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Was bringt Menschen dazu, ihre Heimat zu verlassen und ein besseres Leben zu suchen? | Bild: © earthlink e.V. [alle Rechte vorbehalten] -
Ägypten: Menschenrechtslage hat sich unter al-Sisi verschlimmert
Der neue Amnesty-International-Bericht „Permanent State of Exception“ (Permanenter Ausnahmezustand) über die Menschenrechtslage in Ägypten zeichnet ein katastrophales Bild von dem Land am Nil: Der Staatsapparat geht unter dem Deckmantel der Terrorbekämpfung hart gegen jegliche Regierungskritik vor. Schon bei kleinen friedlichen Äußerungen wie Kommentaren in den sozialen Medien oder bei Aktivismus für Menschenrechte droht Gefahr. Oft verschwinden Kritiker, werden monatelang inhaftiert, nicht selten gefoltert und ständig wird ihnen das Recht auf ein faires Verfahren verweigert. Proteste auf der Straße werden gewaltsam aufgelöst und mit massenhaften, oft willkürlichen, Inhaftierungen beantwortet. 1) Amnesty Deutschland: Ein Staat im permanenten Ausnahmezustand; Pressemitteilung vom 27.11.2019 2) Amnesty International: Permanent State of Exception. Abuses by the Supreme State Prosecution; 2019
Dabei hatte alles mit Protesten angefangen. Im Zuge des Arabischen Frühlings war es 2011 zu einer Welle von Demonstrationen gegen den seit 30 Jahren regierenden Präsidenten Husni Mubarak gekommen. Auf Druck des Militärs trat dieser schließlich zurück. Die Parlamentswahl im folgenden Jahr gewann die islamistische Muslimbruderschaft, die Präsidentschaftswahl deren Parteivorsitzender Mohammed Mursi. Doch die neuen Machthaber konnten die Wirtschaftskrise nicht lösen und gingen auch nicht auf die Opposition zu, gleichzeitig wurde ihnen das Leben durch die alten Eliten und die immer noch einflussreiche Armee schwer gemacht. Die Unzufriedenheit im Volk wuchs. Als die Muslimbrüder eine umstrittene neue Verfassung durchsetzten, kam es erneut zu Massenprotesten und schließlich putschte die Armee unter Verteidigungsminister Abdelfattah al-Sisi im Juli 2013 Präsident Mursi aus dem Amt. 3) Lüders, Michael: Wer den Wind sät. Was westliche Politik im Orient anrichtet; 2015 4) Zeit Online: Hass auf Polizei: Ägypten kollabiert; Artikel vom 27.01.2013
Damit begann die Terrorherrschaft des Militärs. Proteste der Anhänger des Abgesetzten lösten die Soldaten gewaltsam auf, hunderte Demonstranten starben dabei. Die Muslimbruderschaft wurde zur Terrororganisation erklärt. Ihre Mitglieder und Unterstützer, wirkliche und angebliche, wurden verfolgt, eingesperrt und oftmals hingerichtet. 2014 ließ sich Abdelfattah al-Sisi mit 96,3 Prozent zum Präsidenten wählen. Seitdem hat sich die Menschenrechtslage in Ägypten massiv verschlechtert. Die Medien sind gleichgeschaltet, Kritik an der Regierung wird verfolgt. Die Zahl der Fälle der „Staatsanwaltschaft für Staatssicherheit“, die sich um die „Terrorbekämpfung“ kümmert, hat sich laut Amnesty seit al-Sisis Machtübernahme 2013 fast verdreifacht. Auch die Mitarbeiter von NGOs und anderen ausländischen Organisationen laufen ständig Gefahr, angeklagt zu werden, oder müssen mit dem Verbot ihrer Organisation rechnen. 5) Lüders, Michael: Wer den Wind sät. Was westliche Politik im Orient anrichtet; 2015 6) Amnesty Deutschland: Ein Staat im permanenten Ausnahmezustand; Pressemitteilung vom 27.11.2019 7) Tagesschau: Leben in Ägypten: Brutaler als unter Mubarak; nicht mehr verfügbar
Amnesty & Co. sind nicht allein mit der Anklage, auch Experten und Journalisten berichten von Repression und Menschenrechtsverletzungen unter al-Sisi. Selbst das Auswärtige Amt gibt zu, dass die Menschenrechtslage „besorgniserregend“ ist. Die „Rechte auf Meinungs-, Versammlungs- und Pressefreiheit wurden seit 2014 zunehmend eingeschränkt“. 8) Lüders, Michael: Wer den Wind sät. Was westliche Politik im Orient anrichtet; 2015 9) Tagesschau: Leben in Ägypten: Brutaler als unter Mubarak; nicht mehr verfügbar 10) Auswärtiges Amt: Ägypten: Politisches Portrait; Artikel vom 01.10.2019
