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Was bringt Menschen dazu, ihre Heimat zu verlassen und ein besseres Leben zu suchen? | Bild: © earthlink e.V. [alle Rechte vorbehalten] -
Turkmenistan: Ein Diktator, Millionen Flüchtende und trotzdem Geld von der EU?
Wenn jemand einen Wettbewerb veranstalten sollte, um den exzentrischsten Diktator der Welt zu ermitteln, für wen würden Sie stimmen? Offensichtlich wäre der gefürchtete nordkoreanische Diktator Kim Jong-un ein idealer Kandidat für den Sieg. Oder vielleicht doch der Kronprinz Saudi-Arabiens Mohammad Bin Salman Al Saud? Aber abgesehen von diesen altbekannten Anwärtern auf den Titel gäbe es noch einen weiteren Spitzenkandidaten in diesem Wettbewerb, von dessen Land, geschweige denn von ihm, wohl nur die wenigsten je etwas gehört haben: Sein Name ist Gurbanguly Berdimuhamedow und er ist Präsident der Republik Turkmenistan.
Berdimuhamedow, dessen Name einen echten Zungenbrecher darstellt, kann sich mit Stolz als Autor mehrerer Bücher, als Sänger, Zahnarzt, Stuntman, Dichter und Pferdeexperte, bezeichnen. In jeder dieser Disziplinen ist er auch mit Abstand der unumstritten Beste, sofern man dem staatlichen turkmenischen Fernsehen Glauben schenken will. Doch hinter diesem Staatsoberhaupt, das auf den ersten Blick ein beeindruckendes Multitalent zu sein scheint, steht ein autoritärer Diktator, für dessen Bürger das Wort „Freiheit“ absolut keinerlei Bedeutung besitzt. Vor seinem Regime flohen im letzten Jahrzent Millionen Turkmenen, auf der Suche nach einer besseren Zukunft. 1)Radio Free Europe Radio Liberty: Escape From Turkmenistan: Almost 2 Million Have Fled, But The President Looks The Other Way; Stand heute, 22.07.2020 2)BBC: Turkmenistan country profile; Stand heute, 22.07.2020 3)Radio Free Europe Radio Liberty: Turkmenistan: My Personality Cult Is Better Than Yours; Stand heute, 22.07.2020 4)The Telegraph: Turkmenistan leader drives around flaming crater in first new footage since death rumours; Stand heute, 22.07.2020
Mein Personenkult ist besser als deiner

Seit der Unabhängigkeit ihres Landes müssen die Turkmenen unter einem autoritären Regime leben. | Bild: © Kalpak Travel [CC BY 2.0] – flickr
Zunächst einmal verlieh er sich selbst den Ehrentitel „Beyik Türkmenbasy“, was übersetzt so viel bedeutet wie: „Großes Oberhaupt der Turkmenen.“ Zudem verschloss Türkmenbasy sein Land vollständig von der Außenwelt, indem es den Status der permanenten Neutralität annahm. Doch damit nicht genug: Er benannte auch noch sämtliche Monate um. Der Januar hieß fortan … Türkmenbasy. Während zum Beispiel der April in Gurbansoltan Edzhe, dem Namen seiner Mutter, umbenannt wurde. Im Jahr 2001 schrieb Türkmenbasy ein Buch – eine Kombination aus Poesie, revisionistischer Geschichte und moralischen Richtlinien, welches er den Turkmenen widmete. Der Titel dieses Buches lautet „Ruhnama“ oder auf Deutsch „Buch der Seele.“ Niyazov erklärte das Auswendiglernen seines Werkes zur Pflicht für jedes Schulabschlussexamen. Selbst für den Bestand der Führerscheinprüfung war die lückenlose Kenntnis der „Ruhnama“ unabdingbar.
Des Weiteren verwandelte Türkmenbasy Turkmenistan Schritt für Schritt in eine Art totalitären Vergnügungspark. Er bedeckte dafür seine zentralasiatische Wüstenrepublik mit prachtvollen Denkmälern und vergoldeten Statuen seiner selbst und ließ auch eine etwa 9 Meter große Skulptur der „Ruhnama“, welche in Turkmenistans Hauptstadt Ashgabat steht, errichten. Finanziert wurde all dieser Prunk durch den Verkauf von Erdgas. Turkmenistan verfügt über die viertgrößten Gasreserven der Welt. Während der Herrschaft Niyazovs gingen dabei etwa zwei Drittel der Gasverkäufe an den multinationalen russischen Energiekonzern Gazprom.
Wie so häufig unter autokratischen Regimen erhielt die Bevölkerung keinerlei Anteil an den Gewinnen aus dem Verkauf der natürlichen Ressource, so dass die Mehrheit der Turkmenen in bitterster Armut leben musste. Niyazov starb 2006 aufgrund eines Herzversagens. Er hinterließ ein Land, das von einem ruinierten Bildungs- und Gesundheitssektor und Tausenden von politischen Gefangenen gezeichnet war. Vor seinem Tod hatte Nijazov seinen persönlichen Zahnarzt zu seinem Nachfolger bestimmt und nicht etwa seinen eigenen Sohn, den er für unfähig erachtete. Dieser Zahnarzt, Gurbanguly Berdimuhamedow, gewann mit 97 Prozent der Stimmen die sorgfältig choreographierte Präsidentschaftswahl im Jahr 2007, von der Regimegegner ausgeschlossen waren.
