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Was bringt Menschen dazu, ihre Heimat zu verlassen und ein besseres Leben zu suchen? | Bild: © earthlink e.V. [alle Rechte vorbehalten] -
Das Schicksal der honduranischen Flüchtlinge und warum die USA daran eine Mitschuld tragen
Seit über einem Jahrzehnt bilden honduranische Migranten Karawanen mit Hunderten, manchmal sogar Tausenden von Menschen, die sich auf einer lebensgefährlichen Reise durch Mexiko in Richtung Norden bewegen, um in den Vereinigten Staaten Asyl zu beantragen. Sie fliehen aus ihrer Heimat vor Erpressung durch Gangs, Gewalt, Armut, einem korrupten und ineffizienten Justizsystem und einer der höchsten Frauenmordraten der Welt. So bleiben im zentralamerikanischen Staat etwa 95 Prozent aller Femizide ungeklärt. Kein Wunder, denn die honduranische Polizei ist sowohl unterbesetzt als auch von Korruption und Machtmissbrauch geplagt. Im nördlichen Teil der zweitgrößten Stadt, San Pedro Sula, in der rund 230.000 Menschen leben und in dem berüchtigte Gangs wie Barrio 18 und Mara Salvatrucha operieren, überwachen lediglich 50 Polizisten die 189 Bezirke.
Der „Norwegische Flüchtlingsrat“ (NRC) schätzt, dass seit dem Jahr 2004 bereits mehr als 200.000 Menschen innerhalb von Honduras durch Gewalt in die Flucht getrieben wurden. Darüber hinaus leben nach Angaben der Weltbank zwei Drittel aller Honduraner in Armut. In den ländlichen Regionen des Landes hat sogar jeder fünfte Einwohner mit extremer Armut zu kämpfen. All diese Tatsachen, welche zur Flucht von Honduranern führen, sind weithin bekannt und wurden bereits in zahlreichen Artikeln beleuchtet. Es fehlt in diesen Berichten jedoch meist die Frage nach den Wurzeln, welche Gewalt und Armut ins Zentrum des Alltagslebens der geschundenen honduranischen Bevölkerung gerückt haben. Diese Wurzeln sind eng mit den Beziehungen des Landes zu den USA verflochten. 1)Politico Magazine: Why People Flee Honduras; Stand heute, 18.08.2020 2)ReliefWeb: Honduras: Violence forces people to flee; Stand heute, 18.08.2020 3)InSight Crime: Gangs in Honduras; Stand heute, 18.08.2020 4)The American Prospect: If San Pedro Sula Is Murder Capital of the World, Who Made It That Way?; Stand heute, 18.08.2020 5)We got the Numbers: Why Honduran migrants are fleeing their country; Stand heute, 18.08.2020 6)teleSur: Honduras: 30 Femicides in January with 95% Impunity Rate; Stand heute, 18.08.2020 7)Gender Equality Observatory: Femicide or feminicide, Latin America, the Caribbean and Spain; Stand heute, 18.08.2020
Gangs übernehmen die Kontrolle über ganze Städte
Dreimal wehrte sich Mariana gegen die gewalttätigen Banden, die ihre einst idyllische Heimatstadt in Honduras übernahmen. „Das erste Mal haben sie gelacht“, sagte sie. „Beim zweiten Mal drohten sie, mich zu töten… und beim dritten Mal kostete es uns fast das Leben.“ Die 42-Jährige Mariana, gehört zu den Garífunas, einer kleinen afro-indigenen Gemeinschaft in Honduras, deren Lebensweise in Gefahr ist. Nach der dritten Bedrohung wusste sie, dass sie und ihre Kinder keine andere Wahl hatten, als ihre Heimat zu verlassen und zu fliehen.
