Mexiko schuldet USA 514 Millionen Kubikmeter Wasser: Landwirte fürchten um Existenz
Wasser ist ein kostbares Gut. Besonders für Landwirte ist es unersetzlich und unabdingbar, um ihre Felder bewirtschaften zu können. Ihr Lebensunterhalt ist abhängig von einer guten Ernte. Trockenheit stellt eine erhebliche Gefahr für sie dar. Auf den Feldern des nordmexikanischen Bundesstaates Chihuahua werden von Bauern großflächig Walnüsse, Zwiebeln, Chili, Melonen, Mais, Alfalfa und andere Lebensmittel angebaut. Der Bundesstaat stellt dabei einen der wichtigsten und größten landwirtschaftlichen Produzenten ganz Mexikos dar. Das Wasser, das zur Bewässerung der Ackerflächen benutzt wird, stammt hier zu großen Teilen aus dem Rio Grande. Doch genau das beunruhigt die ansässigen Landwirte. Sie fürchten eine große Trockenheit und Dürre, die ihre Ernte zunichtemachen könnte. Grund für diese Sorge ist ein 1944 geschlossener Vertrag, nach welchem Mexiko den USA jährlich riesige Wassermengen schuldet. Diese Schuld fordert die USA nun bis Oktober ein.
Unruhen und Aufstände in Chihuahua wegen Wasserlieferungen an USA

Zu Beginn dieses Jahres haben Demonstranten zwei Stauanlagen besetzt. |Bild: © Iker Merodio [CC BY 2.0] – Flickr
Immer wieder kommt es in Chihuahua zu Unruhen und Protesten der Landwirte, die ihren Zugang zum blauen Gold in Gefahr sehen. In Grenznähe demonstrieren sie häufig gegen die Lieferung des Wassers in die USA. Im Februar dieses Jahres hatte eine Gruppe von etwa 500 Demonstranten einen Staudamm und später eine weitere Stauanlage besetzt, und im Juni hatten Protestierende die Gleise einer wichtigen Bahnstrecke blockiert, welche über die Grenze nach Texas führt. Dass das Wasser abgezapft und in das Nachbarland gebracht werden soll, obwohl Chihuahua selbst oft mit extremer Dürre zu kämpfen hat, ist für die Bauern unbegreiflich. Vor knapp eineinhalb kam es erneut zu schweren Unruhen, als Demonstranten verhindern wollten, dass Wasser aus der Stauanlage Francisco I. Madero in die USA gebracht wird. Videos, die in den sozialen Medien kursierten, zeigen brennende Autos und das harte Vorgehen der Sicherheitskräfte gegen die Protestierenden. Mit Tränengas und Gummigeschossen wurden die Landwirte von der Stauanlage ferngehalten. Die Reaktion der Regierung, speziell ausgebildete Militäreinheiten zu entsenden, um den Protesten ein Ende zu bereiten, dürfte ihrem Ansehen bei den bevorstehenden Wahlen erheblichen Schaden zufügen. Für die Regierung ist klar, wen sie für das Wiederaufkeimen der Unruhen verantwortlich macht: Die oppositionelle Partei PAN habe die Proteste organisiert und aufgeheizt, um die eigenen Chancen bei der nächsten Wahl zu stärken. Präsident Andrés Manuel López Obrador bat die Landwirte, sich nicht manipulieren zu lassen und verwies auf den gemeinsamen Wasservertrag mit den USA. Es sei genug Wasser für alle da. Die Schuld müsse nun beglichen werden, da für eine Nichteinhaltung Strafzölle drohen. Und die könnten dem landwirtschaftlichen Sektor des Landes erheblich schaden. Da sich auch die texanischen Landwirte auf das Wasser für die Sommermonate verlassen, fordert die US-amerikanische Regierung eine Begleichung der Wasserschuld innerhalb der nächsten drei Monate. Weil es im Norden Mexikos kürzlich zu Regenfällen kam, die das Trockenheitsrisiko deutlich gemindert haben, gebe es nun auch keine Gründe mehr, das Wasser noch länger zurückzuhalten. Zu Beginn des Jahres hatten eine starke Dürre und die anhaltenden Proteste der örtlichen Landwirte dazu geführt, dass Mexikos Wasserlieferungen an die USA aus Eigenbedarf verringert worden waren.
Wasservertrag von 1944 ist Grundlage für die Wasserschulden Mexikos
Der Wasservertrag zwischen Mexiko und den Vereinigten Staaten reicht bis ins Jahr 1944 zurück und hat seinen Ursprung im 1848 unterzeichneten Vertrag von Guadalupe-Hidalgo. Nach einer erfolgreichen Rebellion erklärte sich die Provinz Texas, welche mehrheitlich von US-amerikanischen Siedlern bewohnt wurde, von Mexiko unabhängig. Ende 1845 wurde Texas von den Vereinigten Staaten annektiert. Die Annexion und der Streit über die neue texanische Grenze führten letztendlich zum Ausbruch des Amerikanisch-Mexikanischen Krieges. In diesem erlitt Mexiko große Verluste und wurde zu großen Teilen durch amerikanische Truppen besetzt. Nach der großen Niederlage blieb Mexiko kaum eine Wahl, als den Friedensvertrag von Guadalupe Hidalgo zu unterzeichnen, mit dem die Gebiete Texas, New Mexico, Kaliforniern und Teile der heutigen Staaten Arizona, Utah, Nevada und Colorado endgültig in den Besitz der Vereinigten Staaten übergingen und zu deren Staatsgebiet wurden. Aufgrund des neuen Grenzverlaufs, der nun auch die Zugehörigkeit und den Verlauf von Gewässern betraf, wurde klar, dass es im beidseitigen Interesse lag, einen Vertrag für die Wassernutzung der Flüsse Tijuana, Rio Grande und Colorado festzulegen.

