Blockade im UN-Sicherheitsrat: Humanitäre Hilfe als Spielball der Weltpolitik
„Sagt euren Regierungen, dass der deutsche Botschafter fragt, wie die Leute, die 500.000 Kindern die Hilfe entziehen wollen, morgen noch in den Spiegel sehen können.“ Es waren harte Worte, die Deutschlands UN-Botschafter Christoph Heusgen am Samstag an seine Kollegen aus Russland und China richtete. Vorausgegangen war eine Blockade im UN-Sicherheitsrat. Deutschland und Russland hatten sich in der Frage der humanitären Hilfslieferungen im Bürgerkriegsland Syrien tagelang nicht einigen können. Am Samstag verabschiedete der Rat schließlich einen Kompromissvorschlag. Viele halten ihn jedoch für nichts anderes als Erpressung. 1) tagesschau.de: UN-Sicherheitsrat einigt sich auf weitere Hilfsleistungen für Syrien; Video nicht mehr verfügbar 2) Süddeutsche Zeitung: Hilfslieferungen für Syrien: Schöne Theorie, hässliche Praxis; Artikel vom 12.07.2020
Teile von Syrien werden nicht von der Regierung in Damaskus kontrolliert, sondern von Rebellengruppen. Weil sich dort viele Menschen befinden, die auf humanitäre Hilfe angewiesen sind, erlaubte der UN-Sicherheitsrat 2014, dass internationale Hilfslieferungen in diese Gebiete auch ohne Genehmigung der Regierung in Damaskus stattfinden dürfen. Dafür waren lange Zeit vier Grenzübergänge zu Nachbarländern geöffnet. Seit Januar dieses Jahres ist diese Zahl jedoch auf Druck aus Russland hin auf zwei geschrumpft. 3) tagesschau.de: UN-Sicherheitsrat: Letzter Anlauf für Syrien-Hilfen; Artikel nicht mehr verfügbar
Die Genehmigung für die Nothilfe muss regelmäßig vom Sicherheitsrat verlängert werden. Doch diesen Juli wäre das beinahe nicht zustande gekommen. Deutschland, turnusgemäß Vorsitzender des Rates, und Belgien hatten gemeinsam eine Resolution eingebracht, die weiterhin zwei offene Grenzübergänge zur Versorgung der Menschen vorsah. Doch Russland und China legten ihr Veto ein. Sie forderten, dass zukünftig nur noch ein Übergang benutzt werden darf. 4) Süddeutsche Zeitung: Hilfslieferungen für Syrien: Schöne Theorie, hässliche Praxis; Artikel vom 12.07.2020
Tagelang legte jede Seite eigene Resolutionsentwürfe vor, die von der jeweils anderen abgelehnt wurden. Am Freitag, dem 10. Juli, lief dann das alte Mandat aus. Schließlich gaben Deutschland und seine Verbündeten nach und am Samstag beschloss der Sicherheitsrat, dass, wie von Russland gefordert, in Zukunft nur noch ein Grenzübergang offen bleiben wird. 5) DW: Vereinte Nationen: Syrien-Hilfe wird eingeschränkt verlängert; Artikel vom 11.07.2020
Deutschland, Belgien und Großbritannien sehen sich von Russland erpresst. Ohne Einigung hätte nämlich niemand von den drei Millionen Hilfsbedürftigen in der Provinz Idlib mehr Hilfsgüter bekommen. Doch mit der jetzigen Lösung sind vermutlich 1,3 Millionen Syrerinnen und Syrer, darunter 500.000 Kinder, noch immer von der Versorgung abgeschnitten. 6) Süddeutsche Zeitung: Hilfslieferungen für Syrien: Schöne Theorie, hässliche Praxis; Artikel vom 12.07.2020
Die Menschen in Idlib leben in halb zerstörten Städten oder unter noch schlimmeren Umständen in Flüchtlingslagern an der türkischen Grenze. Ihre wirtschaftliche Lage ist katastrophal und stets begleitet sie die Angst, dass die Kämpfe wieder aufflammen könnten. Am Donnerstag verzeichnete die Region ihren ersten Corona-Fall – die Krankenhäuser sind für einen Ausbruch nicht ausgestattet. Viele Länder, Medien und Experten beschuldigen die russische Regierung, auf Kosten dieser Menschen die Macht ihres Verbündeten, Syriens Diktator Baschar al-Assad, stärken zu wollen. 7) DW: Tagebuch aus Idlib: Syrien: Währungskrise verschlimmert Lage in Idlib; Artikel vom 12.06.2020 8) ZEIT Online: Syrien-Hilfen: Ein Machtkampf, der die Schwächsten leiden lässt; Artikel vom 10.07.2020 9) Süddeutsche Zeitung: Hilfslieferungen für Syrien: Schöne Theorie, hässliche Praxis; Artikel vom 12.07.2020