Der Anführer einer Gang, die Marianas Stadt übernommen hatte, interessierte sich nicht nur für Marianas Familienhaus, das der perfekte Ort für den Drogenhandel war, sondern auch für eine ihrer Töchter, die 16-jährige Natalia. Als seine Avancen, in denen er Luxusgeschenke versprach, die Schülerin nicht überzeugten, versuchte er stattdessen Natalia zu entführen. Der Versuch scheiterte und Mariana schickte ihre Tochter zu Verwandten in einer anderen Stadt. Der Umzug erzürnte den Bandenchef, der darin eine Bedrohung seiner Autorität sah. Er und seine Gang-Kameraden verfolgten Marianas jüngstes Kind, Adrián, der zu diesem Zeitpunkt 14 Jahre alt war, und verprügelten ihn jedes Mal, wenn sie ihm begegneten. Erneut stand Mariana dem Anführer der Bande gegenüber, aber wieder einmal ging ihre Courage nach hinten los. Adrián wurde ins Bein geschossen. Zu diesem Zeitpunkt wurde Mariana klar, dass sie keine andere Wahl hatte, als zu fliehen. Sobald sie und Adrián weg waren, übernahm die Bande ihr Haus und verwandelte es in eine so genannte „casa loca“, zu Deutsch „verrücktes Haus“, in das die Opfer der Bande gebracht werden, um dort gefoltert oder gar getötet zu werden. Mariana und ihre Kinder, konnten sich sogar glücklich schätzen, mit ihrem Leben in einem Land davongekommen zu sein. Denn allein im Jahr 2019 gab es in Honduras mehr als 42 Morde pro 100.000 Einwohner zu beklagen. Damit ist Honduras eines der Länder mit der höchsten Mordrate der Welt. 8)United Nations High Commissioner for Refugees: Honduran family starts new life across the country, but terror is never far; Stand heute, 18.08.2020 9)The New York Times: Three Weeks Embedded in Honduran Gang Territory; Stand heute, 18.08.2020 10)Global Voices: The real reasons people are fleeing Honduras; Stand heute, 18.08.2020
„Töten, stehlen, vergewaltigen, kontrollieren“

Ein junger Mann, der anhand seiner Tätowierungen als Mitglied der Mara Salvatrucha (MS-13) Gang identifizierbar ist, wird verhaftet. MS-13 zählt zu den gewalttätigsten Gangs, die derzeit in Honduras operieren. | Bild: © FBI [Public Domain] – Wikimedia Commons
„Als sie kamen“, erklärte ein ehemaliges Gangmitglied, der von der Journalismus Organisation „InSight Crime“ interviewt wurde, „brachten sie Kleidung, Haarschnitte und Musik aus den USA mit. Sie brachten eine Dynamik mit, die offensichtlich sehr attraktiv war.“ Sie wurden als das definitive, lebensechte Bild der Moderne angesehen, was sie für junge Honduraner anziehend machte, die Mühe hatten, einen Job zu finden und auf der Suche nach einer Perspektive und dem schnellen Geld waren. Alle großen Banden in Honduras sind heutzutage hauptsächlich auf Erpressungseinnahmen beispielsweise aus dem öffentlichen Verkehrssektor und Drogengelder angewiesen. Durch die Beteiligung der Behörden, insbesondere der Polizei, an diesen Erpressungsringen, florieren sie weiter und sind nahezu unantastbar. Das Ausmaß der Gewalt, welches diese Banden ausüben, spiegelt sich in einem der Slogans der Mara Salvatrucha wider: „Mata, roba, viola, controla“, was so viel bedeutet wie „töten, stehlen, vergewaltigen, kontrollieren.“ Aber auch die von den USA unterstützte honduranische Regierung scheint tief in die Geschäfte der Gangs verwickelt zu sein. 11)Global Voices: The real reasons people are fleeing Honduras; Stand heute, 18.08.2020 12)InSight Crime: Gangs in Honduras; Stand heute, 18.08.2020 13)Development and Cooperation: Climate of fear and violence; Stand heute, 18.08.2020 14)The New York Times: Three Weeks Embedded in Honduran Gang Territory; Stand heute, 18.08.2020 15)Check Your Fact: Is „Kill, Rape, Control“ an MS-13 motto?; Stand heute, 18.08.2020
Ein von den USA unterstütztes und von Korruption gebeuteltes Land

Eine Karawane von etwa 2000 honduranischen Migranten, die versuchen, die Grenze zu Mexiko zu überqueren. Mexiko ist jedoch nur eine Zwischenstation, da die meisten honduranischen Migranten auf der Suche nach einem besseren Leben die USA als ihr Endziel ansteuern. | Bild: © boitchy [Public Domain] – flickr
Man könnte natürlich argumentieren, dass die Honduraner solche Politiker aus freien Stücken gewählt und deshalb ihr Vertrauen in die Regierung von Hernández gesetzt haben, aber diese Argumentation berücksichtigt nicht, dass die Honduraner diese Regierung von vornherein nicht wollten. Sie protestieren im Jahre 2017 vehement gegen die Regierung Hernández und unterstellten dieser Wahlbetrug. Dieser Vorwurf ist keines Wegs an den Haaren herbeigezogen, wenn man die zahlreichen Ungereimtheiten der Präsidentschaftswahlen des Jahres 2017 berücksichtigt. In der Wahlnacht vom 26. November lag der Kandidat der Oppositionspartei, Nasralla, mit fast 60 Prozent der ausgezählten Stimmen fünf Punkte vor Hernández – bis die Wahlbehörden plötzlich die Veröffentlichung der Ergebnisse stoppten. Als die Auszählung 36 Stunden später wieder aufgenommen wurde, war Nasrallas Vorsprung verschwunden, was Hernández einen knappen Sieg bescherte. Die honduranische Wahlkommission, die von Bündnispartnern von Hernández kontrolliert wird, ernannte Hernández daraufhin erneut zum Präsidenten des Landes. Die Unregelmäßigkeiten bei den Präsidentschaftswahlen wurden auch von internationalen Organisationen wie der Organisation der amerikanischen Staaten und der Europäischen Union bemerkt. Diese forderten eine Wiederholung der Wahlen – jedoch vergebens. Trotz massiver Proteste, bei denen zahlreiche honduranische Demonstranten von der Militärpolizei, die der rechtsgerichteten Regierung von Juan Orlando Hernándeze treu ergeben ist, erschossen wurden, fanden keine Neuwahlen statt. Unter den Opfern befand sich auch ein Mädchen im Teenageralter aus der Hauptstadt Tegucigalpa.
