![Hier im Osten der Insel Borneo könnte sich schon bald die neue indonesische Hauptstadt erstrecken | Bild: "CIFOR OPAL project 2020" © Ricky Martin/CIFOR [CC BY NC ND] - flickr Ein Fluss schlängelt sich durch das Dorf Sabintulung, Kalimantan Timur. Hier im Osten der Insel Borneo könnte sich schon bald die neue indonesische Hauptstadt erstrecken | Bild: "CIFOR OPAL project 2020" © Ricky Martin/CIFOR [CC BY NC ND] - flickr](https://www.fluchtgrund.de/files/2020/09/east_kalimantan_01-713x401.jpg)
Hier im Osten der Insel Borneo könnte sich schon bald die neue indonesische Hauptstadt erstrecken | Bild: "CIFOR OPAL project 2020" © Ricky Martin/CIFOR [CC BY NC ND] - flickr
Indonesien baut sich eine neue Hauptstadt im Dschungel (Fluchtgrund Jakarta, Teil 2)
Indonesiens Hauptstadt Jakarta ist ein Moloch. Die Straßen sind verstopft, die Luft ist verpestet und überall finden sich Slums. Immer mehr Menschen zieht es in die größte Stadt Asiens, die damit völlig überfordert ist. Zu alledem kommt noch hinzu, dass die Stadt versinkt – an manchen Stellen um bis zu 25 Zentimeter pro Jahr. Teile Jakartas liegen schon unter dem Meeresspiegel und es werden immer mehr. Mehr dazu im Artikel Jakarta: Indonesiens Hauptstadt versinkt.
Wenn nichts passiert, werden in naher Zukunft Millionen Menschen in Jakarta ihr Zuhause verlieren. Deshalb will Joko Widodo, der Präsident von Indonesien, handeln. Im April 2019 verkündete er: Das viertbevölkerungsreichste Land der Welt wird seine Hauptstadt verlegen. Raus aus dem überfüllten und überbelasteten Jakarta, rein in den Dschungel der Insel Borneo. Auf der größten Insel Asiens soll eine komplett neue Hauptstadt aus dem Boden gestampft werden. Andere Länder wie Brasilien, Myanmar, Nigeria oder Australien haben solch einen Umzug in eine Planstadt schon vorgemacht. Auch Ägypten baut sich gerade eine neue Hauptstadt in der Wüste. Baubeginn auf Borneo sollte eigentlich 2021 sein, aber im Zuge der Corona-Pandemie hat man das Projekt vorerst hinten angestellt. Mittlerweile rechnet man mit einem Spatenstich 2022 oder 2023. 1) SZ: Indonesien: Eine Metropole zieht um; Artikel vom 28.08.2019 2) CNA: Asia: Indonesia puts US$33 billion move of capital city on hold to tackle COVID-19 pandemic; Artikel vom 19.08.2020
Hoffnung und Sorge bei den Bewohnerinnen und Bewohnern Borneos

Die neue indonesische hauptstadt soll im Osten Borneos liegen. Der genaue Standort ist noch nicht bekannt. | Bild (bearbeitet): © Uwe Dedering [CC BY-SA 3.0] – Wikimedia Commons
Bisher hat man in Jakarta anscheinend nichts getan, um mit den Einheimischen in Kontakt zu kommen. Nicht einmal über den Bau der Stadt sollen sie informiert worden sein. Die Bodenpreise sind durch Spekulation rapide angestiegen – obwohl die Regierung das eigentlich verhindern wollte. Doch nicht einmal Corona konnte die riesige Nachfrage beenden. Viele Einwohnerinnen und Einwohner haben keine Besitzurkunde für ihr Land und drohen, ihr Land an Investoren zu verlieren. Eine Wohnung in der neuen Stadt wird für sie unerschwinglich sein. 5) Mondiaal Nieuws: ‘City Without Name’ as a lubricant for political theatre and economic gain: New Capital in Indonesia displaces people; Artikel vom 23.06.2020 6) CNA: Asia: New Indonesia capital: Indigenous tribes fear further marginalisation; Artikel vom 20.09.2019 7) CNA: Asia: New Indonesian capital one year on: Land demand cools amid COVID-19, but speculators still hover; Artikel vom 30.08.2020
Auch die Indigenen der Region sind geteilter Meinung. Die einen hoffen auf Entwicklung und begrüßen die Entscheidung des Präsidenten, andere fürchten um ihre Existenz. Denn die Dayak, so der Sammelbegriff für die Ureinwohner Borneos, sind meist abhängig vom Wald. Die Menschenrechtsorganisation Minority Rights Group International befürchtet, dass die neue Hauptstadt ihnen diese Lebensgrundlage zerstören wird. Die Regierung hat natürlich versprochen, die Rechte der Indigenen zu schützen. Doch man traut Jakarta dabei nicht wirklich. Denn die Dayak blicken auf jahrzehntelange Benachteiligung vonseiten Jakartas zurück. Durch Einwanderer aus Java, Palmöl-Plantagen, Regenwaldrodung und Kohleminen wurden sie immer weiter marginalisiert. Viele haben Angst, erneut dem Fortschritt weichen zu müssen. 8) Reuters: Indigenous people under threat from Indonesia’s plan to move capital; Artikel vom 30.08.2019 9) BBC: Will Indonesia’s new capital just move the problem to the jungle?; Artikel vom 03.09.2019
Eine „grüne Stadt“
Natürlich kritisieren auch Umweltschützerinnen und Umweltschützer das Projekt IKB. Immerhin sollen 90.000 Hektar Land planiert und versiegelt werden. Für die Natur Borneos ist das keine gute Nachricht. In dem Gebiet für die Planstadt gibt es viele Gegenden, die schon früher zerstört wurden – vor allem für Plantagen und Tropenholz – aber auch noch unberührten Regenwald. Und der ist auf Borneo sowieso schon seit Jahrzehnten am Schrumpfen. 10) BBC: Will Indonesia’s new capital just move the problem to the jungle?; Artikel vom 03.09.2019 11) Youtube: The Straits Times: Indonesia’s planned new capital – East Kalimantan; Video vom 18.09.2019
Der indonesische Staat will das nicht gelten lassen. Die neue Hauptstadt soll eine grüne Stadt werden, eine „Forest City“. Die Natur Borneos wird beschützt und die Hälfte des Stadtgebietes werden Grünflächen und Regenwald sein, so das Versprechen. Ökostrom und Niedrigenergiehäuser soll es geben – und nur Autos ohne Verbrennungsmotor. 12) Youtube: The Straits Times: Indonesia’s planned new capital – East Kalimantan; Video vom 18.09.2019 13) Mondiaal Nieuws: ‘City Without Name’ as a lubricant for political theatre and economic gain: New Capital in Indonesia displaces people; Artikel vom 23.06.2020 14) CNA: Asia: New Indonesia capital: Indigenous tribes fear further marginalisation; Artikel vom 20.09.2019

