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Was bringt Menschen dazu, ihre Heimat zu verlassen und ein besseres Leben zu suchen? | Bild: © earthlink e.V. [alle Rechte vorbehalten] -
Bundesentwicklungsminister bindet Zusammenarbeit an Einhaltung der Menschenrechte
„Umdenken – Umsteuern“ – so lautet das Motto des neuen Reformkonzepts „BMZ 2030“ von Bundesentwicklungsminister Gerd Müller. Es ist die größte Umstrukturierung der deutschen Entwicklungsarbeit der letzten zwölf Jahre. Seit der CSU-Politiker im Amt ist, ist es ihm stets ein großes Anliegen gewesen, Fluchtursachen zu bekämpfen. Doch wird der neue Plan diesem Anspruch gerecht? 1)Bundesministerium für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung: Neue Qualität der Zusammenarbeit: Entwicklungsministerium legt mit „BMZ 2030“ Reformkonzept vor; nicht mehr verfügbar
Weniger Länder, dafür mehr Effizienz?
„BMZ 2030“ soll die Arbeit von Müllers Ministeriums, des BMZ, effektiver und wirksamer gestalten. Bisher hat Deutschland in Sachen Entwicklungshilfe mit 85 Ländern auf staatlicher Ebene zusammengearbeitet. Diese Liste wird nun auf 60 Länder gekürzt. So sollen weniger Projekte mit größerer Effizienz betrieben werden können. „Weg vom Prinzip der Gießkanne“ – das ist Müllers Motto. 2)Tagesschau.de: Neue Kriterien festgelegt: Mehr Entwicklungshilfe für weniger Länder; Artikel vom 29.04.2020 3)DW: Reformkonzept: Entwicklungshilfe: Weg von der Gießkanne; Artikel vom 07.05.2020
Deshalb zieht sich das Ministerium nun aus einigen Ländern zurück, in denen Deutschland im Vergleich zu anderen Staaten und Organisationen bisher nur in geringem Umfang vertreten war. Dieses Vorgehen wird von Hilfsorganisationen, Politikern und Menschen in den betroffenen Ländern scharf kritisiert. Müller rechtfertigt sich und weist daraufhin, dass er mit niemand die gesamte Zusammenarbeit beende. Lediglich Qualität und Form würden sich ändern. In den betroffenen Staaten unterstütze man in Zukunft verstärkt die Arbeit Anderer, wie Kirchen, NGOs oder EU-Partner. 4)Bundesministerium für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung: Neue Qualität der Zusammenarbeit: Entwicklungsministerium legt mit „BMZ 2030“ Reformkonzept vor; nicht mehr verfügbar
Dennoch bleibt die Kritik: Lateinamerika zum Beispiel verlässt Deutschland fast ganz. Dort braucht man die deutschen Entwicklungsgelder aber dringend, denn auch US-Präsident Trump hat vielen Ländern in der Region die Unterstützung gestrichen. In Afrika betreffen die Kürzungen vor allem die am wenigsten entwickelten Länder. Staaten, die vor sehr großen Problemen stehen und die deutsche Hilfe besonders nötig haben. Doch Müller lässt sie im Stich. 5)DW: Reformkonzept: Entwicklungshilfe: Weg von der Gießkanne; Artikel vom 07.05.2020 6)epo: BMZ 2030: ONE: „Müller lässt die Ärmsten zurück“; Artikel vom 06.05.2020 7)Tagesschau.de: Neue Kriterien festgelegt: Mehr Entwicklungshilfe für weniger Länder; Artikel vom 29.04.2020 8)FOCUS Online: Gastbeitrag von Uwe Kekeritz: Die falsche Motivation hinter Deutschlands Entwicklungshilfe; Artikel vom 06.05.2020
Menschenrechte als Auswahlkriterium
Die Länder, mit denen Müller in Zukunft zusammenarbeiten will, wählt er aber auch noch nach einem anderen Prinzip aus: Unterstützt wird nur, wer bereit ist, Reformen umzusetzen und Korruption zu bekämpfen. 9)Bundesministerium für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung: Reformkonzept „BMZ 2030“; nicht mehr verfügbar