Dabei versucht der Westen sonst alles, um die Probleme in Ägypten unter den Teppich zu kehren. Denn al-Sisi steht auf der Seite der USA, der EU und der ebenfalls pro-westlichen Golfmonarchien. Deshalb wird seine Politik toleriert. Seine Machtübernahme gilt im Westen nicht als Putsch, die Menschenrechtsverletzungen werden allenfalls zur Kenntnis genommen. Einzig US-Präsident Donald Trump war einmal ehrlich: Al-Sisi sei sein „Lieblingsdiktator“. Als guter Wirtschaftspartner und Waffenabnehmer wird al-Sisi in den westlichen Hauptstädten hofiert. Außerdem verspricht er, Stabilitätsanker im sonst politisch unruhigen Nahen Osten zu sein. Dass das mit der Unterdrückung der Bevölkerung einhergeht, wird vom Ausland hingenommen. Autokraten, die ähnlich vorgehen, aber nicht auf der Seite des Westens stehen, werden dagegen angeprangert und militärisch bekämpft, bestes Beispiel ist der syrische Diktator Assad. Doch mit Kairo wird munter Handel getrieben. Deutschlands Handelsvolumen mit Ägypten lag 2017 bei 5,8 Milliarden Euro, fast 10 Prozent des deutschen Exports waren dabei Rüstungsgüter und Kriegswaffen. Außerdem strömen deutsche Touristen in Scharen in das Land an Mittel- und Rotem Meer, letztes Jahr 1,7 Millionen. Ihre Menschenrechte sind natürlich nicht in Gefahr durch den ägyptischen Staat. 11) Lüders, Michael: Wer den Wind sät. Was westliche Politik im Orient anrichtet; 2015 12) Tagesschau: Leben in Ägypten: Brutaler als unter Mubarak; nicht mehr verfügbar 13) Auswärtiges Amt: Deutschland und Ägypten: bilaterale Beziehungen; Artikel vom 01.10.2019 14) Islamic News: Trump zu Sisi: „Wo ist mein Lieblingsdiktator?“; Artikel vom 18.09.2019 15) Außenwirtschaftsportal Bayern: Export nach und Import aus Ägypten; nicht mehr verfügbar
Und so regiert al-Sisi uneingeschränkt weiter. Letztes Jahr erst wurde er mit 97 Prozent wiedergewählt. Daraufhin ließ er die Verfassung ändern, um bis 2030 im Amt bleiben zu können. Doch von der Umsetzung seines Versprechens, mehr Wohlstand, Freiheit, Sicherheit und Arbeit zu schaffen, ist er weit entfernt. Statt ins Sozialsystem und in Schulen zu investieren, gibt er lieber Geld für die Armee und immer neue Megaprojekte wie Hochgeschwindigkeitsbahnen aus. Davon profitieren jedoch vor allem die Oberschicht und ausländische Investoren. Währenddessen steigen die Lebensmittelpreise im Land und die Bevölkerung wächst. Nur Milliardenkredite aus dem Ausland bewahren Ägypten vor dem wirtschaftlichen Kollaps – so viel zur versprochenen Stabilität. Ohne Gegenwind von westlicher Seite sitzt al-Sisi trotzdem weiter fest im Sattel. Vor einem Sturz durch das Volk hat der Diktator keine Angst. Denn erstens hat er das Militär auf seiner Seite und zweitens wird ja jeder Widerstand unterdrückt, jeder Protest bereits im Keim erstickt. Selbstsicher warnt er seine Gegner: „Nehmt euch in Acht! Was vor sieben, acht Jahren passiert ist, wird nicht wieder passieren.“ Er wird wohl Recht behalten. 16) Lüders, Michael: Wer den Wind sät. Was westliche Politik im Orient anrichtet; 2015 17) Amnesty International: Permanent State of Exception. Abuses by the Supreme State Prosecution; 2019 18) Tagesschau: Präsidentenwahl in Ägypten; Al-Sisi bekommt 97 Prozent; Artikel nicht mehr verfügbar 19) Tagesschau: Fünf Jahre nach der Wahl: „Al-Sisi ist nicht schlecht, aber…“; nicht mehr verfügbar
Fußnoten und Quellen:
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