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Was bringt Menschen dazu, ihre Heimat zu verlassen und ein besseres Leben zu suchen? | Bild: © earthlink e.V. [alle Rechte vorbehalten] -
Zehn Jahre internationales Versagen: Haitis politische und humanitäre Lage ist fatal
„Wenn du in Haiti lebst, bist du entweder korrupt und stiehlst Geld, du bist depressiv und bringst dich um, oder du kämpfst.“ Velina Charlier sorgt sich um Haitis Zukunft. Sie ist Teil einer jungen Protestbewegung, die sich gegen die politische Führung des Landes einsetzt und deren Korruption anprangert. Velina und die anderen Aktivisten von „Nou Pap Domi“ sind damit längst nicht mehr alleine. Haiti ist bis heute das ärmste Land der westlichen Hemisphäre. Die Politik ist autoritär, Präsident Jovenel Moïse regiert per Dekret, ein gewähltes Parlament gibt es nicht mehr. Der wirtschaftliche Niedergang des Landes wird begleitet von einem massiven Korruptionsskandal und steigenden Lebensunterhaltungskosten. Der wohl gravierendste Einschnitt der jüngeren haitianischen Vergangenheit ist das verheerende Erdbeben aus dem Jahr 2010. Das Versprechen der Internationalen Gemeinschaft, das karibische Land nach der Katastrophe besser als zuvor wiederaufzubauen bleibt bisher unerfüllt. Tatsächlich stagniert das Leid der Haitianer aktuell auf einem kaum auszuhaltenden Niveau. 1) ZDF: Korruption und Mangelernährung: Haiti – zehn Jahre nach dem Erdbeben; nicht mehr verfügbar 2) Epo: Krise in Haiti: Europa soll nicht tatenlos zuschauen; Artikel vom 09.01.2020

In der Hauptstadt Port-au-Prince stapelten sich nach dem Erdbeben 24 Millionen Kubikmeter Trümmer. Im Rest des Landes sah es nicht wesentlich anders aus. | Bild: © EU Civil Protection and Humanitarian Aid [CC BY-SA 2.0] – flickr
Zehn Jahre nach der Katastrophe sind die Versprechen gebrochen und die Hoffnungen unerfüllt. Notunterkünfte und Camps, die zu Beginn nur als Übergangslösung dienen sollten, sind zum Dauerzustand geworden. 60 Prozent der Haitianer müssen mit knapp 2 Dollar pro Tag auskommen. Ein Drittel der Bevölkerung ist mangelernährt. 20 Prozent aller Kinder leiden unter akuter Unterernährung. Eine neue humanitäre Krise steht bevor. Die geradezu euphorische Hilfsbereitschaft ist größtenteils versiegt, viele Organisationen ziehen sich zurück. Ein Mangel an Ergebnissen und Fortschritten wirkt demotivierend.
Warum ist diese Mission trotz polarisierender Einsatzbereitschaft so brutal gescheitert? Wie kann es sein, dass all die Gelder und großen Ambitionen zehn Jahre nach der Katastrophe eine derartige Verschlechterung der Lebenssituation nicht aufhalten konnten? Während es sich äußerst schwierig gestaltet, ausreichende Erklärungen auf diese Fragen zu finden, scheint sich in Mitten des ganzen Chaos eine Erkenntnis heraus zu kristallisieren. Der Kontext in Haiti ist zu komplex, die politische Krise zu tief im ganzen Land verankert, die Korruption zu groß. All das in Verbindung weist Nothilfe und Entwicklungszusammenarbeit in ihre Grenzen. Der karibische Staat bräuchte einen lokal verankerten Reformplan, der auf Langfristigkeit abzielt und von allen Akteuren gemeinsam umgesetzt wird. Das Erdbeben sollte die große Katastrophe sein, die den Umbruch markiert. Aber zwischen Erstversorgung, Wiederaufbau und der erstickenden Trauer über das Geschehene wurde die Situation falsch angegangen. Die Auswirkungen sind heute stärker denn je zu spüren. Seit Monaten sind das wirtschaftliche und soziale Leben in Haiti weitestgehend gelähmt. Schulen bleiben geschlossen, im ganzen Land mangelt es an Zugang zu sauberem Trinkwasser und medizinischer Versorgung. Schätzungsweise ein Fünftel der haitianischen Bevölkerung, zwischen 1,5 und zwei Millionen Menschen, lebt bereits außerhalb des Landes. Die Schutzsuchenden fliehen überwiegend in Richtung Bahamas, in die USA, Chile oder Brasilien.4) Deutsche Welle: Viele Tote bei Unglück von Flüchtlingsboot vor den Bahamas; Artikel vom 04.02.2019 Wer gehen kann, der geht. Bewegungen wie „Nou Pap Domi“ wollen nicht länger wegschauen oder sich bevormunden lassen. Im Sommer 2018 wagte die haitianische Bevölkerung mit wiederkehrenden Protesten einen Schritt in die richtige Richtung. Inzwischen gehen wöchentlich Tausende jeder Altersklasse und Gesellschaftsschicht für einen Regimewechsel und eine gerechtere Politik auf die Straße.
