China: Verstoß gegen die Menschenrechte in einem erschreckenden Ausmaß

China: Verstoß gegen die Menschenrechte in einem erschreckenden Ausmaß

Durch die Veröffentlichung der „China Cables“, einem vertraulichen Dokument der Kommunistischen Partei Chinas, konnte nun erstmals belegt werden, was schon seit längerem vermutet wird: In der Provinz Xinjiang kommt es seit Jahren zu einer massiven Unterdrückung an der Volksgruppe der Uiguren. Mehrere hunderttausend Uiguren, aber auch Angehörige anderer muslimischer Volksgruppen, sollen innerhalb der letzten Jahre in Internierungslager der chinesischen Behörden eingesperrt worden sein. Dort werden sie gegen ihren Willen festgehalten und sollen im Sinne der Parteiideologie „umerzogen“ werden. Der Appell von Human Rights Watch, bei der Vorstellung des World Report 2020, gibt der Thematik nochmals besondere Aufmerksamkeit. ¹⁾ Süddeutsche Zeitung: Geheimdokumente – Die wichtigsten Fakten zu den China Cables; Artikel vom 24.11.2019 ²⁾ Zeit Online: China Cables-Geheimpapiere zeigen systematische Verfolgung von Uiguren; Artikel vom 25.11.2019 ³⁾ Human Rights Watch: Chinesische Regierung ist globale Bedrohung für Menschenrechte; Beitrag vom 14.01.2020

Wer sind die Uiguren?

Die Uiguren sind eine Volksgruppe, die zu den sogenannten Turkvölkern zählt. Sie sind weitestgehend muslimisch geprägt und bilden in der Volksrepublik eine Minderheit.
In China gehört die überwiegende Mehrheit den Han-Chinesen an. Diese Bevölkerungsgruppe macht ungefähr 90 Prozent der 1.4 Milliarden Einwohner aus.
In kultureller Hinsicht unterscheiden sich die Uiguren stark vom Rest des Landes. Sie sprechen eine andere Sprache, haben eine eigene Schrift und einen anderen Glauben. Sie leben hauptsächlich in der Region Xinjiang. Ungefähr zehn der 22 Millionen Einwohner dort sind Uiguren. ⁴⁾ YouTube: Xinjiang der ferne Westen Chinas – Mit offenen Karten; Hochgeladen am 30.01.2018 ⁵⁾ ZDF heute: „China Cables“:Wer sind die Uiguren?; Beitrag vom 25.11.2019

Worum geht es bei dem Konflikt?

Zunächst einmal hat die Region Xinjiang, in der die meisten Uiguren leben, durch ihre ethnografische Verteilung und den damit zusammenhängenden kulturellen Verschiedenheiten einen besonderen Charakter. Obwohl die Einflüsse Chinas weit in die Vergangenheit zurückreichen, erfolgte die vollständige Eingliederung erst 1949.
Seitdem versucht die Regierung das Gebiet für ihre wirtschaftliche Entwicklung zu assimilieren. In Xinjiang befinden sich nämlich große Erdöl-, Erdgas- und Kohlevorkommen, die zunehmend ausgebeutet werden und von enormer Bedeutung für die rasant wachsenden wirtschaftlichen Zentren im Osten Chinas sind.
Um die Eingliederung voranzutreiben, kam es neben Infrastrukturellen Investitionen zu einer gezielten Ansiedelung von Han-Chinesen.  Zu Gründungszeiten der Volksrepublik stellten die Uiguren ca. 75 Prozent der Bevölkerung, die Han Chinesen gerade einmal 6.5 Prozent. Mittlerweile hat sich der Anteil bei beiden Gruppen auf ca. 40 Prozent eingependelt, was die Radikalität der Umsiedlungspolitik verdeutlicht. Die Uiguren nehmen die massiven Investitionen und die Zuwanderung immer mehr als innere Kolonialisierung und Plünderung ihrer natürlichen Ressourcen wahr.
Dementsprechend gibt es weitreichende Unabhängigkeitsbestrebungen. Aber ein selbständiger Uigurenstaat trifft auf taube Ohren bei der Zentralregierung. Kleine Risse der Unabhängigkeit könnten sich in tiefe Schluchten ausweiten, wodurch der Zusammenhalt des Riesenreichs in Gefahr gerät. Proteste, Ausschreitungen und extremistischer Terror sind die Folge. Bei Aufständen gegen Han-Chinesen starben 2009 rund 200 Menschen. In den späteren Jahren kam es vermehrt zu Terroranschlägen von islamistischen Uiguren.
Am ersten März 2014 stachen Extremisten im Bahnhof von Kunming wahllos auf Reisende ein. Als die Polizei eintraf, sind 30 Menschen tot und mehr als hundert verletzt. Einige Monate zuvor fuhr ein Auto in Peking in eine Menschenmenge, wobei fünf Menschen starben. Die Reaktion folgte prompt und hart. ⁶⁾ YouTube: Xingjiang der ferne Westen Chinas – Mit offenen Karten; Hochgeladen am 30.01.2018 ⁷⁾ ZDF heute: „China Cables“: Wer sind die Uiguren?; Beitrag vom 25.11.2019 ⁸⁾ Süddeutsche Zeitung: Was an Chinas Terrorvorwurf dran ist; Artikel vom 25.11.2019 ⁹⁾ Bundeszentrale für politische Bildung: China-Xingjiang; Beitrag vom 17.12.2017

