, sich zu bereichern. Die Last wälzt er auf Mittel- und Unterschicht ab. Millionen Menschen sind während seiner Amtszeit in die Armut gerutscht. Heute lebt ein Drittel der ägyptischen Bevölkerung unter der Armutsgrenze. Doch der Präsident gibt sein Geld am liebsten für die Armee aus – und für immer neue Prestige-Projekte wie Hochgeschwindigkeitsbahnen oder eine neue Hauptstadt in der Wüste. 11) Carnegie Middle East Center: Sada: Sisi’s War on the Poor; Artikel vom 23.09.2020 12) Deutschlandfunk: Ägypten unter Al-Sisi: Leben unter der Armutsgrenze; Artikel vom 08.06.2019 13) Lüders, Michael: Wer den Wind sät. Was westliche Politik im Orient anrichtet; 2015
Auch die versprochene Reform des Gesundheitssystems blieb aus. Folglich war Ägypten denkbar schlecht vorbereitet auf die Coronavirus-Pandemie. Das Land hat (Stand 19.10.2020) die dritthöchsten Fallzahlen in Afrika. Der Lockdown konnte die Armut noch einmal vergrößern. Die ägyptische Statistikbehörde schätzt, dass 70 Prozent der Familien erhebliche Einkommenseinbußen hinnehmen mussten. 14) DW: Corona: Ägypten: Starkes Virus, schwacher Staat; Artikel vom 20.04.2020 15) WHO: Coronavirus Disease (COVID-19) Dashboard; Stand 16.10.2020 16) arte: Ägypten: Armut durch Corona; Video vom 29.09.2020
Dass das Virus sich so gut ausbreiten konnte, liegt auch an dem schlechten Krisen-Management des Regimes. Das zu späte Eingreifen und hohe Fallzahlen wurden vertuscht. Stattdessen schickte Ägypten medienwirksam medizinische Hilfe nach Italien. Kritik daran und Berichte von Knappheiten in den eigenen Krankenhäusern unterdrückte man währenddessen. Außerdem bestellte die Regierung hunderttausende Antikörpertests und ließ sie wie normale Corona-Tests verwenden. Das Problem dabei: Sie zeigen eine Erkrankung nur an, wenn der Ausbruch der Krankheit schon einige Tage zurück liegt. Doch alle Warnungen schlug man in den Wind und ließ damit monatelang medizinisches Personal und Einreisende testen. Das half der Verbreitung des Virus natürlich sehr. 17) tagesschau.de: Corona-Krise in Ägypten: „Wir überlassen das dem lieben Gott“; Artikel nicht mehr verfügbar 18) Youtube: Coronavirus in Egypt: ‚The supervising doctor has tested positive‘ – BBC News; Video vom 16.04.2020 19) BBC: Coronavirus: Why Egypt has faced criticism over antibody tests; Video vom 14.08.2020
Trotz all der Armut, Inkompetenz und Menschenrechtsverletzungen ist Ägypten noch kein Land, aus dem die Menschen in Scharen fliehen. Es ist eher dafür bekannt, über 250.000 Flüchtlinge aufgenommen zu haben, vor allem aus Syrien und dem benachbarten Sudan. Dennoch gibt es durchaus auch Menschen, die Ägypten verlassen. 43.890 ägyptische Flüchtlinge gab es laut UNHCR letztes Jahr. Im Vergleich zu anderen Staaten des Nahen Ostens ist die Zahl der Geflüchteten damit eher niedrig. Doch das könnte sich schnell ändern. Denn die ägyptische Wirtschaft steht schlecht da und die Wut auf al-Sisi wächst – zumindest wenn man den Protesten glauben möchte. 20) UNHCR: Global Trends: Forced Displacement in 2019; Bericht vom Juni 2019
Fußnoten und Quellen:
Peter Müller
Veröffentlicht um 15:57h, 10 NovemberIch bin Peter, 20 Jahre und habe das Abitur mit einem 1,0 Schnitt bestanden. Marius ich finde es sehr toll, dass du dich für den Nahen Osten interessierst. Ich bin Homosexuell und war in Marokko. In Marokko wurde ich, wegen meiner sexuellen Orientierung geschlagen. Ich habe leider nur schlechte Erfahrungen in dem Nahen Osten und würde niemanden empfehlen dort hin zugehen.
Mit freundlicher Grüsse
Peter, Müller