„Wir fordern gezielte Anstrengungen und Erfolge der Regierungen bei Good Governance, Einhaltung der Menschenrechte, der Gleichberechtigung von Frau und Mann und Erfolge im Kampf gegen Korruption. Das bedeutet auch: Wer diesen Weg nicht mitgeht, kann nicht mehr mit unbedingter deutscher Unterstützung rechnen.“ 10)Tagesschau.de: Neue Kriterien festgelegt: Mehr Entwicklungshilfe für weniger Länder; Artikel vom 29.04.2020
Gerd Müller, Bundesminister für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung
Länder wie Burundi und Myanmar fliegen deshalb von der Liste der Zusammenarbeit. Und andere Staaten, die sich in Zukunft reformresistent zeigen, könnte das gleiche Schicksal ereilen. Denn der Entwicklungsminister hat die Menschenrechte zum neuen Auswahlkriterium für politische Partner erklärt. 11)Bundesministerium für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung: Reformkonzept „BMZ 2030“; nicht mehr verfügbar
Das ist ein wichtiger Schritt bei der Bekämpfung von Fluchtgründen. Vor wenigen Jahren hatte das noch ganz anders ausgesehen. 2015 besuchte Müller beispielsweise Eritrea. Das Land gilt als „Nordkorea Afrikas“, denn die Regierung terrorisiert die eigene Bevölkerung mit einem lebenslangen Militärdienst, Folter und sklavenähnlicher Arbeit. Aus diesem Grund fliehen die Eritreerinnen und Eritreer in Scharen. Bei seinem Besuch sprach der Minister die Menschenrechte zwar an, danach redete er aber vor allem davon, dass man den Menschen dort Jobs und Perspektiven geben müsse, um sie von der Flucht nach Europa abzuhalten. Doch was hilft einem ein guter Job, wenn man in ständiger Angst vor dem Regime leben muss? 12)Bundesministerium für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung: Afrikareise: Die Zukunft Eritreas liegt im eigenen Land – Bundesminister Müller beendet Reise nach Eritrea; nicht mehr verfügbar 13)ZDF: Frontal 21: Flucht aus Eritrea: Die Doppelmoral der EU; nicht mehr verfügbar
Das Ministerium folgt den eigenen Richtlinien nicht
Deshalb ist es sinnvoll, dass das BMZ nun nicht mehr mit diktatorischen Regimen zusammenarbeiten will. Länder, die Korruption bekämpfen und sich in Sachen Menschenrechte und Pressefreiheit bessern, sollen hingegen besonders gefördert werden. Konsequent ist man bei der Einhaltung der selbst gesetzten Normen jedoch nicht. Mit Ländern wie Ägypten, Benin, Tansania und Kambodscha will das BMZ weiter zusammenarbeiten. Staaten, in denen die Menschenrechtslage nicht nur schlecht ist, sondern deren Regierungen in letzter Zeit auch immer autoritärer werden. Eigentlich müssten sie durch Müllers Raster fallen, tun es aber nicht. Stattdessen werden Länder von der Liste gestrichen, die tatsächlich Reformwillen zeigen. In Sierra Leone zum Beispiel hat es in den letzten Jahren durchaus erfolgreiche Anstrengungen im Kampf gegen Korruption gegeben. Doch das Ministerium will die Zusammenarbeit mit dem westafrikanischen Land nun beenden. Auch wenn Deutschland dort in Zukunft andere Organisationen unterstützt – nach Förderung von reformbereiten Staaten sieht das nicht aus. 14)DW: Reformkonzept: Entwicklungshilfe: Weg von der Gießkanne; Artikel vom 07.05.2020 15)FOCUS Online: Gastbeitrag von Uwe Kekeritz: Die falsche Motivation hinter Deutschlands Entwicklungshilfe; Artikel vom 06.05.2020 16)Amnesty International: Permanent State of Exception: Abuses by the Supreme State Security Prison; 2019 17) Amnesty International: Benin 2019; Stand 05/2020
