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Was bringt Menschen dazu, ihre Heimat zu verlassen und ein besseres Leben zu suchen? | Bild: © earthlink e.V. [alle Rechte vorbehalten] -
Somalia: Gefangen zwischen Terror, Armut und Klimawandel
Im Schatten der Weltöffentlichkeit bleibt die humanitäre Situation der Bevölkerung am Horn von Afrika katastrophal. Terroranschläge, militärische Auseinandersetzungen und wirtschaftliche Ungleichheit hinterlassen seit Jahrzehnten ihre Spuren. Dazu werden die Folgen des Klimawandels immer gravierender. Wetterextreme wie langanhaltende Dürreperioden, Überschwemmungen und die aktuelle Heuschreckenplage zerren an den letzten Kräften des Landes.
Die humanitäre Situation bleibt katastrophal
Seit nunmehr 30 Jahren herrscht in Somalia Bürgerkrieg. Komplexe Clanstrukturen, extremistischer Terror und eine desolate Wirtschaftssituation halten die Regierung auf Trab. Die verschiedenen Parteien konkurrieren seit Jahrzehnten um die Vormachtstellung im Land. Die Folgen waren abzusehen: Die Infrastruktur ist vollkommen zerstört, ein großer Teil der Bevölkerung lebt unterhalb der Armutsgrenze und ca. 2,6 Millionen Binnenvertriebene streifen hoffnungslos durch das Land. Millionen brauchen humanitäre Hilfe in Form von Sicherheit, Ernährung und Beistand beim bestreiten des Lebensunterhalts. Allein die Hälfte der somalischen Bevölkerung leidet an einer chronischen Nahrungsmittelknappheit und schwere Menschenrechtsverletzungen gehören zum Tagesgeschehen. Mädchen werden im Kindesalter beschnitten, männliche Kinder und Jugendliche für die verschiedenen Milizen zwangsrekrutiert und Homosexualität wird mit dem Tod bestraft. Ein Gesundheitssystem ist kaum vorhanden und die hygienischen Bedingungen sind katastrophal. Die nüchternen Fakten klingen für uns wohlstandsverwöhnte Europäer erschütternd, sind aber für die meisten Somalier seit Jahrzehnten bittere Realität. Doch die fürchterliche Situation resultiert nicht allein aus hausgemachten Problemen, sondern an weitreichenden systemimmanenten Missständen, die die Lage kontinuierlich verschlechtern und anfeuern. Die Folgen des Klimawandels treffen die Zivilbevölkerung mit aller Wucht und halten sie in der prekären Situation gefangen. Zudem behindern geopolitische Interessen ausländischer Mächte friedensfördernde Maßnahmen. 1) Aktion Deutschland Hilft: Somalia – Länderinformation; Beitrag vom August 2018 2) Bundeszentrale für politische Bildung: Somalia; Artikel vom 20.11.2017 3) UNO Flüchtlingshilfswerk: Somalia: Bewaffnete Konflikte und Auswirkungen des Klimawandels verschärfen Fluchtbewegungen; Artikel vom 08.11.2019
Dürre, Überschwemmung, Heuschrecken – Die Folgen des Klimawandels werden zunehmend schlimmer
Aktuell kämpft Somalia mit der größten Heuschreckenplage seit Jahrzehnten. Sogar der Nationale Notstand wurde zu Beginn des Monats ausgerufen. Die Insektenschwärme fressen die Ernte der Bauern in kürzester Zeit restlos auf und bedrohen die ohnehin schon schwierige Versorgungslage. In manchen Regionen sollen bis zu 60 Prozent der Ernte vernichtet worden sein. Somit reiht sich eine Katastrophe an die nächste. Mit der Dürrekrise, die im Jahr 2016 begann und erst gegen Herbst letzten Jahres endete, stand das Gebiet immer wieder am Rande der Hungersnot. Die Wasserversorgung konnte kaum gewährleistet werden, wodurch Ernten und Viehbestände vernichtet wurden. Als der sehnlich erhoffte Regen dann endlich eintrat, waren die Niederschläge nach kurzer Zeit so heftig, dass Böden weggespült und ganze Ortschaften von übertretenden Flüssen überschwemmt wurden. Die Versorgungslage blieb kritisch und es entstanden ideale Brutbedingungen für die Heuschrecken. Die somalische Regierung ist mit der Bekämpfung allerdings weitestgehend überfordert. Fehlende Hilfsmittel und die eingeschränkte Sicherheitslage erschweren die Bekämpfungsmaßnahmen. Zudem könnten sich die Eier, welche die Heuschrecken zurückgelassen haben, in den nächsten Monaten zu Larven ausbilden und die Population um ein Vielfaches ansteigen lassen. Abschließend bleibt zu erwähnen, dass die aktuelle Entwicklung kein göttliches Unheil oder ein außergewöhnlicher Schicksalsschlag ist. Die Konsequenzen des Klimawandels entfachen ihre zerstörerische Wirkung und treffen als Erstes die schwächsten im Glied. Die Zuspitzung der Ereignisse hat System und passt ins Bild der zunehmenden Wetterextreme. Während die Europäer noch über die Auswirkungen theoretisieren, sind sie in Ostafrika schon längst angekommen. 4) Medico: Horn von Afrika – Der Heuschrecken; Artikel vom 04.02.2020 5) Aktion Deutschland Hilft: Somalia – Länderinformation; Beitrag vom August 2018 6) Vatican News: Somalia: 1,5 Millionen Menschen brauchen humanitäre Hilfe; Artikel vom 03.02.2020 7) Welthunger Hilfe: Heuschreckenplage in Ostafrika und Südasien; Artikel vom 05.02.2020
Welche Verantwortung trägt der Westen?
