Menschenrechte verbergen strategische Interessen hinter Militärinterventionen
Mit Militärgewalt die Menschenrechte verteidigen – was widersprüchlich klingt, ist gängige Praxis in der Weltpolitik. In den 90er Jahren wurde in Somalia und Bosnien-Herzegowina eingegriffen, Anfang der 2000er folgte dann die US-Intervention in Afghanistan, später die Militäroperationen in Libyen und Syrien. Diesen Einsätzen ist eines gemeinsam: Wirklich verbessert haben sie die Situation vor Ort nicht, in Somalia, Libyen und Syrien hat sich das Leben der Menschen dramatisch verschlechtert.
Fehlgeschlagene Interventionen
Die Formen des Krieges haben sich geändert. Standen früher noch Angriffs- und Verteidigungskriege an erster Stelle, so ist seit den 1990er Jahren die Zahl der Militärinterventionen stark gestiegen. Davon nehmen sogenannte Friedensmissionen einen großen Teil ein. Diese Militäreinsätze werden jetzt vor allem durch die Wahrung von Menschenrechten begründet . Aber wieso haben sind sie so wenig erfolgreich? 1)Wichard Woyke und Johannes Varwick: Handwörterbuch Internationale Politik. Erscheinungsjahr: 2016
Ein Grundproblem sei die Vorstellung einer allwissenden und neutralen Interventionsmacht, so der US-Ökonom William Easterly. Faktisch sei das aber nie der Fall. Die neuen humanitären Interventionen würden westliche Interessen in den Vordergrund stellen, weniger die der betroffenen Länder. Als Beispiel nennt Easterly die amerikanische Ablehnung einer Intervention in Ruanda während des Genozides 1994. Clinton folgte damit der rechten Kritik an dem Konzept des Nation-Building. Wenige Jahre später mit Nation Building aber der Einmarsch amerikanischer Truppen nach Afghanistan und Irak gerechtfertigt werden. 2)William Easterly: The White Man’s Burden: Erscheinungsjahr: 2007
Ignoranz und Arroganz
In den vergangenen Friedensmissionen erkennt Easterly außerdem eine gewisse Ignoranz der Interventionsmächte gegenüber den lokalen Gegebenheiten. Die Interventionen bewegen sich immer zwischen zwei Extremen: Neutralität zwischen den Konfliktparteien oder erzwungene Regimewechsel. Im Vorlauf der UN-Intervention während des Jugoslawienkriegs wurden Informationen von „zwei Männern im Jeep“ eingeholt – keiner kannte sich tiefgehend mit der Region aus . Während serbische Soldaten die bosnische Bevölkerung vergewaltigten oder töteten, blieben die UN-Truppen neutral. Weil die UN die Geschehnisse in Ruanda nur in vorgefertigte Kategorien wie Bürgerkrieg oder gewalttätiges Chaos einordnete, entschieden sie sich gegen eine Intervention – die Hinweise auf den Völkermord an den Tutsi wurden nicht entsprechend verarbeitet. Deswegen erhielten die UN-Truppen kein Mandat zu einer militärischen Intervention und mussten dem Völkermord tatenlos zu sehen. Ein tschechisches Mitglied des UN-Sicherheitsrates beschrieb das Vorgehen der UN wie einen Versuch „Hitler zu einem Waffenstillstand mit den Juden zu bewegen“.
