Saatgutmonopole verstärken den Hunger weltweit
Die weltweit zunehmende Privatisierung und Marktkonzentration machen auch vor überlebenswichtigen Dingen wie Saatgut keinen Halt. Aktuell kontrollieren gerade mal drei Agrar- und Chemiekonzerne mehr als 60 Prozent des weltweiten kommerziellen Saatgutmarktes. Diese Entwicklung ist in den meisten Industrieländern schon weit fortgeschritten, doch auch im globalen Süden breitet sie sich zunehmend aus. Dort spielt bisher noch das bäuerliche Saatgut eine große Rolle. Es ist nicht ausschließlich Ware, sondern auch von großer symbolischer Bedeutung und verkörpert ein Stück Tradition. Das Saatgut und das Wissen darüber sind Teil der Identität der Bauern dort. Trotz Kolonialisierung, Globalisierung und marktwirtschaftlich ausgerichteten Agrarmärkten hat die Vielfalt dennoch Bestand. Die Kontrolle darüber zu behalten stellt eine Art Grundrecht dar und sichert den Bauern Autonomie in der Nahrungsversorgung. 1) Rosa Luxemburg Stiftung: Bäuerliches Saatgut erhalten; Publikation vom Februar 2020
Um neue Absatzmärkte zu erschließen, beeinflussen Konzerne jedoch die dortigen Regierungen. Gesetze und Vorschriften sollen das kommerzielle Saatgut dem bäuerlichen Saatgut bevorzugen. Die Anwendung des geistigen Eigentums wird darauf erweitert. Dies ermöglicht es den Unternehmen, sogar Patente auf bestimmte Sorten anzumelden. Der Fokus liegt dabei auf der Vereinheitlichung von internationalen Märkten, welche vor allem den kommerziellen Pflanzenzüchtern zugutekommen. Der Wert aus vielfältigem genetischem Material wird dabei privatisiert, um daraus ökonomischen Gewinn zu erzielen. Den Bauern wird es somit erschwert, Saatgut aufzubewahren, zu handeln und zu verwenden, wenn es als geistiges Eigentum geschützt ist. Dennoch richten viele afrikanische Staaten ihre Politik demnach aus. Dadurch dass die internationale Debatte sich darauf fokussiert, Investitionen transnationaler Konzerne zu erleichtern, welche vermeintlich armutssenkend wirken sollen, werden die Handlungsspielräume der Regierungen im globalen Süden stark beschnitten. Sie werden zunehmend in eine Zwickmühle gedrängt, zwischen der Einhaltung internationaler Abkommen, die industrielle Investitionen aus dem Ausland ermöglichen oder Strukturen im eigenen Land zu fördern, die einem Großteil der Bevölkerung zugutekommen. Die lokalen Bauern haben dabei auf den Entscheidungsebenen wenig Einfluss, vor allem im Vergleich zu der international agierenden Agrarindustrie. 2) Reset: Saatgut-Privatisierung: Monsanto und Co. auf dem Vormarsch; Artikel aufgerufen am 14.04.20
Das kommerziell vermarktete Hybridsaatgut wird als Allheilmittel gegen Hunger und Armut gehandelt. In der Praxis bewirkt es jedoch meist das Gegenteil. Eine Monopolisierung dieser Art führt neben Abhängigkeiten auch zur genetischen Vereinheitlichung. Beides ist eine Gefahr für die Ernährungssouveränität vor Ort. Sie verhindert die Anpassung der Landwirtschaft an wechselnde Einflüsse. Ohne eine breite Diversität an Nutzpflanzen ist die Landwirtschaft weniger widerstandsfähig gegen den Klimawandel. Eine pflanzengenetische Vielfalt ist jedoch notwendig, um Arten mit resistenten Eigenschaften zu finden und zu bewahren, dabei rücken auch alte Sorten wieder in den Fokus. Durch das Wissen der örtlichen Bauern und Bäuerinnen über Boden, Wetter und ökologische Prozesse schaffen sie es, die Erzeugnisse an die klimatischen Bedingungen anzupassen. Vor allem vor dem Hintergrund von vermehrt auftretenden Dürren, Überschwemmungen und anderen Klimaextremen ist dies umso wichtiger, um eine Ernährungssicherheit zu garantieren. Allein in den letzten 100 Jahren gingen laut der Ernährungs- und Landwirtschaftsorganisation der Vereinten Nationen bereits 75 Prozent der Saatgutvielfalt verloren. 3) Rosa Luxemburg Stiftung: Bäuerliches Saatgut erhalten; Publikation vom Februar 2020
