![Präsident Paul Biya regiert Kamerun schon seit 1982. | Bild: © United Nations Photo [CC BY-NC-ND 2.0] - Flickr Paul Biya Präsident Paul Biya regiert Kamerun schon seit 1982. | Bild: © United Nations Photo [CC BY-NC-ND 2.0] - Flickr](https://www.fluchtgrund.de/files/2020/09/KamerunXPaulXBiya-713x495.jpg)
Präsident Paul Biya regiert Kamerun schon seit 1982. | Bild: © United Nations Photo [CC BY-NC-ND 2.0] - Flickr
Kameruns Zivilbevölkerung ist gefangen in einer Gewaltspirale
Im Vergleich zu anderen Ländern Zentralafrikas galt Kamerun lange als stabiler Staat mit wirtschaftlichem Wachstum. Heute jedoch ist das Land zerrissen. Es ist Schauplatz bewaffneter Konflikte, für die kein allzu nahes Ende in Sicht ist. Die gesellschaftlichen und innenpolitischen Spannungen vertiefen sich immer weiter, die Bevölkerung ist gespalten. Im Westen des Landes kämpfen separatistische Rebellengruppen für einen eigenen Staat. Der Norden des Landes ist weiterhin Ziel von Angriffen der Boko Haram. 1) Internationale Politik: Konfliktlinien in Kamerun; Artikel vom 01.03.2020 2) Bundesministerium für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung: Kamerun; zuletzt aufgerufen am 24.09.2020
Konfliktlinien stammen aus kolonialer Vergangenheit

Die anglophone Minderheit Kameruns fühlt sich seit langem diskriminiert – im Bildungssystem, in der Justiz und im Alltag. | Bild: © alvise forcellini [CC BY-NC 2.0] – Flickr
Anglophone Krise begann mit Niederschlagung der Proteste der Minderheit
Im Oktober 2016 bahnte sich die sogenannte „anglophone Krise“ an. Lehrer und Anwälte streikten und versammelten sich auf den Straßen, um gegen eine zunehmende Frankophonisierung in den anglophonen Regionen zu protestieren: nämlich gegen die Einführung französischsprachiger Lehrer an anglophonen Schulen sowie gegen die Beschäftigung frankophoner Anwälte und Richter an anglophonen Gerichten, die nicht hinreichend mit dem Common Law vertraut sind. Sie forderten eine Einhaltung des in der Verfassung verankerten Bilingualismus und mehr öffentliche Repräsentation der anglophonen Kultur. Den Protesten schloss sich rasch die lokale Bevölkerung an, darunter vor allem die unzufriedene Jugend – insbesondere Studenten. Schnell wurde klar, dass die Proteste, die zunächst gegen die Marginalisierung der englischen Sprache und Kultur gerichtet waren, vielmehr Ausdruck einer tieferen Unzufriedenheit mit der sozialen, politischen und wirtschaftlichen Situation des Staates waren. Der Unmut gegen den Reformstau des Präsidenten Paul Biya, der das Land bereits seit 1982 regiert, gegen Korruption und Misswirtschaft, gegen die schlechte Infrastruktur, fehlende Arbeitsmöglichkeiten und mangelnde Zukunftsperspektiven traten zu Tage. Zunächst reagierte die Regierung mit Ignoranz auf die Protestwelle, dann mit gewaltsamer Repression. Mittels Tränengases und Wasserwerfern beendete das Militär die Demonstrationen gewaltsam. Es kam zu Massenverhaftungen von Zivilisten, die an den Protesten teilgenommen hatten. Ganze Dörfer wurden durch Soldaten in Brand gesteckt, mehrere Demonstranten wurden durch Sicherheitskräfte erschossen. Der darauffolgende Dialog mit der Regierung fand ein schnelles Ende, als auch politische Forderungen nach einer Rückkehr zum föderalen System und nach mehr Autonomie für die beiden anglophonen Regionen laut wurden. Die Streiks und Proteste weiteten sich aus, einige Gruppen radikalisierten sich und das öffentliche Leben in den anglophonen Gebieten wurde lahmgelegt. Die Unabhängigkeitsbewegung, die zunächst nur als unbedeutende Randbewegung wahrgenommen worden war, nahm mit zunehmender staatlicher Gewalt an Fahrt auf. Innerhalb eines Jahres wurde daraus ein bewaffneter Aufstand, der vor allem auch von Kamerunern im Ausland unterstützt wird. Die Regierung erklärte die Anhänger der Sezessionsbewegung kurzerhand zu Terroristen und Hochverrätern und fachte so die Gewaltspirale auf beiden Seiten weiter an. Am ersten Oktober 2017 riefen anglophone Separatisten den unabhängigen Staat Ambazonien aus und beanspruchen dabei die anglophonen Gebiete Kameruns. 10) LIPortal: Kamerun; Stand September 2020 11) Bundesministerium für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung: Kamerun; zuletzt aufgerufen am 24.09.2020 12) Internationale Politik: Konfliktlinien in Kamerun; Artikel vom 01.03.2020 13) Deutschlandfunk: Die Krise im anglophonen Teil Kameruns; Artikel vom 18.05.2019 14) New York Times: Chimamanda Ngozi Adichie: The Carnage of the Cameroons; Artikel vom 15.09.2018 15) Friedrich Ebert Stiftung: Kamerun – Die anglophone Krise; Mehr als nur ein Sprachenstreit; Bericht vom August 2017 16) DW: Cameroon: colonial past and present frictions; Artikel vom 31.01.2017
Rebellen und Militär begehen schwere Menschenrechtsverletzungen