Die USA hingegen erkannten umgehend die Wiederwahl des honduranischen Präsidenten Juan Orlando Hernández an. „Die USA opfern die Unterstützung des honduranischen Volkes und fast alles, was die USA repräsentieren wie zum Beispiel Demokratie und Korruptionsbekämpfung, für das, was sie als die notwendige Regierung für die Stabilität von Honduras halten. Aber wie kann man Stabilität ohne Demokratie erhalten?“, so die rhetorische Frage von Fulton Armstrong, Professor an der „American University“ und ehemaliger CIA-Analyst. Die US-Regierung ging jedoch noch weiter: Unmittelbar nach der Wahl bescheinigte man Honduras Fortschritte in Sachen des Schutzes der Menschenrechte und ebnete somit dem Land den Weg für den Erhalt von Millionen Dollar an Hilfsgütern. Bereits im Jahr 2020 wurde jedoch erneut deutlich, dass dieser Fortschritt aus der Luft gegriffen war, als die honduranische Regierung beschloss, das Mandat ihres international unterstützten Antikorruptionsorgans – der „Mission zur Unterstützung des Kampfes gegen Korruption und Straflosigkeit in Honduras“ (MACCIH) – zu beenden. Die MACCIH hatte zahlreiche Aufsehen erregende Korruptionsfälle effizient untersucht. Doch als sie die Ermittlungen gegen Präsident Hernandez aufnahm, wurde sie unverzüglich aufgelöst.
Es wird deutlich, wovor so viele Honduraner auf der Suche nach einem besseren Leben fliehen: Nämlich vor einem mörderischen, ausbeuterischen und mit Drogengeldern betriebenen System, das sich trotz all ihrer Anstrengung und Opfer nicht ändert. Die USA könnte das ändern und Druck auf die in hohem Maße von US-Hilfe abhängige Regierung ausüben, hat sich aber dafür entscheiden, genau das Gegenteil zu tun. Die enorme Nachfrage nach Kokain in den USA schürt zudem den Konflikt in Honduras, welches ein wichtiges Transit-Land für Drogen ist, die aus Südamerika über den Zentralamerikanischen Staat in die Vereinigten Staaten geschmuggelt werden. Unter diesen Bedingungen ist ein Ende des Leidens und der Flucht von Honduranern aus ihrer Heimat nicht absehbar. 16)Global Voices: The real reasons people are fleeing Honduras; Stand heute, 18.08.2020 17)The Irish News: Fleeing poverty and violence in Honduras – a migrant’s journey to the US; Stand heute, 18.08.2020 18)The Guardian: US recognizes re-election of Honduras president despite fraud allegations; Stand heute, 18.08.2020 19)The American Prospect: If San Pedro Sula Is Murder Capital of the World, Who Made It That Way?; Stand heute, 18.08.2020 20)The Guardian: Honduras troops shoot dead teenage girl amid election crisis protests; Stand heute, 18.08.2020 21)Development and Cooperation: Climate of fear and violence; Stand heute, 18.08.2020 22)Foreign Policy: In Honduras, the U.S. War on Drugs Is Empowering Corrupt Elites; Stand heute, 18.08.2020
Fußnoten und Quellen:
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