Das Verwehren der langersehnten Stabilität lässt sich nicht durch das Wunschbild erklären, indem die Lage der Region durch die Unfähigkeit der somalischen Bevölkerung zu Frieden und Rechtsstaatlichkeit gekennzeichnet ist. Vielmehr dient Somalia seit Beginn des Bürgerkriegs 1991 als Laborzentrum für experimentierfreudige Interventen. Begonnen mit der „humanitären Intervention“ versuchten die Vereinten Nationen mit Waffengewalt die eingebrochene Nahrungsmittelversorgung zu sichern und die staatlichen Strukturen wiederherzustellen. Die Erfolge vielen ernüchternd aus und die lokalen Kriegsherren konnten ihre Positionen sichern. In den folgenden Jahren folgte ein Stellvertreterkrieg der Nachbarstaaten Äthiopien und Eritrea und seit dem elften September mischte die USA im weltweiten „Kampf gegen den Terror“ kräftig mit. Mit der Unterstützung Äthiopiens sollten Terroristen in Somalia ausfindig gemacht und ausgeliefert werden. Die Folge waren eine erzürnte Bevölkerung und ein Erstarken der islamistischen Kräfte. Hiermit nicht genug sorgte die Angst vor einer „Talibanisierung“ zu weiterer Einflussnahme. Zunächst unter der Führung Äthiopiens und den USA und später unter der Beobachtung der Afrikanischen Union wurden im Laufe der Zeit zwei Übergangsregierungen eingesetzt, die de facto keine Unterstützung im Land hatten. Die Kämpfe konnten nie beendet werden und die Terrorgruppe Al Schabaab entwickelte sich zu einer schlagkräftigen Kraft. Obwohl der Staatsaufbau mittlerweile voranschreitet, ist die Situation immer noch sehr fragil. Neben der desaströsen Vergangenheit ist Somalia auch von geopolitischem Interesse, was zukünftige Friedensprozesse schwer macht. Eine günstige strategische Lage und eventuelle Erdölvorkommen sorgen für eine Ansammlung verschiedener Großmächte wie den USA, der Türkei und China. Die Vergangenheit hat deutlich gezeigt, dass die militärische Einflussnahme erfolglos verlief und die Situation verschlimmert hat. Anstatt Waffengewalt bedarf es einen Wiederaufbau der somalischen Gesellschaft und eine Dialogförderung der unterschiedlichen Parteien. Zudem muss mit finanziellen Mitteln der Ausbau von staatlichen Strukturen und der gesamten Infrastruktur unterstützt werden. Um die Lebensbedingungen der Bevölkerung zu verbessern, müssen Maßnahmen zum Klimaschutz zum zentralen Bestandteil werden. 8) Blätter für deutsche und internationale Politik: Somalia in der Kriegsspirale; Artikel aus der Ausgabe vom August 2016 9) Vatican News: Somalia: 1,5 Millionen Menschen brauchen humanitäre Hilfe; Artikel vom 03.02.2020 10) Auswertiges Amt: Somalia Politisches Porträt; Artikel vom 30.09.2019
Fußnoten und Quellen:
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