Land Grabbing in Sierra Leone: Wie ausländische Investoren der Bevölkerung die Lebensgrundlage nehmen
Rohstoffvorkommen sind in der Welt sehr ungleich verteilt. Gerade die ärmsten Länder dieser Erde verfügen über wertvolle Bodenschätze sowie fruchtbares Land, was sehr gut einen Beitrag dazu leisten könnte, die Armut in diesen Ländern zu bekämpfen. Besonders Sierra Leone besitzt ein sehr reichhaltiges Vorkommen an Eisenerz, Chrom, Gold und vor allem Diamanten. Tatsächlich aber lebt die Mehrheit der fünf Millionen Einwohner des Landes unterhalb der Armutsgrenze. Hier werden, auch siebzehn Jahre nach dem Ende des Bürgerkriegs, weiterhin Menschen von großen Bergbau- und Agrarunternehmen gewaltsam von ihrem Land vertrieben. 1) Medico International: Sierra Leone – Der Fluch der Diamanten; Artikel vom 04.01.2019 Der Abbau von Diamanten in Sierra Leone zwingt die dortige Bevölkerung zur Migration. Die wirklichen Gewinner dieses Geschäftes sind hauptsächlich große ausländische Unternehmen sowie eine kleine Elite im Land selbst. Korruption sowie die Folgen des Bürgerkriegs und der Ebola-Seuche von 2014 bis 2015 machen dem Land bis heute schwer zu schaffen. Blickt man zurück auf die Geschichte Sierra Leones, so beschäftigt man sich zwangsläufig mit dem elfjährigen Bürgerkrieg im Land, der von 1991 bis 2002 andauerte und mindestens 100.000 Menschen das Leben kostete. 2) Ärzte ohne Grenzen: Verstümmelung von Zivilisten in Sierra Leone; Artikel nicht mehr verfügbar
In diesem Krieg war die Rolle von sogenannten Blutdiamanten – Diamanten, mit denen Waffenkäufe finanziert wurden – entscheidend. Die Rebellenarmee RUF (Revolutionary United Front) vertrieb Menschen in Sierra Leone aus ihren Dörfern, tötete und verstümmelte die Bevölkerung. Und das alles, um die auf ihrem Land befindlichen Diamantenvorkommen zu erreichen. Zahlreiche solcher Blutdiamanten, die nach der grausamen Vertreibung oder Ermordung der Bewohner gefördert wurden, gelangten damals auf den Weltmarkt oder wurden im benachbarten Liberia gegen Waffen eingetauscht. 3) Zeit Online: Herrn Jarkas neue Hände; Artikel vom 17.11.2011 Der Krieg erschütterte das Land, und seine Folgen sind bis heute spürbar. So ist Sierra Leone nun beispielsweise dazu gezwungen, Nahrungsmittel zu importieren, da seine Anbauflächen in weiten Teilen nicht ausreichen, um die Bevölkerung zu ernähren. Und das, obwohl ca. 65% der Landesbevölkerung hier im Landwirtschaftssektor tätig sind. Grund hierfür ist unter anderem die jahrelange Misswirtschaft während des Bürgerkriegs, in der viele Felder brach lagen und nicht bewirtschaftet werden konnten. 4) Bundesamt für Migration und Flüchtlinge: Länderinformationsblatt Republik Sierra Leone; Bericht vom Juni 2014 Weiterhin nimmt in Sierra Leone die Anzahl ausländischer Großinvestoren stetig zu. So ist zum Beispiel nach dem Kriegsende die Zahl der Bergbauunternehmen angestiegen. 5) Medico International: Weiße Bänder der Erinnerung; Reportage vom 22.04.2015 Auch im landwirtschaftlichen Sektor ist die Anzahl ausländischer Investoren gewachsen, die hier auf dem Weltmarkt nachgefragte Rohstoffe wie Öl und Mineralien abbauen und exportieren. Das sogenannte „Land Grabbing“ ist in Sierra Leone weit verbreitet: Riesige Landflächen werden von großen ausländischen Unternehmen für mehrere Jahrzehnte gepachtet oder gekauft, um auf ihnen beispielsweise Zuckerrohr für die Gewinnung von Bioethanol für den Export zu produzieren. Selten handelt es sich hierbei um unbewohntes Land: Die Bewohner werden meist umgesiedelt, vertrieben oder mit geringen Kompensationszahlungen abgefertigt. So sind mittlerweile mehr als 40 Prozent der gesamten Ackerfläche Sierra Leones an ausländische Investoren vergeben. 