Wie die Uiguren unterdrückt werden

Unter dem Schleier der Terrorbekämpfung hat die chinesische Regierung zum Generalangriff gegen die Uiguren ausgeholt. Die Region Xinjiang wurde in einen regelrechten Polizeistaat umgewandelt. Seit dem Amtsantritt des ehemaligen Parteisekretärs von Tibet Chen Quanguo im August 2016, der für seinen harten Kurs bekannt ist, wurde die Überwachung in der Region massiv ausgebaut. Neben dem Aufbau von Überwachungskameras, Checkpoints zur Gesichtserkennung und der Aufstockung des Polizeiapparats wurden Gesetze erlassen, die die religiöse Lebensgestaltung der muslimischen Bevölkerung stark einschränken. Beispiele sind das Verbot lange Vollbärte zu tragen, eine muslimische Namensgebung bei Neugeborenen, religiöse Heiratszeremonien oder das Tragen von Kopftüchern. Zudem beweisen Satellitenbilder, wie immer mehr religiöse Stätten und Moscheen in Xinjiang zerstört werden. ¹⁰⁾ SWR2: Wie China die Uiguren unterdrückt – Umerziehungslager in Xinjiang; Beitrag vom 30.12.2019 ¹¹⁾ Bundeszentrale für politische Bildung: China – Xinjiang; Beitrag vom 17.12.2017 ¹²⁾ Süddeutsche Zeitung: China Casbles – Wie China Uiguren weltweit überwacht; Artikel vom 24.11.2019

Die China Cables belegen das furchtbare Ausmaß der Repressionen

Durch die Veröffentlichung der „China Cables“, geleakten Dokumenten aus chinesischen Regierungskreisen, konnte nun erstmals das perfide Ausmaß der Überwachung dokumentiert werden. Sie belegen die Etablierung eines Lagersystems, welches unzählige Menschen aufgrund seiner Ethnie oder Religion einsperrt. Bei den Lagern handelt es sich um sogenannte „Umerziehungslager“. Die Inhaftierten sollen ihrer Religion abschwören und im Sinne der Parteiideologie zu „guten“ Staatsbürgern Chinas werden. Schätzungen gehen von hunderttausend bis zu eine Millionen Menschen aus, die in diesen Lagern interniert waren oder es nach wie vor sind. Weitere Dokumente belegen, wie das Überwachungssystem jeden Schritt der Bewohner bis ins kleinste Detail dokumentiert.
Längst haben die Behörden Unmengen an persönlichen Daten. Durch Kameras, Hausdurchsuchungen oder Spionage-Apps, die auf den Handys installiert werden müssen. Mit Computersystemen, die die privaten Daten verarbeiten, wird entschieden, welche Personen als verdächtig gelten.

Die Auswertung der Dokumente hat gezeigt, dass die Darstellung der chinesischen Regierung, die Lager seien Ausbildungszentren, die der Armutsbekämpfung und Entradikalisierung dienen, nicht den Tatsachen entspricht. Auch wenn es schwer ist vertrauliche Zahlen und Daten über das tatsächliche Ausmaß der Unterdrückung zu bekommen, ist die Tendenz eindeutig: Die Schikane gegen eine ganze Bevölkerungsgruppe unter dem Deckmantel der Terrorbekämpfung steht in keinem Verhältnis mit der tatsächlichen Gefahr, die von den meist friedlich lebenden Uiguren ausgeht. Das Vorgehen legt den Verdacht nahe, dass es sich um eine systematische Zerstörung der kulturellen Identität einer ganzen Ethnie handelt. ¹³⁾  Süddeutsche Zeitung: Tatort Xinjiang; Stand 22.01.2020 ¹⁴⁾ Süddeutsche Zeitung: Xinjiang – Im Land der tausend Augen und Ohren; Artikel vom 24.11.2020 ¹⁵⁾ SWR2: Wie China die Uiguren unterdrückt – Umerziehungslager in Xinjiang; Beitrag vom 30.12.2019