Auch unter Berdimuhamedow sollte sich die Menschenrechtssituation in Turkmenistan kein Stück verbessern. Zwar benannte er die Monate wieder zurück zu ihren ursprünglichen Namen, doch das war es auch schon fast mit dem Fortschritt. Ganz im Sinne seines Vorgängers ist er ein autokratischer Herrscher und hat seinen eigenen Personenkult etabliert. Er nennt sich selbst „Arkadag“, zu Deutsch „Patron“ und übernahm die Präsidentschaft auf Lebenszeit. Abstruse Gesetze sind auch unter seiner Führung keine Seltenheit. Nach Angaben der NGO „Reporter ohne Grenzen“ verbot er kürzlich die Verwendung des Wortes Coronavirus. Wer Gesichtsmasken trägt oder das Thema in der Öffentlichkeit diskutiert, riskiert, von der turkmenischen Polizei verhaftet und auf unbestimmte Zeit ins Gefängnis geworfen zu werden. 5)Neatorama: Craziest Dictator Ever: Turkmenbashi; Stand heute, 22.07.2020 6)Lonely Planet: Turkmenistan; Stand heute, 22.07.2020 7)International Crisis Group: Turkmenistan after Niyazov; Stand heute, 22.07.2020 8)BBC: Turkmenistan country profile; Stand heute, 22.07.2020 9)NPR: Turkmenistan Has Banned Use Of The Word ‚Coronavirus‘; Stand heute, 22.07.2020 10)Reporters Without Borders: Coronavirus off limits in Turkmenistan; Stand heute, 22.07.2020 11)Radio Free Europe Radio Liberty: Is Turkmenistan Being Pulled Into Russia’s Orbit?; Stand heute, 22.07.2020 12)Radio Free Europe Radio Liberty: Turkmenistan: My Personality Cult Is Better Than Yours; Stand heute, 22.07.2020
„Wenn Sie alle gehen, wer wird dann bleiben und arbeiten?“

Turkmenistan sitzt auf riesigen Gasvorrätten von der Wirtschaft stark abhängig ist. Im Bild zu sehen das „Tor zur Hölle“, ein Turkmenisches Erdgasfeld, welches zusammengebrochen ist. Geologen haben es absichtlich in Brand gesteckt, um die Ausbreitung von Methangas zu verhindern und man nimmt an, dass es seit 1971 ununterbrochen brennt. | Bild: © Tormod Sandtorv [CC BY-SA 2.0] – flickr
Der Wunsch zu flüchten, hat sich in den letzten Jahren zusätzlich verstärkt, da sich Turkmenistan in der schlimmsten Wirtschaftskrise seit seiner Gründung befindet. Seit dem Beginn der Wirtschaftskrise ist es in dem zentralasiatischen Staat üblich, dass die Turkmenen stundenlang in schier endlosen Schlangen für ihre Rationen an Mehl, Brot und anderen lebensnotwendigen Gütern anstehen müssen. Die Wüstenrepublik war schon immer praktisch ausschließlich von den Geldern abhängig, die durch den Export seiner Erdgasressourcen nach Russland und den Iran erwirtschaftet wurden. Im Jahr 2008 verkaufte Turkmenistan etwa 40 Milliarden Kubikmeter Gas an Russland: ein echtes Milliardengeschäft. Doch nachdem 2009 eine Gaspipeline, die turkmenisches Gas nach Russland transportierte, explodierte, beschwerte sich Berdimuhamedow lautstark, dass die Schuld bei Russland läge. Das Ergebnis war ein Stopp aller turkmenischen Gasexporte an den euroasiatischen Giganten und der Beginn der turkmenischen Wirtschaftskrise.
Als Turkmenistan Anfang 2017 die Erdgaslieferungen an den Iran aussetzte mit der Begründung, Teheran schulde dem Staat rund 1,8 Milliarden Dollar, verschärfte sich die Wirtschaftskrise nur noch weiter. Die Wüstenrepublik war nun vollständig vom Gasverkauf an China abhängig, ein Land, das Turkmenistan Milliarden Dollar für die Erschließung von Gasfeldern geliehen hatte. Ein nicht näher bekannter Teil dieses Darlehens wird von Turkmenistan zurückgezahlt, indem es das Gas an das Reich der Mitte zu wesentlich günstigeren Preisen verkauft, als dies bisher mit Russland oder dem Iran der Fall war.
