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Was bringt Menschen dazu, ihre Heimat zu verlassen und ein besseres Leben zu suchen? | Bild: © earthlink e.V. [alle Rechte vorbehalten] -
EU-Mission Irini kann Waffenembargo in Libyen nicht effektiv durchsetzen

© Ali Zifan [CC BY-SA 4.0] Wikimedia Commons
Libyens Entwicklung von der Gaddafi-Diktatur zum Failed State
Nach den Umbrüchen in Tunesien und Ägypten brachen im Februar 2011 auch in mehreren libyschen Städten Aufstände aus. Das Gaddafi-Regime versuchte, die Proteste gewaltsam niederzuschlagen, trug so aber zu einer weiteren Eskalation bei. Die libysche Revolution entwickelte sich von einem Freiheitskampf gegen die 40-jährige Herrschaft Muammar al-Gaddafis zu einem Bürgerkrieg. In diesem rivalisierten verschiedene Gruppen um Einfluss und die Bildung einer eigenen Regierung. Seit diesem gescheiterten politischen Übergangsprozess konnte sich das Land nicht mehr stabilisieren. Aktuell bekämpfen sich zwei politische Lager, die sich jeweils einem Parlament und einer Regierung zuordnen und für die rechtmäßige Instanz halten. Die Mehrheit des im Juni 2014 gewählten Repräsentantenhauses bildet heute die Regierung im Osten des Landes unter General Haftar. Sie wird von den Vertretern des 2012 gewählten allgemeinen Nationalkongresses in Tripolis allerdings nicht anerkannt. Dieser bildete 2014 auf Betreiben der UN eine Einheitsregierung unter Fayez al-Sarraj, welche den Westen Libyens und die Hauptstadt Tripolis kontrolliert. 4) bpb: Lybien; Stand 18.012.2017 5) tagesschau: Was vom Waffenstillstand übrig ist; Stand 16.02.2020
Diese beiden Parteien stehen nicht allein, sie bekommen jeweils Unterstützung von verschiedenen ausländischen Mächten, die ihre Interessen im Land durchsetzen wollen. Auf der Seite der Regierung in Tripolis stehen Italien, Katar und vor allem die Türkei. Der Türkei geht es hierbei um den Ausbau der eigenen Energieversorgung. Da das Land selbst kaum Öl- oder Gasvorkommen besitzt, möchte sich Ankara den Zugang zu libyschen Energiereserven sichern. General Haftar hat viele Verbündete, die ihn als Garant für Stabilität in der Region sehen und deshalb unterstützt ihn unter anderem auch Frankreich. Ägypten will den Einfluss von terroristischen Gruppen, welche die Einheitsregierung unterstützen, zurückdrängen und die Sicherheit im gemeinsamen Grenzgebiet wahren, in dem es wiederholt zu terroristischen Angriffen gekommen ist. Die Vereinigten Arabischen Emirate unterstützen Haftar mit dem Einsatz von Kampfdrohnen und Bombardements. Saudi-Arabien fördert den Konflikt durch finanzielle Unterstützung in Höhe von mehren Millionen Dollar. Russland versucht seinen Einfluss im Nahen Osten auszubauen und Energie-, Militär- und Infrastrukturverträge in Milliardenhöhe zurückgewinnen, die nach dem Sturz Gaddafis verloren gegangen sind. 6) zdf: Flüchtlinge, Terror, Öl: Wer in Libyen welche Interessen hat; nicht mehr verfügbar 7) tagesschau: UN enttarnen Geheimprojekt in Libyen; Stand 25.05.2020
Das Waffenembargo der Vereinten Nationen ist ineffektiv
Wegen des Einsatzes von Gewalt gegen Zivilpersonen und der systematischen Verletzung von Menschenrechten bei der Unterdrückung der Aufstände im Rahmen des Arabischen Frühlings 2011 hat die UN ein Waffenembargo gegen Libyen verhängt. Dieses gilt bis heute, zumindest auf dem Papier. In der Realität haben sich die verschiedenen Unterstützerländer nicht daran gehalten. Um das zu ändern, hat die Bundesregierung die Rolle des Vermittlers eingenommen und im Januar dieses Jahres die Berliner Libyen-Konferenz einberufen. Bei dieser sollen sich alle internationalen Partner der Konfliktparteien zu einem Waffenstillstand und dem Stopp von Waffenlieferungen bekennen. Alle diese Staaten haben sich verpflichtet, die Souveränität Libyens zu achten und nicht mehr in den Konflikt einzugreifen. Sie haben anerkannt, dass die unkontrollierte Verbreitung einer Vielzahl von Waffen und ein räuberisches Wirtschaftsgebaren den Weltfrieden und die internationale Sicherheit bedrohen. Das Andauern des Bürgerkriegs bietet terroristischen Organisationen einen fruchtbaren Boden, weswegen Al-Qaida und der Islamische Staat im libyschen Hoheitsgebiet Fuß fassen konnten. Dies hat zu einer destabilisierenden Zunahme illegaler Migration in der Region und zu einer gravierenden Verschlechterung der humanitären Lage geführt. 8) UN: Resolution 1970; Stand 26.02.2011 ((Die Bundesregierung: Berliner Libyen-Konferenz; Stand 19.01.2020 )) 9) Die Bundesregierung: Waffenruhe für Libyen; Stand 19.01.2020