In Somalia bewegten die medienstarken Bilder von Bewaffneten und einer Hungersnot die UN schließlich zu einer Intervention – die Strukturen der dortigen Clanpolitik ignorierte man dabei. Diesmal stellten sich die UN-Kräfte gegen die Aidid-Gruppe, wenngleich alle Clans Menschenrechtsverletzungen begingen. 3)William Easterly: The White Man’s Burden: Erscheinungsjahr: 2007
In Libyen unterstützten NATO-Truppen die Rebellen auf Grundlage einer Resolution des UN-Sicherheitsrats und stürzten schließlich das Gaddafi-Regime. Die UN-Resolution war nur dazu verabschiedet worden, massive Vergeltungsangriffe des Regimes auf Zivilisten zu verhindern. Die USA und Europa hätten diese Resolution zum Sturz Gaddafis missbraucht, so der Politikwissenschaftler Michael Lüders. Danach musste ein völlig neuer Staat gegründet werden. Mittlerweile konkurrieren in Libyen zwei verschiedene Regierungen um die Macht. Die 2016 von den Vereinten Nationen geschaffene Einheitsregierung schaffte es nicht, die vielen Milizen und Splittergruppen zu kontrollieren. Der Aufbau eines stabilen Staates und nachhaltigen Friedens ist Stand jetzt gescheitert. 4)Bundeszentrale für politische Bildung: Libyen nach der Revolution des 17. Februar: nicht mehr vorhanden 5)DW: Libyen – Von der Revolution zum Bürgerkrieg: Artikel vom 5.4.2019 6)Michael Lüders: Wer den Wind sät: Was westliche Politik im Orient anrichtet: Erscheinungsjahr 2019, 29. Auflage
In Syrien ist die Situation ebenso verfahren. Nach den Erfahrungen in Libyen haben China und Russland im UN-Sicherheitsrat zu möglichen Resolutionen immer von ihrem Vetorecht Gebrauch gemacht. In Syrien herrscht nun ein Stellvertreterkrieg – motiviert von geopolitischen Interessen der USA, von Europa, Russland, China und dem Iran. Darunter leidet vor allem die Bevölkerung, weit entfernt von Frieden und Stabilität. 7)Michael Lüders: Wer den Wind sät: Was westliche Politik im Orient anrichtet: Erscheinungsjahr 2019, 29. Auflage
Ein zentrales Problem der militärischen Interventionen zum Schutz der Menschenrechte ist auch die unterschwellig arrogante Haltung: Nur der Westen könne die „wilden Barbaren“ davon abhalten, sich gegenseitig umzubringen. Das Ziel der Friedenssicherung der UN-Interventionen wurde aber in den seltensten Fällen erfüllt – gerade mal ein Viertel der Interventionen führte zu einem stabilen Frieden. Der Politikwissenschaftler Jeremy Weinstein spricht von zehn Jahren ohne erneuten Krieg als Voraussetzung für einen nachhaltigen Frieden. Weil die Interventionen verfeindete Akteure zwingen zusammenzuarbeiten, würden diese auch nur einen brüchigen Frieden produzieren. Ohne UN-Interventionen entstand in Konfliktländern in jedem zweiten Fall ein anhaltender Frieden. Während die gescheiterte UN/US-Intervention Somalias Weg zu einem failed state ebnete, erfuhr Somaliland Frieden, Wirtschaftswachstum und demokratische Wahlen. 8)William Easterly: The White Man’s Burden: Erscheinungsjahr: 2007
Oder soll man es lassen?
Die vergangenen Militärinterventionen haben in den meisten Fällen verbrannte Erde hinterlassen. Wichtig ist trotzdem, zwischen UN-gestützten Interventionen und rein staatlichen Interventionen zu unterscheiden. So war der Irakkrieg der USA völkerrechtswidrig. Aber auch die geopolitische Instrumentalisierung der UN-Resolution für Libyen ist äußerst fragwürdig. Dennoch stellt sich die Frage, ob im Falle krasser Menschenrechtsverletzungen und drohender Völkermorde Wegschauen die richtige Lösung sein kann. Die Vereinten Nationen haben nach dem Genozid in Ruanda und den Massakern in Bosnien die internationale Schutzverantwortung (Responsibility to Protect, abgekürzt R2P) geschaffen. Diese verpflichtet die Staaten, ihre Bevölkerung vor Verbrechen gegen die Menschlichkeit zu schützen. In letzter Instanz kann dann auch die Internationale Gemeinschaft (militärisch) eingreifen. Die Staaten des Globalen Südens werfen dem Westen auch anhand des Libyen-Einsatzes die Instrumentalisierung von humanitären Idealen für machtpolitische Zwecke vor. Dennoch: Am Ende geht es immer um Menschenleben, die vor einem Massenmord bewahrt werden könnten. Das Nichtstun der UN-Truppen in Bosnien und Ruanda ist dafür mahnendes Beispiel. Und: Eine der wichtigsten Interventionen war wohl die der Allierten während dem zweiten Weltkrieg, die größeres Leid verhinderte.
Damit Menschenrechte und Frieden aber nicht nur leere Worte bleiben, müssen vor möglichen Interventionen viel mehr Stimmen gehört werden. Der UN-Sicherheitsrat spiegelt momentan nur ungleiche Machtverhältnisse wieder – so ist kein afrikanisches und kein südamerikanisches Land unter den ständigen Mitgliedern. Einsatz für die Menschenrechte fängt schon damit an, die Weltpolitik inklusiver zu gestalten. 9)Bundeszentrale für politische Bildung: Das Konzept der Internationalen Schutzverantwortung: Artikel vom 15.7.2015 10)DW: Irak-Krieg: Am Anfang stand die Lüge: Artikel vom 9.4.2018 11)Bundeszentrale für politische Bildung: Schutzverantwortung als neues Machtinstrument?: Artikel vom 2.9.2013
Fußnoten und Quellen:
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