Viele Landwirte im nordmexikanischen Bundesstaat Chihuahua fürchten um ihre Ernte. Das Abpumpen der riesigen Wassermengen könnte für sie zum Problem werden. |Bild: © Mexico Farmland [CC BY 2.0] – Flickr
Der Wasservertrag ist seit 1944 unverändert und sehr komplex aufgebaut. Man könnte sogar sagen, er enthält drei verschiedene Wasserverträge, da er Bestimmungen zum Rio Grande, zum Colorado River sowie zum Tijuana River enthält. Eine weitere Komplexität ergibt sich aus der Bestimmung in Artikel 3 zur grenzüberschreitenden Abwasserentsorgung. Doch die zweifellos wichtigste Funktion des Vertrages besteht in der Zuteilung des Wassers der Flüsse Rio Grande und Colorado River. Da Wasser zu vielen Zeiten sowohl im Norden Mexikos als auch in den südlichen, grenznahen US-Bundesstaaten knapp ist, erhöht sich die Bedeutung dieser Funktion noch mehr. Rund 40 Millionen Menschen sind auf den Zugang zum Wasser des Rio Grande und des Colorado Rivers angewiesen. Die Zuweisung der
Wasserrechte an die beiden nationalen Vertragsparteien ist dabei im Vertrag genau festgelegt. Demnach wird eine bestimmte Menge an Wasser aus dem Rio Grande durch Mexiko an die USA zugeteilt, während im Gegenzug aus dem Colorado River eine entsprechende Wassermenge durch die USA an Mexiko abgegeben wird. Die Verrechnung der geschuldeten Wassermengen erfolgt jeweils in einem Zyklus von fünf Jahren. Jährlich muss Mexiko ca. 432 Millionen Kubikmeter an Wasser an die USA abgeben. Allein im Falle einer außergewöhnlichen Dürre, eines Dammschadens oder einer Naturkatastrophe ist eine Verzögerung der Leistung erlaubt. Die geschuldeten Fehlbeträge müssen im darauffolgenden Zyklus nachgeleistet werden, zusätzlich zu den normalanfallenden Wasserschulden. Überwacht wird die Einhaltung des Vertrages von der Internationalen Grenz- und Wasserkommission (IBWC), die ein gemeinsames Kontrollgremium beider Vertragsparteien bildet. In den vergangenen 20 Jahren hat Mexiko mit seinen Wasserlieferungen die Vertragsbedingungen oft nicht erfüllt. Während sich die mexikanische Regierung auf extreme Trockenheit berief, warf ihr die amerikanische Regierung eine betrügerische Absicht vor, was die Zurückhaltung der geschuldeten Wassermengen angeht. Laut einem Bericht des Congressional Research Service, der dem US-Kongress 2018 vorgelegt wurde, ist Mexiko in den Zyklen 1992-1997, 1997-2002, 2002-2007 und 2010-2015 den vertraglichen Verpflichtungen nicht hinreichend nachgekommen. Der letzte Zyklus von 2010-2015 sei laut des amerikanischen Außenministeriums mit einem Defizit von mehr als 493 Millionen Kubikmeter Wasser beendet worden. In einer Pressemitteilung vom 17.07.2020 erinnerte die IBWC daran, dass bis zum Ende des aktuellen Fünfjahreszyklus im Oktober noch 514 Millionen Kubikmeter an Wasser an die USA zugewiesen werden müssen, damit der nächste Zyklus nicht wieder mit einem Defizit beginnt. Diese Menge übersteigt bei weitem das in einem ganzen Jahr anfallende Volumen von 432 Millionen Kubikmetern an Wasser. Dass solch unvorstellbare Wassermassen innerhalb von nur drei Monaten geleistet werden sollen, versetzt die Landwirte Chihuahuas in Angst und Schrecken. Aber auch die Landwirte in den südlichen Bundesstaaten der USA, etwa in Texas, fürchten die Auswirkungen der ausbleibenden Wasserlieferungen. Für die Landwirte, egal auf welcher Seite der Grenze, könnte ein Wassermangel Schäden in Millionenhöhe verursachen und einen Verlust ihrer Lebensgrundlage bedeuten. Der Konflikt um das kostbare Wasser stellt nicht nur die binationalen Beziehungen der beiden Staaten auf eine harte Probe, sondern auch die Landwirte, deren Existenz bedroht wird.
Keine Kommentare