6) Medico International: Fluchtursache Reichtum; Bericht von 2011 Der Anbau von sogenannten „Cash Crops“ – also von Produkten, die nicht der Ernährung der Bevölkerung dienen, sondern exportiert werden, stellt eine große Bedrohung für die Einwohner des Landes dar. Ihre Ernährungssicherung wird durch solche Projekte enorm gefährdet, denn es fehlt ihnen der Zugang zu Land und dem Anbau von überlebenswichtigen Nahrungsmitteln. 7) FIAN Österreich: Agrartreibstoffprojekt in Sierra Leone; Artikel vom 07.07.2015 Auch über ein Jahrzehnt nach dem Ende des Bürgerkriegs sind große Teile der Bevölkerung Sierra Leones immer noch weit davon entfernt, den landwirtschaftlichen Betrieb wieder vollkommen aufzunehmen. Mit ein Grund hierfür ist die angesprochene Verpachtung zahlreicher Hektar Ackerland an ausländische Investoren, besonders an große Agrarunternehmen. Von den Gewinnen dieser Unternehmen spüren Kleinbauern in Sierra Leone, die ihren Landbesitz verpachteten, bisher nämlich wenig. 8) Welthungerhilfe: Land Grabbing trifft die Kleinbauern hart; Artikel vom 08.10.2014 Nur die wenigsten von ihnen wurden, wie von den Konzernen versprochen, angestellt, um weiterhin auf ihrem Land zu arbeiten. Zusätzlich zu dem enormen Einbruch an Einkommen, können sich diese Kleinbauern nun auch nicht mehr selbst versorgen – denn auf ihrem Land werden ja Ölpalmen oder Zuckerrohr für den Export angebaut.
Die im Bürgerkrieg ausgelöste Destabilisierung des Landes hat bis heute Auswirkungen auf die politische und wirtschaftliche Lage, die sich immer noch als sehr instabil erweist. Der anhaltende Abbau von Diamanten sowie das vermehrte Land Grabbing durch ausländische Investoren nehmen weiten Teilen der Bevölkerung Sierra Leones ihr Zuhause und ihre Lebensgrundlage. Da in den ländlichen Regionen zahlreiche Anwohner ihren Lebensunterhalt nicht mehr alleine durch die Landwirtschaft bestreiten können, sehen sie sich gezwungen, in den Schürfminen im Diamantenabbau zu arbeiten. Auch dies trägt zur strukturellen Ernährungsunsicherheit in Sierra Leone bei.Die Nahrungsmittelproduktion des Landes hat sich seit den 1960er Jahren stetig verschlechtert – ein Zustand, der bis heute anhält. 9) Medico International: Fluchtursache Reichtum; Bericht von 2011 Der Verlust am Zugang zu fruchtbarem Boden zwingt schon jetzt viele Menschen zur Flucht, die nicht mehr ausreichend Nahrung für sich und ihre Familien produzieren können. 10) Brot für die Welt: Was tun, wenn das Land knapp ist?; zuletzt aufgerufen am 09.08.2019 In Sierra Leone sehen sich viele Menschen zur Abwanderung in die umgebenden Länder gezwungen. Diese Zwangsmigration wird hervorgerufen durch den massiven Bergbau und Land Grabbing ausländischer Investoren, um die Nachfrage auf dem Weltmarkt zu bedienen. Es ist also gerade der Rohstoffreichtum des Landes, der paradoxerweise zur großen Armut und Notlage seiner Bevölkerung beiträgt. Migration ist hier vor allem mit Wirtschaftsinteressen zu begründen. Die beständig steigende Nachfrage nach wertvollen Rohstoffen auf dem Weltmarkt trägt mit dazu bei, dass in Sierra Leone nach wie vor Menschen von ihren Ländern vertrieben werden und ihnen die Lebensgrundlage genommen wird.
Fußnoten und Quellen:
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