Da die Gespräche mit Russland zur Wiederaufnahme der Geschäfte, wie in den „guten alten Zeiten“, bisher erfolglos geblieben sind, ist es schwer vorstellbar, dass der wirtschaftliche Absturz in naher Zukunft ein Ende nehmen wird. Russland und Gazprom benötigten turkmenisches Gas im ersten Jahrzehnt dieses Jahrhunderts, aber dies ist heute wahrscheinlich nicht mehr der Fall. Selbst wenn die Gespräche zwischen den beiden Staaten erfolgreich sein sollten, werden die Gasexportvolumen voraussichtlich kaum mehr als 4-5 Milliarden Kubikmeter betragen und der entsprechende Gaspreis wird wohl auch nicht so hoch sein, wie Berdimuhamedow sich das wünschen dürfte. Jedoch bleibt Turkmenistans „Patron“ noch eine weitere Option: Die Europäische Union. 13)Human Rights Watch: Turkmenistan Events of 2019; Stand heute, 22.07.2020 14)Radio Free Europe Radio Liberty: Is Turkmenistan Being Pulled Into Russia’s Orbit?; Stand heute, 22.07.2020 15)NPR: Turkmenistan Has Banned Use Of The Word ‚Coronavirus‘; Stand heute, 22.07.2020 16)BBC: Turkmenistan country profile; Stand heute, 22.07.2020 17)Radio Free Europe Radio Liberty: Escape From Turkmenistan: Almost 2 Million Have Fled, But The President Looks The Other Way; Stand heute, 22.07.2020
Schutz der eigenen Grundwerte oder Erdgas: Die Europäische Union muss sich entscheiden

Exportieren Sie bald gemeinsam Gas nach Europa? Aserbaidschans Präsident Ilham Alijew (rechts) traf sich 2019 mit Turkmenistans Präsident Gurbanguly Berdimuhamedow (links). | Bild: © Presiden.az [CC BY 4.0] – Wikimedia Commons
Turkmenistan verfügt über ein beträchtliches Gasvorkommen, das es angesichts seiner schweren Wirtschaftskrise und fehlender Handelsoptionen gerne nach Europa handeln würde. Die Perspektive, dass turkmenisches Gas auf die europäischen Energiemärkte strömt, wurde bereits 1996 von den Vereinigten Staaten vorgeschlagen. Diese Idee würde sich auf eine noch nicht gebaute „Trans-Kaspische Gaspipeline“ stützen, durch die turkmenisches und aserbaidschanisches Erdgas über das Kaspische Meer in das geplante Pipelinenetz des „Southern Gas Corridor“ bis zum Zielort Europa geliefert werden würde.
Die Skepsis gegenüber der Aussicht, dass eine solche Vision jemals Wirklichkeit werden könnte, ist nach wie vor groß, allerdings gibt es einige Stimmen aus der EU, die dieses Projekt nachdrücklich unterstützen. Dazu gehört der permanente Botschafter der EU in Aschgabat, Lubomir Frebort, der mehrfach von der Unterstützung einer „Trans-Kaspischen Gaspipeline“ seitens Europas sprach. Weitere Unterstützung käme auch von einer Reihe von externen Firmen, die in das Projekt investieren möchten. Eine davon ist die Deutsche Bank, die 2019 ein Team nach Aschgabat entsandt hat, um mögliche Investitionen zu erörtern. Geschäftsbeziehungen der Deutschen Bank zu Turkmenistan bestehen seit langem. Ein Bericht mit dem Titel „Undue Diligence,“ welcher 2009 von der Watchdog-Organisation „Global Witness“ veröffentlicht wurde, deckte auf, dass die Deutsche Bank an der Unterstützung von Niyazovs brutalem Regime beteiligt war. Türkmenbasy überwies zwischen 1995 und seinem Tod bis zu 3 Milliarden Dollar aus den Energieeinnahmen seines Landes an die Deutsche Bank, um das Geld weiterhin in der eigenen Tasche zu behalten. „Global Witness“ hat lange nach Erklärungen der Deutschen Bank zu diesen Vorfällen gesucht, ohne eine Antwort zu erhalten. Der Bericht unterstellt der Deutschen Bank zudem, dass ihre Beamten eng mit dem turkmenischen Diktator zusammenarbeiteten. „Dies war keine „Hands-off-Beziehung,“ so der Report.
Es bleibt nur zu hoffen, dass die EU nicht auch noch mit Turkmenistan ins Geschäft kommt und dass das Vorhaben ein unerfüllter „Pipeline-Traum“ bleibt. Sollte das Projekt jedoch befürwortet werden, bestünde für die EU akuter Erklärungsbedarf. Ein Geschäft mit Nayzirov verstieße gegen zahlreiche EU-Kernwerte und würde eines der autoritärsten Regime der modernen Weltgeschichte stützen. 18)Eurasianet: Turkmenistan: Dreaming of Europe; Stand heute, 22.07.2020 19)Eurasianet: Turkmenistan: German Bank Complicit in Niyazov’s Reign of Terror – Report; Stand heute, 22.07.2020 20)The Diplomat: Will Turkmenistan Ever Supply Gas to Europe?; Stand heute, 22.07.2020
Fußnoten und Quellen:
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