EU-Mission Irini – gute Absicht, schlechte Umsetzung
Nach der Libyen-Konferenz hat die EU reagiert und im Februar die Mission Irini verabschiedet. Sie dient der Umsetzung des Waffenembargos durch Kontrolle auf dem Seeweg. Der Innenminister der Einheitsregierung in Tripolis hat die Maßnahmen der EU als unausgewogen bezeichnet. Denn durch Irini werden nur Waffenlieferungen auf dem Seeweg gestoppt, solche über die östliche Grenze Libyens oder aus der Luft werden lediglich beobachtet. Die Empörung der Regierung in Tripolis ist zu erwarten, wenn man bedenkt, dass sie all ihre türkischen Waffenlieferungen über den Seeweg erhält. Die Versorgung von General Haftars Truppen mit Waffen findet dagegen über die östliche Grenze und die Luft statt. Die Versprechen der Berliner Libyen-Konferenz wurden von den Vereinigten Arabischen Emiraten und Ägypten sofort wieder gebrochen. Damit verfehlt Irini ihr Ziel. Auf diesem Weg kann der Bürgerkrieg nicht beruhigt werden, denn in der momentanen Situation verschieben sich die Kraftverhältnisse. Die Offensive von General Haftar gegen Tripolis findet seit einem Jahr statt und konnte noch keine nennenswerten Erfolge aufweisen. Das ist vermutlich auch der Grund, warum der General einem Waffenstillstand über dem Ramadan zugestimmt hat. Er benötigt Zeit, seine Truppen zu reorganisieren und zu stärken. Die EU bietet ihm diese mit ihrer einseitigen Durchsetzung des Waffenembargos. 10) Rat der EU: EU startet Operation IRINI zur Durchsetzung des Waffenembargos gegen Libyen; Stand 31.03.2020 11) Deutschlandfunk: Libyen: Viele offene Fragen bei der Embargoüberwachung; Stand 25.04.2020 12) DW: Libyen kritisiert EU-Mission „Irini“; Stand 22.05.2020
Zivilbevölkerung und Flüchtlinge aus ganz Afrika sind die Leidtragenden
Von den sechs Millionen Einwohnern in Libyen sind 400.000 Binnenvertriebene. Besonders drastisch ist die Situation momentan in Tripolis und der näheren Umgebung. Dort wurden seit April vergangen Jahres 300 Menschen getötet und 150.000 weitere aus ihren Häusern vertreiben. Nach Angaben der UN sind 820.000 Menschen in Libyen auf Hilfe angewiesen, darunter 248.000 Kinder. Nur die Hälfte von ihnen kommt aus dem Land selbst, der Rest sind Flüchtlinge auf dem Weg nach Europa. Seit dem Schließen der Balkanroute ist Libyen ein wichtiges Transitland für Flüchtlinge aus Afrika und dem Nahen Osten geworden. Die Küste des Landes ist der Startpunkt der zentralen Mittelmehrroute nach Südeuropa. Hier zeigt sich der europäische Zynismus. Für die Irini-Mission kreuzen Schiffe vor der libyschen Küste. Offiziell befinden sich die Schiffe nicht auf einer Flüchtlingsroute, sondern weiter östlich im Mittelmeer, geographisch umsetzbar ist das eher schwierig. Früher oder später wird ein Schiff der Irin-Mission in den Kontakt mit Flüchtlingen in Seenot kommen. Für diesen Fall sehen die Einsatzregeln vor, sich wieder zurückzuziehen, um nicht in die Situation zu kommen, Migranten aufnehmen zu müssen.
Die EU versucht, durch die Durchsetzung eines Waffenembargos den Krieg in Libyen auszutrocknen und damit die humanitäre Situation der Bevölkerung zu verbessern. Gleichzeitig schaut man aber genau diesen Menschen, die aus Verzweiflung fliehen, beim Ertrinken zu, weil es politisch zu brisant ist, mehr Flüchtlinge aufzunehmen. Das ist menschenverachtend und nicht mit den Werten, für die die EU steht, vereinbar. 13) Deutschlandfunk: Libyen: Viele offene Fragen bei der Embargoüberwachung; Stand 25.04.2020 14) UNCHR: Libyen: Verschärfung der humanitären Krise aufgrund von Konflikten und COVID-19-Bedrohung; Stand 03.04.2020 15) UNO: Flüchtlinge in Libyen; Stand 20.05.2020 16) Aktion Deutschland Hilft: Libyen; Stand 07.2018
Fußnoten und Quellen:
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