Neben der „grünen“ neuen Hauptstadt sind neue Kohleminen geplant | Bild: © International Labour Organisation ILO [CC BY-NC-ND 2.0] – flickr
Gleichzeitig drückt Präsident Widodo beim Tempo stark auf die Tube. Denn 2024 endet seine Amtszeit. Auch wenn die neue Hauptstadt bis dahin niemals fertiggestellt werden kann, will er zumindest schonmal die ersten Gebäude einweihen können. Viele befürchten, dass bei solchem Zeitdruck niemals alle Bestimmungen und Versprechen von der „grünen Stadt“ eingehalten werden können. Denn eine vernünftige und durchdachte Umsetzung ist in fünf Jahren Planungs- und Bauzeit kaum vorstellbar. Vor allem wenn auch noch das Coronavirus die Pläne durcheinanderbringt. 19) ZDF: Neue Hauptstadt für Indonesien; nicht mehr verfügbar
Selbst wenn die Stadt tatsächlich so grün werden sollte wie angekündigt – sobald die ersten Slums entstehen wäre es wahrscheinlich vorbei mit dem Regenwaldschutz.
Wer zahlt das alles?

Indonesiens Präsident Joko Widodo | © World Bank Photo Collection [CC BY-NC-ND] – flickr
Auch in Deutschland hat man das Potenzial des Megaprojekts erkannt. Die Deutsch-Indonesische Industrie- und Handelskammer wirbt auf ihrer Website um private Investitionen. Immer wieder verkünden Regierungsmitglieder stolz, dass zahlreiche Investoren aus Deutschland am Projekt IKB interessiert sind und es mitfinanzieren wollen. Der deutsche Technologieriese Siemens ist laut indonesischen Medien bereits dabei und will mit der Regierung zusammenarbeiten. Siemens selbst bestätigt auf Nachfrage, sehr daran interessiert zu sein, Indonesien beim Bau der neuen Hauptstadt zu unterstützen und „Produktivität und Nachhaltigkeit einer Stadt zu verbessern“. 22) Deutsch-Indonesische Industrie- und Handelskammer: Indonesia launched strategic infrastructure projects; Stand 09/2020 23) Euromoney: Southeast Asia: Indonesia creates a new capital bonanza; Artikel vom 14.04.2020 24) Jakarta Globe: Indonesia Sets Up Special Agency to Deal with Investments in New Capital City; Artikel vom 27.02.2020 25) IDN Financials: ICB to facilitate Siemens investment in new capital; Artikel vom 22.01.2020
Es ist ein gewaltiges Vorhaben, das Milliarden verschlingen und viel Natur zerstören wird. Fraglich nur, ob sich das lohnt. Löst die Verlegung der Hauptstadt denn Jakartas Probleme? Ohne Effekt wird der Umzug sicherlich nicht bleiben. 1,5 Millionen Menschen, wahrscheinlich sogar mehr, werden vermutlich nach Borneo wegziehen. Der bisherige Fokus des Landes auf die Insel Java und ihre größte Stadt soll abnehmen – und damit auch die Last auf Jakarta verringert werden. 26) Deutschlandfunk: Jakarta versinkt: Eine Stadt gräbt sich selbst das Wasser ab; Artikel vom 12.10.2019
Doch viel mehr wird das Vorhaben wahrscheinlich nicht erreichen. Denn Jakarta bleibt auch mit ein paar Millionen Einwohnern weniger die größte Stadt Indonesiens und das wirtschaftliche Zentrum des Landes. Auch in Zukunft wird es Menschen dorthin ziehen. Die Weggezogenen dürften schnell ersetzt sein. Das Problem der Ungleichheit beseitigt man mit dem Umzug nicht, denn die Slums verschwinden damit nicht einfach. Jakarta wird also weiter wachsen und versinken – wenn auch vermutlich ein bisschen langsamer. 27) Deutschlandfunk: Jakarta versinkt: Eine Stadt gräbt sich selbst das Wasser ab; Artikel vom 12.10.2019 28) BBC: Will Indonesia’s new capital just move the problem to the jungle?; Artikel vom 03.09.2019
Fußnoten und Quellen:
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