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Was bringt Menschen dazu, ihre Heimat zu verlassen und ein besseres Leben zu suchen? | Bild: © earthlink e.V. [alle Rechte vorbehalten] -
Künstlicher Rassismus der Kolonialvergangenheit spaltet Burundi bis heute
Burundis Präsident Peirre Nkurunziza ist mit 55 Jahren gestorben. Diese Nachricht kommt nur wenige Wochen nach den Wahlen im Land. Nach drei Amtsperioden hatte Nkurunziza sich im Mai nicht mehr aufstellen lassen, gewählt wurde sein designierter Nachfolger und Parteifreund Evariste Ndayishimiye. Die Wahl wird von mehreren Kontroversen überschattet. Unabhängige Beobachter berichten von Unregelmäßigkeiten. An einigen Orten sind Urnen mit gefälschten Wahlzetteln gefüllt worden und Wähler konnten nicht geheim abstimmen. Sie sind dazu gedrängt worden, ihre Stimme der Regierungspartei zu geben. Der Präsident der Burundi-Untersuchungskommission der Vereinten Nationen, Doudou Diène, hat die Wahl als nicht frei und unglaubwürdig bezeichnet. Gleichzeitig breitete sich im Mai das Corona-Virus bereits schnell aus. In Burundi wurde die Epidemie laut der International Crisis Group von den Behörden vertuscht, um den Wahltermin nicht zu gefährden. Eine traurige Ironie des Schicksals, denn Nkurunziza ist wahrscheinlich ein Opfer seiner eignen Strategie geworden. Offiziell ist der scheidende Präsident durch einen Herzinfarkt gestorben, die wahrscheinlichere Todesursache ist allerdings eine Infektion mit Covid-19. Für die Menschen in Burundi bedeutet das zunächst Ungewissheit. Nkurunziza war 15 Jahre lang Präsident des Landes und es wurde erwartet, dass er die Amtsgeschäfte auch weiterhin aus dem Hintergrund steuern würde. Durch seinen Tod hat der neue Präsident Ndayishimiye nun freie Hand. 1) DW: Pierre Nkurunziza – Burundis „ewiger oberster Führer“ ist tot; Stand 09.06.2020 2) DW: Massiver Wahlbetrug in Burundi?; Stand 20.05.2020
Er erbt ein instabiles Land, denn die dritte Amtszeit Nkurunzizas war laut Verfassung nicht zulässig. Deshalb kam es 2015 zu einem Putschversuch von hochrangigen Generälen, der scheiterte. Seitdem befindet sich Burundi in einer Dauerkrise. Es gibt weiterhin Teile der Bevölkerung, welche die Regierung entmachten wollen, diese werden aber mit immer mehr Repression und Gewalt unterdrückt. In den letzten Jahren sind 400.000 Menschen aus Burundi in Nachbarländer geflohen, zusätzlich gibt es 200.000 Binnenvertriebene. Neben der Gewalt lähmt vor allem ökonomische Perspektivlosigkeit die Bevölkerung.
