Rüstungsexporte: Deutschland verstößt gegen gemeinsamen EU-Standpunkt
Deutsche Waffen im Jemenkrieg, bei der Ermordung mexikanischer Studierender durch die Polizei 2014, in den Händen von Diktatoren und in Kriegsgebieten: Eine Studie fällt ein vernichtendes Urteil über die Praxis der Bundesregierung bei Genehmigungen von Waffenexporten. Demnach hat Deutschland in den letzten 30 Jahren systematisch gegen den gemeinsamen Standpunkt der Europäischen Union zu Rüstungsexporten verstoßen. Die Bundesregierung muss nun dringend handeln. 1) Dr. Simone Wisotzki / Leibnitz-Institut Hessische Stiftung Friedens- und Konfliktforschung im Auftrag von Greenpeace e. V.: Deutsche Rüstungsexporte in alle Welt? Eine Bilanz der vergangenen 30 Jahre; Stand März 2020 2) Epo: Weltpolitik: Greenpeace-Studie: Deutschland unterläuft europäische Rüstungsexportrichtlinien; Stand 20.07.2020
Generell sind in diesem Jahr die Kriegswaffenexporte erneut angestiegen: Für über 492 Millionen Euro exportierte Deutschland im ersten Drittel von 2020 Kriegswaffen. Schon der Rüstungsexportbericht 2019 verzeichnet einen Anstieg der Genehmigungen insgesamt auf etwas über acht Milliarden Euro auf. 2018 waren es noch 4,8 Milliarden. Auch der Umfang von genehmigten Exporten für Drittstaaten war deutlich angestiegen. Der Bericht zeigte die Problematik deutscher Rüstungsexportgenehmigungen an problematische Drittstaaten bereits auf. Die Menschenrechte spielten bei der Erteilung von Genehmigungen offenbar eine nachrangige Rolle. 3) DW: Waffengeschäfte: Studie: Deutschland verstieß gegen Rüstungsexportrichtlinien; Stand 19.07.2020 4) Amnesty International: Rüstungsexportbericht 2019: Menschenrechte bei Genehmigungen offenbar nachrangig; Stand 17.06.2020
Die Studie des Leibniz-Instituts Hessische Stiftung Friedens- und Konfliktforschung (HSFK) wurde von Greenpeace in Auftrag gegeben und untersucht die Praxis deutscher Rüstungsexporte seit 1990. Es zeigen sich zahlreiche Beispiele, in denen deutsche Waffen im Krieg oder bei schweren Menschenrechtsverletzungen verwendet wurden. Alexander Lurz, Abrüstungsexperte von Greenpeace, spricht von einer „bewusste[n], systematische[n] Aushöhlung der Exportrichtlinien“. Deutschland exportiert Rüstungsgüter und Kriegswaffen in Kriegs- und Krisenländer, Spannungsregionen und Länder, in denen Menschenrechte verletzt werden. In Spannungsregionen steigt auch dadurch das Risiko einer gewaltsamen Konfliktaustragung. Doch zunächst einmal zu den rechtlichen Grundlagen von Waffenexporten aus Deutschland: Diese bestehen aus einem komplizierten Geflecht aus nationalen, europäischen und internationalen Normen, Regeln und Verfahren. Die Studie legt besonderes Augenmerk auf die Genehmigungen für Exporte an Drittstaaten, also Länder, die nicht der EU oder der NATO angehören oder diesen Ländern gleichgestellt sind. Bewertungsmaßstab hierfür bilden die acht Kriterien des gemeinsamen Standpunktes der EU für Rüstungsexporte, die den deutschen politischen Grundsätzen ähnlich sind. Zu den Kriterien gehört etwa in Bezug auf das Endbestimmungsland dessen Achtung der Menschenrechte und des humanitärem Völkerrechts. Ebenfalls gilt es, die innere Lage in diesem Land bezüglich möglicher bestehender Spannungen oder bewaffneter Konflikte zu berücksichtigen, aber auch die Wahrung regionaler Sicherheit und Stabilität. Auch die deutschen Grundsätze sehen eine restriktive Politik in Bezug auf Rüstungsexporte an Drittstaaten vor. 5) Epo: Weltpolitik: Greenpeace-Studie: Deutschland unterläuft europäische Rüstungsexportrichtlinien; Stand 20.07.2020 6) Dr. Simone Wisotzki / Leibnitz-Institut Hessische Stiftung Friedens- und Konfliktforschung im Auftrag von Greenpeace e. V.: Deutsche Rüstungsexporte in alle Welt? Eine Bilanz der vergangenen 30 Jahre; Stand März 2020 7) Zeit Online: Rüstungsexporte: Greenpeace kritisiert deutsche Waffenverkäufe an Drittstaaten; Stand 19.07.2020