Zurück zu den vorab gestellten Fragen. Was ist in Haiti falsch gelaufen? Nach dem Erdbeben flossen zahlreiche Hilfsgelder der Internationalen Gemeinschaft auf Grund von mangelnder Kontrolle in schwarze Kassen. Viele Zusicherungen wurden nie eingelöst. Soldaten der zuständigen UN-Mission machten mit sexuellen Übergriffen und gewaltsamen Vorgehen gegen Demonstranten negativ Schlagzeilen. Die Hilfsmaßnahmen waren großzügig geplant, ihre Auswirkungen blieben jedoch zu großen Teilen bedeutungslos. Der Grat zwischen Einmischung, Hilfe und Unterstützung ist sehr schmal. Es scheint ein bisschen so, als wäre aus allen Richtungen an Haiti gezerrt worden, um zu beweisen, dass sich auch die größte Katastrophe durch internationale Bemühungen in Fortschritt verwandeln lässt. Dabei muss sich verkalkuliert und das Wesentliche aus den Augen verloren worden sein. Ist es vor diesem Hintergrund angemessen, der Internationalen Gemeinschaft Versagen vorzuwerfen? War nicht das Erdbeben, sondern viel eher der Umgang mit dem, was danach kam, die eigentliche Katastrophe? Wenn das Versprechen von 2010, Haiti würde besser wiederaufgebaut werden als Maßstab gilt, dann ja, dann wurde massiv versagt. Und dann ist das ungerecht, auch zehn Jahre später.
Abschließend lässt sich sagen: Die Haitianer haben ein schreckliches Erdbeben überlebt, sie haben sich den Staub von der Kleidung geklopft und einen neuen politischen Eifer entwickelt, den sie auf den Straßen demonstrieren. Ihre Regierung leistet nichts, das man loben könnte, auch daran hat ein ganzes Jahrzehnt nichts geändert. Aber das Volk hat endlich die Zeit und die Kraft, für seine Werte einzustehen. Die Internationale Gemeinschaft kann sich jetzt darauf konzentrieren. Sie kann aufhören zu Schweigen, wenn Präsident Moïse Menschenrechtsverletzungen verantwortet oder bei den Protesten Menschen verletzt und getötet werden. Das gilt auch für Europa. Sonst besteht für Haiti die Gefahr in einen Bürgerkrieg abzurutschen. Außerdem ist man dem Karibikstaat noch ganz schön viel schuldig. 5) amerika21: Zehn Jahre nach Beben: Wie „internationale Hilfe“ Haiti zerstört; Artikel vom 13.01.2020 6) tagesschau.de: Zehn Jahre nach dem Beben: Haiti am Abgrund; Artikel vom 12.01.2020 7) Epo: Haiti: Düstere Bilanz zehn Jahre nach dem Erdbeben; Artikel vom 09.01.2020
Fußnoten und Quellen:
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