Vom Prinzip her hat die Ausrichtung der Entwicklungsarbeit auf Menschenrechte jedoch durchaus Potenzial, Fluchtursachen zu bekämpfen. Genauso wie andere Punkte des Planes. Ganz im Sinne von Müllers Initiative „Marshallplan mit Afrika“ setzt das Konzept stark auf die Eigeninitiative der Länder, private Investitionen und den Aufbau von Selbstständigkeit. Das ist sinnvoll, denn die bisherige Form der Entwicklungshilfe hat in Afrika oft Abhängigkeit geschaffen und Wachstum blockiert. 18)Bundesministerium für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung: Reformkonzept „BMZ 2030“; nicht mehr verfügbar 19)Tagesschau.de: Entwicklungshilfe in Afrika: Viel hilft nicht immer viel; nicht mehr verfügbar
Viele Probleme liegen außerhalb von Müllers Kompetenz
Das Papier zu „BMZ 2030“ ist voll von guten Absichtserklärungen. Es werden zahlreiche Gründe für Flucht und Migration genannt, für die Deutschland mitverantwortlich ist. Das Problem dabei: Müllers Ministerium wird sie kaum lösen können. Denn dafür sind hauptsächlich die anderen Ministerien verantwortlich. Doch dort macht man genauso weiter wie bisher. 20)Bundesministerium für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung: Reformkonzept „BMZ 2030“; nicht mehr verfügbar
Müller spricht von Friedenssicherung, während die Bundesregierung Waffenexporte in alle Welt genehmigt. Im BMZ-Papier betont man, wie dringend der Kampf gegen den Klimawandel ist, nachdem die Bundesregierung ein viel zu schwaches Klimapaket verabschiedet hat. Der Entwicklungsminister weist auf die weltweite Regenwaldrodung hin, doch die EU steht kurz davor, ein Freihandelsabkommen mit den MERCOSUR-Staaten Südamerikas zu unterzeichnen, das die Abholzung noch beschleunigen würde. Und als Müller vor zwei Monaten ein Lieferkettengesetz durchsetzen wollte, um fairen Handel zu fördern, wurde sein Vorhaben von der Kanzlerin und dem Wirtschaftsminister gestoppt.
Ein Plan, der richtig umgesetzt werden muss
Die Rolle des BMZ bleibt leider weiterhin, die humanitären Folgen des Handelns der anderen Ministerien zu mindern. Der Ansatz, den man mit dem neuen Konzept verfolgt, klingt im Großen und Ganzen durchaus gut. Die Frage ist nur, wie die Durchführung aussehen wird. In der Vergangenheit sind Entwicklungsgelder, die für Hilfe für Menschen gedacht waren, auch schon in Projekte wie Grenzsicherung in Afrika geflossen. Statt Fluchtursachen wurden damit Flüchtlinge bekämpft. 21)Friedrich-Ebert-Stiftung: Entwicklungsgelder für Migrationsabwehr; Artikel vom 05.10.2017 22)Oxfam Deutschland: Migrationsabwehr dominiert EU-Entwicklungspolitik: Oxfam-Bericht kritisiert negative Folgen für Menschenrechtsschutz und Armutsbekämpfung; Pressemitteilung vom 30.01.2020
Auf die Umsetzung kommt es also an. Denn bis jetzt handelt es sich bei „BMZ 2030“ nur um Worte auf dem Papier. In der Politik kommt es ja nicht selten vor, dass erst fantastische Dinge versprochen werden, die Realität am Ende aber viel ernüchternder aussieht. Müllers Plan ist durchaus dazu geeignet, bei der Fluchtursachenbekämpfung zu helfen – sofern sich das Ministerium an die eigenen Menschenrechts-Kriterien hält und sein Geld in die richtigen Projekte steckt.
Fußnoten und Quellen:
Veronika Kaller
Veröffentlicht um 11:13h, 10 JuniIch finde diese Strategie gut, speziell sollte man mehr Kinderschutz (SDG 16.2) in den Entwicklungsländern fordern, denn wie sollen friedliche Gesellschaften entstehen, wenn das Schlagen von Kindern in der Erziehung gesetzlich noch nicht verboten ist? Vor kurzem hat Franz Jedlicka in „Die vergessene Friedensformel“ auf diesen Zusammenhang aufmerksam gemacht.
LG Veronika