Kolonialherren haben Burundi systematisch gespalten
Burundi ist nicht erst seit 2015 ein gespaltenes Land. Wie bei so vielen anderen afrikanischen Staaten, sind die Jahrzehnte seit der kolonialen Unabhängigkeit von immer wieder aufflammender Gewalt geprägt. Um zu verstehen, woher die Konflikte kommen, muss man in der Geschichte zurückgehen und betrachten, wie die Kolonialmächte Deutschland und Belgien die Bevölkerung in Burundi systematisch gespalten haben, um leichter regieren zu können. 3) DW: Pierre Nkurunziza – Burundis „ewiger oberster Führer“ ist tot; Stand 09.06.2020
Schon vor der Kolonialzeit war die Gesellschaft in Burundi in die beiden sozialen Gruppen der Tutsi und Hutu getrennt. Tutsi besaßen Vieh, während Hutu Ackerbauern waren. Die wohlhabenderen Tutsi bildeten eine Art Adel und stellten auch den König. Dabei waren die Schichten allerdings durchlässig, ein Mensch konnte als Hutu geboren werden und als Tutsi sterben, wenn es ihm im Laufe seines Lebens gelang Vieh zu erwerben. Die beiden heutigen Staaten Burundi und Ruanda waren ab 1885 Teil des Kolonialgebiets Deutsch-Ostafrika. Da das deutsche Kaiserreich zu dieser Zeit nur wenige Kräfte in die Region entsenden konnte, war es auf ein System der indirekten Herrschaft angewiesen, um die Bevölkerung zu kontrollieren. Zu diesem Zweck wurde die soziale Spaltung in Tutsi und Hutu künstlich und bewusst rassistisch aufgeladen. Die Minderheit der Tutsi, welche 15 Prozent der Bevölkerung ausmachte, wurde als Herrscher instrumentalisiert. Tutsi seien im Gegensatz zu Hutu ein Hirtenvolk und keine „echten“ Afrikaner und daher in Charakter, Intelligenz und Aussehen überlegen. Die Tutsi machten sich diese Vormachtstellung gerne zu eigen. Nach dem Ersten Weltkrieg wurden Burundi und Ruanda Teil des belgischen Kolonialreichs, welches die rassistische Spaltung zum unüberwindbaren Hindernis machte. Die Zugehörigkeit zu einer Gruppe entschied über die sozialen Chancen eines Individuums, zum Beispiel über den Zugang zu Bildung. Das Klassendenken ging von den Kolonialherren auf die Bevölkerung über, die Tutsi fingen selbst an zu glauben, sie würden eine höhere Rasse darstellen. Die Hutu, von allen Stellen der Mach ausgeschlossen und ausgebeutet, fingen an die Tutsi zu hassen. Das Perfide – die Unterschiede zwischen den Tutsi und Hutu gab es nur in den Köpfen der Menschen, die rassistische Einteilung basierte auf keinerlei Grundlage. Das durchschnittliche Einkommen von Tutsi war nur minimal höher als das von Hutu. Kaum ein Tutsi hatte eine wirklich einflussreiche Position im Kolonialstaat, diese waren von Weißen besetz. Dennoch hassten sich Hutu und Tutsi, auch wenn sie gleich arm waren.
Die Geschichte Burundis und Ruandas ist seit der Unabhängigkeit von Belgien, im Jahr 1962, von blutigen Auseinandersetzungen um die politische und wirtschaftliche Macht gekennzeichnet. In Ruanda gelangten nach der Unabhängigkeit die Hutu an die Macht, in Burundi konnten die Tutsi ihre Vormachtstellung beibehalten. In beiden Ländern führten die Spannungen aus der Kolonialzeit zu Gewalt und Völkermorden. 1972 schlug in Burundi, die dort von Tutsi kontrollierte Armee einen Aufstand der Hutu nieder und brachte zwischen 100.000 und 200.000 Menschen um. In rund 100 Tagen zwischen April und Mitte Juli 1994 ereignete sich der Völkermord in Ruanda. Radikale Angehörige der Hutu töteten in dieser Zeit mehr als 800.000 Menschen, überwiegend aus der Bevölkerungsminderheit der Tutsi. Die Gewalt in Burundi ist immer wieder angeschwollen und abgeebbt, in den 1990er-Jahren kam es zum Bürgerkrieg, der 2000 mit einem Friedensabkommen beendet wurde. Dessen zentraler Punkt war die klare Machtteilung von Hutu und Tutsi in Regierung, Parlament, öffentlicher Verwaltung und dem Militär. Außerdem wurde die Zahl der Amtsperioden des Präsidenten auf ein Maximum von zwei beschränkt. 4) marx21: Der Völkermord und das Erbe des Kolonialismus; Stand 04.04.2014 5) bpb: Gedenken an den Völkermord in Ruanda; Stand 2.4.2020Die Gier nach Macht stürzt das Land erneut ins Chaos

Burundis ehemaliger Präsident Pierre Nkurunziza © AMISOM Public Information [Public Domain ] Flickr
Der ewige Präsident hat seinem Nachfolger ein kaputtes Land hinterlassen. Viele Menschen im Land sind skeptisch, dass sich etwas an der politischen Situation in Burundi ändert. Das Problem liegt am System der Regierungspartei CNDD-FDD. Es bedürfe eines richtigen politischen Dialogs, um eine nachhaltige Lösung für das Land zu finden. Diesen wird es unter dem neuen Präsidenten aber wahrscheinlich nicht geben.
Fußnoten und Quellen:
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