Das industrielle Saatgut ist hingegen oft anfälliger für Schädlinge und Krankheiten. Meist ist es nur in Kombination mit teurem Düngemittel und Pestiziden ähnlich ertragreich. Folgen sind eine langfristige Zerstörung der Böden. Die staatlichen Programme der Subventionierung der Landwirtschaft sind oft an Hybridsaatgut und die entsprechenden Düngemittel gebunden. Betriebe werden auf diese Weise dafür angeworben. Da das Hybridsaatgut selbst nicht vermehrt werden kann, sind die Bauern gezwungen es jedes Jahr neu zu kaufen. Nicht selten endet diese Abhängigkeit auch in der Verschuldung. Statt einer Wende hin zu umweltschonender ökologischer Landwirtschaft wird so eine nicht nachhaltige und ungerechte Praktik gefördert. Politik dieser Art wird sowohl von afrikanischen Kleinbauernbewegungen wie auch von zivilgesellschaftlichen Netzwerken als „neue Welle des Kolonialismus“ bezeichnet. 4) Rosa Luxemburg Stiftung: Saatgut ist die Grundlage des Lebens; Interview vom 31.01.29
Folgen daraus zeigen sich beispielsweise in Sambia. Wie in vielen anderen Staaten sind auch dort aufgrund der hohen Schuldenlast kaum fiskalische Spielräume vorhanden. Das wenige Geld, das in den Agrarsektor fließt, wird zum großen Teil für ein Subventionsprogramm verwendet, über 70 Prozent der Kleinbauern beziehen darüber Hybridsaatgut, weit mehr als der weltweite Durchschnitt. Aufgrund des dazugehörigen Düngemittels werden die Böden so stark zerstört, dass eine nachhaltige Bewirtschaftung kaum mehr möglich ist: Ein Bauer bestätigt: „Der Boden ist in einem schlechten Zustand. Wenn kommerzielles Hybridsaatgut erhältlich ist, wird Mais mit Kunstdünger angebaut und sonst nichts.“ Doch da es eine kostenpflichtige Mitgliedschaft einer Kooperative voraussetzt, werden gerade die Landwirte, die am meisten auf Unterstützung angewiesen sind, ausgeschlossen. Die Klassenunterschiede werden dadurch weiter gefördert. Am Ende profitieren die Ärmsten am wenigsten von den Maßnahmen. Zusätzlich haben die sambischen Bauern auch jetzt schon mit den Folgen des Klimawandels zu kämpfen: Während es im Süden und Westen immer wieder zu anhaltenden Dürreperioden kommt, leidet der Norden und Osten unter übermäßigem Regenfall. Derweilen ist der Hunger auch in Sambia weitverbreiteter Alltag, fast die Hälfte der Bevölkerung weist Mangelerscheinungen auf. Im Welthungerindex belegt das Land einen der letzten Plätze. „Einen Teil der Kleinbauern wird man in die Slums der afrikanischen Metropolen oder vor die Tore der Festung Europa treiben“, fasst ein Agrarwissenschaftler die Folgen der Entwicklung zusammen. 5) Rosa Luxemburg Stiftung: Welternährungstag 2019: Die Zahl der Hungernden steigt zum dritten Mal in Folge; Artikel vom 15.10.19 6) Bauernzeitung: Eine „Grüne Revolution“ für Afrika?; Artikel vom 08.11.16 7) Welthunger-Index: Sambia; Statistik von 2019
Eine Förderung der bäuerlichen Agrarökologie würde dabei mehrfach Vorteile bieten: Zum einen kann sie nachhaltig die wirtschaftliche Lebensgrundlage der Bauern schützen und verbessern. Die Anpassung an die Folgen des Klimawandels würde gefördert, sowie die Bodenfruchtbarkeit geschützt und eine beständige Ernte ermöglicht. Der Hunger im globalen Süden könnte dadurch weiter bekämpft werden, ungefähr die Hälfte aller Hungerleidenden weltweit sind nach Berechnungen der Welternährungsorganisation ressourcenarme Kleinbauern. Ein gerechtes Ernährungssystem ist gerade in Afrika von zentraler Bedeutung, über 60 Prozent der Arbeitskräfte sind in der Landwirtschaft beschäftigt. Soziale Ungleichheiten spielen dabei eine große Rolle, denn noch immer werden weltweit eigentlich mehr Nahrungsmittel produziert als benötigt. Viele Bevölkerungsgruppen werden jedoch von dem Verteilungsprozess ausgeschlossen. Die auftretenden Versorgungsengpässe und der Hunger befördern immer wieder auch lokale Konflikte oder zwingen Menschen zur Flucht. Auch zivilgesellschaftlich regt sich Widerstand gegen diese Art der Politik. Viele Organisationen rufen dazu auf, eine nachhaltige Agrarökologie zum zentralen Punkt der Entwicklungshilfe zu machen und damit Armut zu bekämpfen und die Anpassungen an den Klimawandel zu fördern. 8) Frankfurter Rundschau: So kann der Hunger in Afrika besiegt werden; Artikel vom 29.07.19
Fußnoten und Quellen:
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