Von den muslimischen Ländern kommt keine Unterstützung

Vor allem die Türkei galt Jahrelang als Schutzmacht der Uiguren. 2014 schafften es 7000 uigurische Flüchtlinge in das Land. Doch seit geraumer Zeit schweigt Ankara. Die scharfen Worte, mit denen der türkische Präsident zu Beginn letzten Jahres das Vorgehen gegen die Uiguren als „große Schande“ verurteilte, schwächten im Verlauf des Jahres ab.
Bei den anderen muslimischen Staaten wie Pakistan, Saudi-Arabien oder dem Iran herrscht ebenfalls kollektives Schweigen.  Darüber hinaus wurde die Minderheitenpolitik von zahlreichen arabischen Staaten öffentlich gelobt. Die Verstummung der arabischen Welt ist das Paradebeispiel  für die wirtschaftliche Macht Chinas, mit der es sich keiner verscherzen will. ¹⁶⁾ Deutsche Welle: Uiguren und Islamische Welt – Keine Kritik aus islamischen Ländern an China; Beitrag vom 04.12.2019 ¹⁷⁾ Zeit Online: Uiguren – Auf die Islamische Welt können sie nicht hoffen; Artikel vom 26.11.2019

Welche Verantwortung hat Deutschland?

Doch auch von Deutschland bleibt mehr zu erwarten. Aufgrund unserer historischen Verantwortung sollten wir ein Interesse daran haben eindeutige Signale zu senden.  Aber Unternehmen wie Volkswagen oder Siemens sind weiterhin in Xinjiang aktiv. Volkswagen unterhält in der Region eine Fabrik und Siemens betreibt eine Kooperation mit dem Unternehmen, dass die digitale Überwachungstechnik entwickelt hat.  Somit verschließen deutsche Unternehmen die Augen vor der humanitären Katastrophe und verkaufen unsere freiheitlichen Werte zugunsten ihrer Profite.
Des Weiteren leben in Deutschland bis zu 1.500 Exil Uiguren und ihr Weltkongress befindet sich in München. Seit 2016 ist die Zahl der Asylanträge von 23 auf 149 gestiegen. Auskünfte über internationale Fluchtbewegungen zu bekommen, ist kaum möglich. Zum einen, weil die Informationslage extrem undurchsichtig ist und zum anderen, weil die Uiguren weitestgehend isoliert sind. Xinjiang ähnelt immer mehr einem Freiluftgefängnis, aus dem es schwer zu entkommen ist. Die wenigen, die es geschafft haben, fliehen meistens nach Europa. Doch auch im Ausland sind sie nicht sicher vor dem langen Arm Chinas. Die Volksrepublik nutzt ihre Botschaften, um Aktivisten und Dissidenten zu verfolgen. Dazu bedrohen sie Medien und Universitäten. Abgeordnete, die sich kritisch gegenüber der Menschenrechtslage äußern, wird die Einreise verweigert. ¹⁸⁾ Süddeutsche Zeitung: China Cables – VW und die Frage der Verantwortung; Artikel vom 25.11.2019 ¹⁹⁾ Frankfurter Allgemeine: Bericht über Uiguren – Was machen VW und Siemens in Xinjiang?; 26.11.2019 ²⁰⁾ Tagesschau: China Cables – Ignorieren deutsche Firmen die Unterdrückung?; Artikel vom 25.11.2019

Es bleibt festzuhalten, dass China mittels seiner wirtschaftlichen Macht der internationalen Menschenrechtslage Schaden zufügt und die weltweiten Machtverhältnisse im Interesse seiner politischen Vorstellung verschiebt. Um dem entgegenzutreten, braucht es mehr als stille Diplomatie. Es braucht klare und selbstbewusste Signale, wobei Sanktionen gegen Firmen und Personen, die sich an den Menschenrechtsverletzungen beteiligen, nicht mehr ausgeschlossen werden dürfen.