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Was bringt Menschen dazu, ihre Heimat zu verlassen und ein besseres Leben zu suchen? | Bild: © earthlink e.V. [alle Rechte vorbehalten] -
Humanitäre Katastrophe in Somalia: Zwischen Dürre, Terrormilizen und US-Drohnenangriffen
Seit nunmehr zehn Jahren beherrscht die Dürre Somalia und entzieht dem Land und der Bevölkerung jegliche Lebensgrundlage. Die Trockenheit vernichtet Ernte und Viehbestände, fast jede Regenzeit entfällt und hinterlässt Tausende Hungerleidende. Drei Millionen der 15 Millionen Somalier kämpfen täglich, um an das Minimum an notwendiger Nahrung zu kommen, das zum Überleben notwendig ist. Die Kindersterblichkeitsrate 2019 war so hoch wie in keinem anderen Land. 12,7 Prozent, das heißt jedes achte Kind, erleben ihren fünften Geburtstag nicht. Aktuell leidet knapp die Hälfte der Bevölkerung an Hungersnot und 20 Prozent der Somalier sind auf der Flucht im eigenen Land. Als wäre das nicht schon genug, steckt das Land seit fast 30 Jahren mitten in einem Bürgerkrieg. Neben bewaffneten Konflikten durch Milizen und Warlords, werden die Menschen in Somalia aktuell auch bedroht durch Luftschläge der Vereinigten Staaten. Um zu verstehen, warum das Land derart konfliktgebeutelt ist, muss man sich die politischen Hintergründe genauer anschauen. 1)Concern Worldwide: Breaking down the Decade of Drought in Somalia – Artikel vom 22.01.2020 2)Zeit: Zwei Millionen Somalier von Hungersnot bedroht – Artikel vom 05.06.2019
Seit 1991 gilt Somalia als ein „failed state“. Als Failed states werden Länder bezeichnet, deren Existenz bedroht oder gescheitert ist, angesichts fehlender Kontrolle, Recht und Ordnung durch staatliche Institutionen. Dabei kommt es oft zu Menschenrechtsverletzungen und Korruption. Die Wirtschaft des jeweiligen Landes ist aufgrund einer handlungsunfähigen Regierung meist instabil. Als Folge der ökonomischen Missstände sind viele Menschen arbeitslos, leben unterhalb der Armutsgrenze und stehen vor der Existenzkrise. Die Flucht vor den prekären Lebensumständen ist oftmals der einzige Weg das eigene Überleben zu sichern. 3)Welt: Failed States – gescheiterte Staaten – Artikel vom 13.06.2014
Genau das passiert seit fast 30 Jahren in Somalia. Mit dem Sturz des Diktators Siad Barre 1991 folgte auch der Zusammenbruch des Staates, die Zentralregierung gilt als handlungsunfähig. Seitdem tobt ein erbitterter Kampf um die politische Macht des Landes. Anfangs stand hauptsächlich der Führungsanspruch verschiedener Warlords, die mit Hilfe lokaler Klan-Milizen ihre Interessen durchsetzten, im Vordergrund des Konfliktes. Seit mehreren Jahren beherrscht der Kampf gegen islamistische Gruppen nun aber die politische Bühne, welche vor allem von anfänglichen Rivalitäten zwischen Klans und politischen Fraktionen profitierten. Diese Streitigkeiten machten sie sich zu eigen und beharrten auf dem übergeordneten Identitätsmerkmal ihrer Gruppe, dem Islam. So gelang es ihnen zur stärksten politischen Kraft binnen kurzer Zeit zu werden. Besonders der islamistischen Gruppe Al-Shabaab gelang es, ihren Einfluss zu erweitern. Die Miliz versteht sich als Teil des Terrornetzwerkes Al-Qaida. Ziel ist es, einen islamischen Gottesstaat zu errichten. Zwischen 2009 und 2011 agierte die Miliz in Süd- und Zentralsomalia teilweise als de-facto Regierung. Als 2011 eine Hungersnot als Folge einer Dürre in Somalia einsetzte, schwand der Rückhalt der Bevölkerung gegenüber Al-Shabaab massiv. Die Miliz verhinderte unter anderem die Lieferung humanitärer Hilfeleistungen und musste so den Tod von 260.000 Somaliern mitverantworten. Durch einen Militärschlag wurde die islamistische Gruppe 2012 aus der Hauptstadt und weiteren wichtigen Städten verdrängt, schaffte es aber sich in einigen Landesteilen, vorwiegend im Süden, zu halten. Trotz geschwächtem politischem Einfluss, verübte Al-Shabaab in den letzten Jahren landesweite terroristische Anschläge, zuletzt auf eine Militärbasis 2017, bei dem dutzende Soldaten getötet wurden. 4)Bundeszentrale für politische Bildung: Somalia – Artikel vom 20.11.2017 5)Deutschlandfunk: Lage in Somalia – Drohnen, Dschihad und lukrative Geschäfte – Artikel vom 10.06.2018