Waffenexporte in Kriegs- und Krisenregionen
Bemerkenswert ist der gewaltige Widerspruch zwischen rechtlicher Grundlage und politischer Praxis deutscher Rüstungsexporte an Drittländer: Diese sind, obwohl sie eigentlich Ausnahmen sein sollten, zum Regelfall geworden. Im letzten Jahrzehnt sind immer wieder bis zu 60 Prozent aller Exporte an Drittstaaten gegangen. Die verantwortlichen Ministerinnen und Minister haben die deutsche Rüstungsexportpolitik über die letzten Jahrzehnte hinweg als restriktiv verkauft. Die Studie zeichnet ein anderes Bild: Politiker der Union, von der SPD, den Grünen und der FDP haben, wenn sie dafür zuständig waren, Exporte von Rüstungsgütern in Drittländer, Krisen- und Kriegsregionen möglich gemacht, gefördert und zum Teil sogar eigens veranlasst. Gegen die Kriterien in Bezug auf Drittländer hat Deutschland wiederholt verstoßen. Beispiele für die zahlreichen Fälle, in denen deutsche Waffen bei schweren Menschrechtsverletzungen oder im Krieg Verwendung fanden, sind der Krieg im Jemen und die Ermordung von Studierenden im Rahmen von Protesten in Mexiko 2014. Die mexikanische Polizei erschoss diese mit G-36-Gewehren aus deutschen Lieferungen. 8) Epo: Weltpolitik: Greenpeace-Studie: Deutschland unterläuft europäische Rüstungsexportrichtlinien; Stand 20.07.2020 9) Dr. Simone Wisotzki / Leibnitz-Institut Hessische Stiftung Friedens- und Konfliktforschung im Auftrag von Greenpeace e. V.: Deutsche Rüstungsexporte in alle Welt? Eine Bilanz der vergangenen 30 Jahre; Stand März 2020 10) HSFK: Deutsche Rüstungsexporte in alle Welt? Neue Studie untersucht die deutsche Rüstungsexportpolitik seit 1990; Stand 20.07.2020
Der Stellvertreterkrieg im Jemen tobt seit 2015 und führte zu einer beispiellosen humanitären Katastrophe. Die Studie legt nun dar, dass die in diesem Krieg verwendeten Waffen und andere Rüstungsgüter auch aus Deutschland stammen. Nach wie vor erhalten Mitglieder der von Saudi-Arabien angeführten Koalition deutsche Waffen, so beispielsweise die Vereinigten Arabischen Emirate. Auch Ägypten, Bahrain, Jordanien und Kuwait waren 2019 deutsche Kunden. Seit Anfang 2019 sind Waffenlieferungen in einem Umfang von mehr als einer Milliarde Euro an die Staaten des Bündnisses gegangen. Seit Ende 2018 gilt ein Exportstopp von Rüstungsgütern nach Saudi-Arabien. Bemerkenswert ist allerdings auch hier der Auslöser dieser Entscheidung: Die Ermordung des regierungskritischen Journalisten Jamal Khashoggi. Schon davor waren die schweren Menschenrechtsverletzungen in dem Land bekannt, und auch dessen Verhalten im Jemenkrieg. Und doch war Saudi-Arabien noch 2018 an vierter Stelle der Kunden deutscher Rüstungsgüter: Für 416 Millionen Euro wurden Exporte an das Land genehmigt. Und selbst das aktuelle Verbot weist Lücken auf. 11) Dr. Simone Wisotzki / Leibnitz-Institut Hessische Stiftung Friedens- und Konfliktforschung im Auftrag von Greenpeace e. V.: Deutsche Rüstungsexporte in alle Welt? Eine Bilanz der vergangenen 30 Jahre; Stand März 2020 12) Al Jazeera: Key facts about the war in Yemen; Stand 25.03.2018 13) Der Tagesspiegel: Krieg im Jemen: Kämpfe im Armenhaus der arabischen Welt; Stand 13.06.2017 14) HSFK: Deutsche Rüstungsexporte in alle Welt? Neue Studie untersucht die deutsche Rüstungsexportpolitik seit 1990; Stand 20.07.2020 15) Epo: Weltpolitik: Greenpeace-Studie: Deutschland unterläuft europäische Rüstungsexportrichtlinien; Stand 20.07.2020 16) DW: Rüstungsexporte: Deutschland verkauft weiter Waffen an Kriegsallianz im Jemen; Stand 01.04.2020
Wirtschaftsministerium verteidigt Rüstungsexportpolitik als restriktiv