Moskau betont stets, nicht gegen humanitäre Hilfe zu sein. Allerdings habe sich die Situation in Syrien geändert. Anders als 2014 kontrollieren die Truppen der Regierung mittlerweile wieder große Teile des Landes. Man solle sich also der Realität des Krieges anpassen. Es sei schlicht nicht mehr nötig, in solchem Ausmaß Hilfsgüter von außen herein zu schicken. Das sei auch über das Regime möglich. 10) Deutschlandfunk: Syrien: Russland verteidigt Kompromiss zu Hilfslieferungen; nicht mehr verfügbar
An dieser Darstellung gibt es erhebliche Zweifel. Die Schließung der zwei Grenzposten im Januar hat bereits eine massive Verschlechterung der Lage in den betroffenen Gebieten mit sich gebracht. Dass es jetzt anders sein wird, ist nicht zu erwarten. Dazu wird Assad vorgeworfen, in der Vergangenheit Hilfslieferungen, die für das Rebellengebiet bestimmt waren, behindert und zum Teil sogar an seine Anhänger umgeleitet zu haben. Außerdem steckt Syrien gerade in der größten Wirtschaftskrise seiner Geschichte. Die syrische Währung ist praktisch nichts mehr wert und Assad schafft es nicht mehr, die eigene Bevölkerung zu versorgen. Fraglich, wie er sich da auch noch um die Menschen in Idlib kümmern will. 11) Süddeutsche Zeitung: Außenminister: Maas kritisiert Russland für Syrien-Politik; Artikel vom 08.07.2020 12) tagesschau.de: Ferhad Ahma, Verband Deutsch-syrischer Hilfsvereine, über UN-Hilfen für Syrien; Video nicht mehr verfügbar 13) Neue Züricher Zeitung: Trumps neue Sanktionen erhöhen den Druck auf Asad und erschüttern die syrische Wirtschaft; Artikel vom 17.06.2020
Es sieht also tatsächlich danach aus, dass es Russland primär darum geht, Assad den Sieg zu festigen. Moskau und Damaskus wird vorgeworfen, die Bevölkerung in Idlib, der letzten großen Rebellenhochburg, durch Aushungern zum Aufgeben zwingen zu wollen. Die Hilfslieferungen sind ihnen sowieso immer ein Dorn im Auge gewesen, sie sehen darin eine Verletzung der syrischen Souveränität. Russland will also dafür sorgen, dass Assad Schritt für Schritt die Kontrolle zurück bekommt. 14) tagesschau.de: Norbert Röttgen, Vors. Auswärtiger Ausschuss des Bundestages, über die UN-Abstimmung über Syrien-Hilfen; Video nicht mehr verfügbar 15) ZEIT Online: Syrien: Russland hebelt ein weiteres Grundprinzip des Völkerrechts aus; Artikel vom 11.07.2020 16) ZDF: Blockade der Resolution: Was ausländische Akteure in Syrien wollen; nicht mehr verfügbar 17) Süddeutsche Zeitung: Hilfslieferungen für Syrien: Schöne Theorie, hässliche Praxis; Artikel vom 12.07.2020
Dass Moskau den Hunger von Millionen Menschen in Kauf nimmt, um seine Agenda durchzusetzen ist unmenschlich. Humanitäre Hilfe für politische Zwecke zu missbrauchen, bedeutet einen Bruch mit internationalen Regeln. Mal wieder zeigt sich: In Syrien geht es nicht um Menschen, sondern um Macht und Einfluss. Die Bevölkerung muss dann die Folgen tragen. 18) ZEIT Online: Syrien: Russland hebelt ein weiteres Grundprinzip des Völkerrechts aus; Artikel vom 11.07.2020
Fußnoten und Quellen:
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