Anfang April 2020 tötete das US-Militär nach eigenen Angaben einen der Gründer der Miliz bei einem Luftschlag. Die militärischen Operationen der USA, durchgeführt durch Drohnenangriffe und Bodentruppen, sind umstritten. Sie sind von der somalischen Regierung genehmigt, aber Menschenrechtler werfen Washington vor, zivile Opfer zu verschweigen und mit den Luftanschlägen gegen Völkerrecht zu verstoßen. Immer wieder berichten Somalier über gezielte Tötungen der Miliz-Mitglieder, bei denen auch Zivilisten umkommen. Erst Mitte März sollen sechs Menschen bei einem Luftangriff der Africom (Afrikanisches Kommando der Vereinigten Staaten) getötet worden sein. Ein Bus, der auf dem Weg in die Hauptstadt Mogadishu unterwegs war, wurde dabei getroffen. Unter den Opfern soll auch ein 13-jähriger sein. Africom bestritt dies und verteidigte den Anschlag, bei dem angeblich nur fünf Al-Shabaab Mitglieder getötet wurden. Zivile Opfer soll es laut den USA nicht gegeben haben. Bis Mitte März übten die Vereinigten Staaten 26 Luftschläge binnen 69 Tagen aus. Das heißt ganz konkret: Alle 2,6 Tage gab es eine militärische Operation der USA in Somalia. Auffällig dabei ist, dass die Anzahl der militärischen Operationen in Somalia unter der Trump Regierung dramatisch gestiegen ist. Jetzt schon sind in 2020 mehr Angriffe geflogen worden als in den Jahren 2015 und 2016 zusammengerechnet. Airwars, eine britische Organisation, die internationale Luftangriffe aufzeichnet und überwacht, geht von 76-146 zivilen Opfern seit 2007 in Somalia aus. Africom selbst bestätigt nur zwei Todesfälle innerhalb von 13 Jahren. 6)Welt-Sichten: US-Armee verkündet Tötung von Al-Shabaab Gründer in Somalia – Artikel vom 08.04.2020 7)Andalou Agency: US airstrike in Somalia said to have killed six civilians – Artikel vom 12.03.2020 8)The Intercept: U.S Airstrike in Somalia killed to civilians, relatives say – Artikel vom 19.03.2020
Die Drohnenangriffe der USA in Somalia werden oft als „Schattenkrieg“ bezeichnet, weil die Vereinigten Staaten offiziell keinen Krieg führen und die Tötungsmissionen nur selten Beachtung in den hiesigen Medien finden. Durchgeführt werden die Drohnenangriffe perfiderweise von deutschem Boden aus. Die Africom Zentrale in Stuttgart und die US-Air Force-Basis im rheinlandpfälzischen Ramstein sind maßgeblich in die Aktionen eingebunden. Die offenkundige Einbettung Deutschlands in das Drohnenprogramm wirft auch juristische Fragen auf. Macht sich Deutschland damit völkerrechtlich strafbar? Völkerrechtler wie Thilo Marauhn sind sich einig: Wenn die Bundesregierung von Tötungen mithilfe einer bewaffneten Drohne außerhalb eines bewaffneten Konflikts weiß, aber keine Schritte dagegen einleitet, ist sie an einem völkerrechtlichen Delikt mitbeteiligt. Ungeachtet des völkerrechtlichen Aspekts, werden die Drohnenangriffe der USA mehr Schaden anrichten als Erfolg bringen. Kurzfristig wird das Pentagon zwar seine Gegner eliminieren können, langfristig gesehen fachen die Angriffe mit Drohnen aber den Hass der Bevölkerung gegen die USA weiter an. Genau das ist der Fall in Pakistan, wo der Anti-Amerikanismus als eine direkte Folge der Drohnenangriffe gerade eine Hochkonjunktur erlebt. Die Kluft zwischen Staaten wie Somalia und dem Westen wird dadurch noch vergrößert. 9)Salzburger Nachrichten : Das stille Töten – Der US-Drohnenkrieg und seine Opfer – Artikel vom 20.11.2017 10)Süddeutsche Zeitung: Somalia: US-Kräfte steuern Drohnen von Deutschland aus – Artikel vom 30.03.2013
Die somalische Bevölkerung steht im Fadenkreuz: Auf der einen Seite die Bedrohung durch islamistische Terroranschläge, auf der anderen Seite militärische Operationen des Pentagon. Und dazu kommt noch die lebensbedrohliche Dürre, als Auswirkung des Klimawandels, die Tausende Menschenleben einfordert.
Fußnoten und Quellen:
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