Schulen stehen im Zentrum des Konflikts. Immer wieder werden Schüler, Studenten und Lehrkräfte durch Separatisten entführt. | Bild: © Global Partnership for Education – GPE [CC BY-NC-ND 2.0] – Flickr
Auf der anderen Seite gehen Militär und Sicherheitskräfte brutal gegen die anglophone Zivilbevölkerung vor, der sie vorwerfen, Separatisten zu beherbergen oder anderweitig zu unterstützen. Auch ihnen werden zahlreiche Vergehen vorgeworfen, darunter außergerichtliche Hinrichtungen, Folter, Brandschatzung und bewaffnete Überfälle auf Dörfer. Erst im Februar dieses Jahres griffen Regierungstruppen und bewaffnete Fulani ein anglophones Dorf an, plünderten die Häuser und steckten sie in Brand. Dabei wurden mehr als 20 Zivilisten ermordet. 24) LIPortal: Kamerun; Stand September 2020 25) Internationale Politik: Konfliktlinien in Kamerun; Artikel vom 01.03.2020 26) Friedrich Ebert Stiftung: Kamerun – Die anglophone Krise; Mehr als nur ein Sprachenstreit; Bericht vom August 2017 27) Human Rights Watch: Cameroon: Civilians Killed in Anglophone Regions; Attacks as Peace Talks Take Place; Artikel vom 27.07.2020 28) Human Rights Watch: A Chance for Accountability in Cameroon?; Artikel vom 25.06.2020 29) Human Rights Watch: Cameroon: Civilians Massacred in Separatist Area; At Least 21 Killed in Attack on Ngarbuh Village; Set Independent Inquiry; Artikel vom 25.02.2020 30) Human Rights Watch: Cameroon: Election Violence in Anglophone Regions; Investigate Abuses; Ensure Justice; Artikel vom 12.02.2020 31) Amnesty International: Cameroon; Rise in killings in Anglophone regions ahead of parliamentary elections; Artikel vom 06.02.2020 32) Amnesty International: Cameroon 2019; zuletzt aufgerufen am 24.09.2020 33) Amnesty International: Cameroon: Nearly 60 opposition members tortured by security forces; Artikel vom 26.07.2019
Gewalt im Land macht etwa 1 Million Kameruner zu Binnenvertriebenen 34) UNHCR: Cameroon MCO Fact Sheet Juli 2020; Stand Juli 2020
Die Zivilbevölkerung in den anglophonen Gebieten ist gefangen in einer Gewaltspirale, für die bisher kein Ende in Sicht ist. Nach Schätzungen von Human Rights Watch wurden seit Anfang dieses Jahres mindestens 285 Zivilisten in Folge der anglophonen Krise getötet. Inzwischen gibt es allein in den beiden anglophonen Gebieten im Süd- und Nordwesten beinahe 680 000 Binnenvertriebene. Mehr als 50 000 Kameruner sind darüber hinaus ins benachbarte Nigeria geflohen. 35) UNHCR: Cameroon MCO Fact Sheet Juli 2020; Stand Juli 2020 36) Human Rights Watch: Cameroon; Civilians Killed in Anglophone Regions Attacks as Peace Talks Take Place; Artikel vom 27.07.2020

Die anhaltende Gewalt im Land macht etwa 1 Million Kameruner zu Binnenvertriebenen. | Bild: © Utenriksdepartementet UD [CC BY-NC-ND 2.0] – Flickr
Auch wenn die Regierung unter Biya seit 2019 vermehrt Gesprächsbereitschaft signalisiert, lehnt sie Verhandlungen über die verfassungsrechtliche Zugehörigkeit der anglophonen Gebiete und die Einführung einer föderalen Struktur weiterhin ab. Die gewaltsamen Auseinandersetzungen zwischen Militär und Separatisten halten an, nach wie vor werden Zivilisten Opfer von Übergriffen. Eine nachhaltige Lösung des Konflikts ist momentan nicht in Sicht. 46) Internationale Politik: Konfliktlinien in Kamerun; Artikel vom 01.03.2020
Fußnoten und Quellen:
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