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Was bringt Menschen dazu, ihre Heimat zu verlassen und ein besseres Leben zu suchen? | Bild: © earthlink e.V. [alle Rechte vorbehalten] -
Wachstum – Entwicklung – Klimawandel: Ist das vereinbar?
Online-Unterricht, dann ein selbstgekochtes Mittagessen und dann ein gemütlicher Filmabend auf der Couch – so gestaltet sich der Alltag während der Corona-Pandemie für viele. Allerdings ist weiterhin ein Viertel der Menschheit arm und wird in den Bereichen Bildung, Ernährung und Lebensstandard zurückgelassen. Dazu kommt für viele Perspektivlosigkeit – die Arbeitslosigkeit ist vielerorts hoch, in Südafrika steht sie 2020 bei 35 Prozent. Viele arbeitende Menschen bleiben dennoch arm, in Sub-Sahara Afrika verdienen 70 Prozent weniger als 3,10 Dollar am Tag. Viele suchen daher den Weg in ein besseres Leben mit mehr Chancen, der sie oftmals nach Europa führt. Knapp vierzig Prozent junger Afrikaner wollen auswandern. 1)UNDP: The 2019 Global Multidimensional Poverty Index (MPI): Stand heute, 20.05.2020 2)Statista: Südafrika – Arbeitslosenquote von 1980 bis 2019 und Prognosen bis 2021: Statistik, Stand heute, 20.05.2020 3)FAZ: Die kommende Völkerwanderung: Artikel vom 12.11.2016
Trotz des hohen Ausmaßes an Armut entwickeln sich in vielen Ländern des globalen Südens stark positive Trends für das Wirtschaftswachstum, die Armutsbekämpfung und das Wohlstandswachstum. Experten sprechen von einer größeren Dynamik als die der industriellen Revolution. In Indien leben trotzdem die zweitmeisten Armen der Welt. Deswegen nennt der indische Premierminister Modi die Entwicklung als oberstes Ziel. Doch dieses Wachstum hat seinen Preis – der Klimawandel schreitet voran und Indien setzt weiterhin stark auf Kohle. Das Land befindet sich momentan auf Platz drei des weltweiten Kohlenstoffdioxid-Ausstoßes, der Pro-Kopf-Ausstoß könnte bis 2030 4,3 Tonnen erreichen. Die USA emittieren doppelt so viel CO2 und befinden sich auf Platz zwei. 2030 würde der Pro-Kopf-Ausstoß in den Vereinigten Staaten bei 14,9 Tonnen liegen, das ist etwa die dreifache Menge Indiens. Der damalige US-Außenminister erklärte im Vorfeld der Pariser Klimakonferenz 2015 Indien als Herausforderung für den Klimawandel, woraufhin den westlichen Industriestaaten Heuchelei vorgeworfen wurde. Diese würden schon seit über hundert Jahren das Klima vergiften und seien dafür hauptverantwortlich, so der indische Energieminister. Indien sei nicht bereit, deswegen die eigene Entwicklung zurückzustellen. Diese Auseinandersetzung demonstriert ein größeres globales Problem: Wie kann weltweiter Wohlstand gerecht entstehen? Viele Staaten des globalen Südens setzen dabei auf Wirtschaftswachstum, um Armut, Hunger und Arbeitslosigkeit zu lindern. Der kenianische Ökonom James Shikwati verteidigt das. Wenn vor allem westliche Umweltschützer einen Anti-Wachstumskurs propagieren, dann bedeute das eigentlich, „die Leute in den armen Ländern sollen arm bleiben. Wenn jemand sagt, wir sollen nicht wachsen, dann sagt er eigentlich, wir sollen in der Armut bleiben – mit den Krankheiten und dem Hunger“, so Shikwati. Um Gerechtigkeit herzustellen, fordert er Kompensationszahlungen westlicher Länder für die Schäden, die sie durch ihre Produktion und den Lebensstandard im globalen Süden verursacht haben. 4)BTI: India Country Report 2020: Bericht, Stand heute 20.05.2020 5)Telepolis: Der globale Süden holt auf: Artikel vom 15.3.2013 6)Spiegel: Klimasünder Indien – Kohle gegen Kohle: Artikel vom 4.12.2015 7)Climatecollege: United States of America: Factsheet, nicht mehr verfügbar 8)Tagesspiegel: Welche Länder beim Klimaschutz liefern – und welche nicht: Artikel vom 23.09.2019 9)DW: Afrika braucht keine Wachstumskritik: Video vom 26.12.2019