Lurz fordert im Vorwort der Studie ein Rüstungsexportgesetz, das Exporte an alle Drittstaaten und Länder, die Krieg führen verbietet. Verboten werden müssen laut Greenpeace Deutschland Rüstungsexporte in Drittländer, in Staaten, in denen Menschenrechtsverletzungen stattfinden und in Konfliktregionen. Das Bundeswirtschaftsministerium verteidigt die deutsche Rüstungspolitik mit Verweis auf die Einzelfallbetrachtung als restriktiv. Auch werde eine Endverbleibserklärung verlangt, um eine Weitergabe der Güter an andere Akteure auszuschließen. Die neun seit 2015 durchgeführten Kontrollen vor Ort verliefen alle ohne Beanstandung. Diese würden vorher angekündigt, da sie in hoheitlichen Institutionen anderer Staaten seien. Zudem würden grundsätzlich keine Kleinwaffen mehr an Drittstaaten geliefert. Eine „zahlenbasierte Pauschalbetrachtung auf Basis der reinen Genehmigungswerte allein“ sei nicht tauglich, die Restriktivität der deutschen Rüstungsexportpolitik zu beurteilen. Bezüglich des geforderten Rüstungsexportkontrollgesetz hieß es von einem Sprecher des Wirtschaftsministeriums, dass momentan ein solches Gesetz seiner Kenntnis nach nicht geplant sei. Er verwies auf bereits bestehende Vorgaben für Waffenexporte. Die Details über tatsächliche Exporte von Kriegswaffen in Drittländer in den ersten vier Monaten dieses Jahres hat die Bundesregierung, anders als 2019, zur Verschlusssache erklärt. Sie verwies auf eine potentielle „Re-Identifizierung betroffener Unternehmen“ und den „Schutz von Betriebs- und Geschäftsgeheimnissen“. 17) Dr. Simone Wisotzki / Leibnitz-Institut Hessische Stiftung Friedens- und Konfliktforschung im Auftrag von Greenpeace e. V.: Deutsche Rüstungsexporte in alle Welt? Eine Bilanz der vergangenen 30 Jahre; Stand März 2020 18) Epo: Weltpolitik: Greenpeace-Studie: Deutschland unterläuft europäische Rüstungsexportrichtlinien; Stand 20.07.2020 19) Greenpeace.de: Greenpeace legt Vorschlag für verbindliches Rüstungsexportgesetz vor: Regeln für Rüstungsexporte; Stand 02.03.2020 20) Finanztreff.de: Regierung sieht keinen Bedarf für ein Rüstungsexportkontrollgesetz; Stand 20.07.2020 21) Evangelisch.de: Ministerium: Keine Pläne für Rüstungsexportkontrollgesetz; Stand 20.07.2020 22) Zeit Online: Rüstungsexporte: Greenpeace kritisiert deutsche Waffenverkäufe an Drittstaaten; Stand 19.07.2020 23) DW: Waffengeschäfte: Studie: Deutschland verstieß gegen Rüstungsexportrichtlinien; Stand 19.07.2020
Klar ist, dass sich an der Praxis deutscher Rüstungsexporte dringend etwas ändern muss. „Sehenden Auges exportiert die Bundesregierung in unruhige Regionen und instabile Länder, wo deutsche Waffen in blutigen Bürgerkriegen oder zur Niederschlagung friedlicher Proteste eingesetzt werden“, so Lurz. Dass deutsche Kriegswaffen und Rüstungsgüter trotz der Vielzahl der bestehenden Normen auf nationaler, europäischer und internationaler Ebene den Weg in umstrittene Drittländer fanden, hängt auch mit fehlenden Sanktionsmöglichkeiten auf europäischer und internationaler Ebene zusammen. Diese sind auch in Deutschland nur sehr begrenzt. Es kann nicht sein, dass deutsche Waffenlieferanten von Konflikten in der Welt profitieren, unter denen vor allem die Zivilbevölkerung in diesen Ländern leidet. Möchte man international wirklich werteorientiert handeln und internationale Konflikte entschärfen, wäre die eigene Rüstungsexportpolitik eine Baustelle, auf der man beginnen sollte. 24) Epo: Weltpolitik: Greenpeace-Studie: Deutschland unterläuft europäische Rüstungsexportrichtlinien; Stand 20.07.2020 25) Dr. Simone Wisotzki / Leibnitz-Institut Hessische Stiftung Friedens- und Konfliktforschung im Auftrag von Greenpeace e. V.: Deutsche Rüstungsexporte in alle Welt? Eine Bilanz der vergangenen 30 Jahre; Stand März 2020
Fußnoten und Quellen:
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