Mittlerweile hat sich eine Debatte darum entfacht, wie im Schatten des Klimawandels Wirtschaftswachstum und Entwicklung nachhaltig und gerecht gestaltet werden kann. Dabei wird aber auch die Frage gestellt, ob Entwicklung wirklich immer Wirtschaftswachstum bedeuten muss. Anhänger dieser Idee sehen Wirtschaftswachstum als einziges Mittel, mit dem vermeintlich unterentwickelte Länder ihre Armut überwinden könnten. Das Argument der Wachstumsverfechter würde oft genutzt werden, um weiteres Wirtschaftswachstum im Westen zu begründen. Wirtschaftswachstum im globalen Norden würde mittels „trickle-down“ schließlich auch dem globalen Süden zugutekommen. Kritik an dieser Gleichung kommt dabei von der „Degrowth“-Bewegung und der Post-Wachstums-Ökonomie. Der Denkfehler daran sei, dass weiteres Wachstum angesichts steigender Ressourcenknappheit den globalen Süden eher benachteiligen würde. Eine „verzögerte“ Imitation westlicher Entwicklung sei aufgrund geopolitischer, ökonomischer und ökologischer Gründe unmöglich. Auch die verlässlichste Maßzahl des Wirtschaftswachstums, das BIP, sei ungeeignet den tatsächlichen Lebensstandard von Menschen im globalen Süden zu erfassen. In manchen Gemeinden im globalen Süden wird gemeinschaftlich Land bewirtschaftet und die Erträge verteilt. Privatisierungen, Lohn- und Erwerbsarbeit bedeute dann nicht zwangsläufig eine materielle Verbesserung, denn damit geht oft der Verlust dieser gemeinschaftlichen Versorgungsform einher. Die Degrowth-Bewegung hingegen fordert, das Wirtschafts- und Entwicklungsparadigma des ewigen Wachstums zu überdenken. Sie schlägt vor, das menschliche Wohlergehen und den Erhalt der ökologischen Lebensgrundlagen in den Mittelpunkt zu stellen. So solle die Arbeitszeit verkürzt und dem Familienleben mehr Vorrang gewährt werden. Mit der Abkehr vom Wachstumsparadigma soll dem globalen Süden schließlich eine eigene, selbstgestaltete Entwicklung zugestanden werden. Auch das Wirtschaftssystem soll demokratisiert werden. 10)Degrowth: In Bewegung, um Alternativen zu stärken und Wachstum, Wettbewerb und Profit zu überwinden: nicht mehr verfügbar 11)Blog Postwachstum: Post-Development-Diskurs: Lektionen für die Degrowth-Bewegung (Teil 1): Artikel vom 20.7.2015
Das das zwingend nötig ist, zeigen die aktuellen internationalen Verhandlungen über Wirtschaftswachstum und Entwicklung. In vielen internationalen Entscheidungsgremien, etwa den G7 oder den G20, findet sich nur ein Bruchteil der Staaten wieder. Die Gipfeltreffen einiger weniger treffen dann allerdings wegweisende Entscheidungen mit Konsequenzen für die Klimagerechtigkeit und den wirtschaftlichen Austausch. Auch der Einfluss vieler Staaten des globalen Südens bei Institutionen wie der Weltbank und dem IMF ist begrenzt, denn der Stimmanteil richtet sich nach dem wirtschaftlichen Beitrag zu diesen Institutionen. Die Demokratisierung dieser Institutionen ist entscheidend für eine (klima-)gerechte Transformation des 21. Jahrhunderts: Ohne Hunger, ohne Armut, mit Chancen für alle. Damit jeder Mensch in seiner Heimat ein gutes Leben führen kann. 12)DIE/GDI: Entwicklungspolitik für eine gerechte Globalisierung: Kolumne vom 17.9.2018
Fußnoten und Quellen:
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