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Was bringt Menschen dazu, ihre Heimat zu verlassen und ein besseres Leben zu suchen? | Bild: © earthlink e.V. [alle Rechte vorbehalten] -
Landwirtschaft im Senegal: Ein Kampf gegen Wüste und ausländische Investoren
Der Senegal ist am äußersten Westen Afrikas gelegen und grenzt dort an den atlantischen Ozean sowie an die Sahelzone im Norden. Das Land gilt als politisch stabil, mit einer funktionierenden Demokratie, und das Bruttoinlandsprodukt pro Kopf hat sich seit 2000 mehr als verdoppelt. Dennoch gibt es eine Vielzahl von Senegalesen, die den gefährlichen Weg nach Europa in eine vermeintlich bessere Zukunft auf sich nehmen. Doch warum? 1) The World Bank: GDP per capita – Senegal; Stand 04.06.2019 2) Spiegel Online: Wir Afrikaner müssen etwas für Afrika tun; Artikel vom 20.10.2018
Das Klima Senegals wird durch zwei Jahreszeiten geprägt, und zwar durch die Regenzeit von Juni bis September, und durch die Trockenzeit von Oktober bis Mai. Dies hat zwei sehr unterschiedliche Wetterphänomene zur Folge, nämlich starke Regenfälle und Überflutungen zum Einen und extreme Hitze und Trockenheit zum Anderen. Diese zwei Phänomene werden durch den menschengemachten Klimawandel noch verstärkt. Der enorme CO2-Ausstoß der Industrienationen führt in den Ländern der Sahelzone immer öfter zu besonders lang anhaltenden Trockenperioden. 2018 gab es im Senegal bereits die dritte Dürre innerhalb von nur 6 Jahren. Und auch in diesem Jahr könnte ausbleibender Regen zu einer Hungerkatastrophe führen, die besonders die Landbevölkerung treffen würde. Dadurch werden im Norden des Landes Konflikte um die letzten Wasserressourcen zwischen nomadischen Viehhaltern und sesshaften Bauern provoziert oder verschärft, da die Menschen komplett abhängig von der Vegetationssaison sind. Sie benötigen Wasser für die Bewässerung ihrer Felder und die Versorgung ihrer Nutztiere. Ist die Vegetationssaison aufgrund der Wetterlage nicht ertragreich, müssen die Menschen bis zum nächsten Jahr mit dem auskommen, was sie erwirtschaften konnten. Die Trockenheit lässt Pflanzen sterben und führt zu zunehmender Desertifikation, also der Entstehung, bzw. Vergrößerung von Wüsten. Dies lässt immer mehr und mehr ehemaliges Weideland unbrauchbar werden. 3) reliefweb: Senegal – Third Drought in Six Years Leaves 245,000 People Food Insecure; Artikel vom 13.08.2018 4) Al Jazeera: UN: Number of Hungry Children at 10-Year High in Africa’s Sahel; Artikel vom 16.11.2018 5) International Land Coalition: Commercial Pressures on Land Worldwide; Bericht 2009 6) Aktion gegen den Hunger: Mauretanien und Senegal – 900.000 Menschen steuern auf kritische Ernährungssituation zu; 24.05.2019
Die Desertifikation wird aber nicht nur durch die Trockenheit vorangetrieben, sondern auch durch die Feldfrüchte, die angebaut werden. Zur Zeit der Kolonialisierung des Senegals durch Frankreich wurden riesige Erdnussplantagen angelegt, und auch heute noch findet man diese Hülsenfrucht auf etwa 50 Prozent der landwirtschaftlich genutzten Anbaufläche. Dies macht das westafrikanische Land zu einem der größten Erdnussproduzenten weltweit. Darüber hinaus wird Land von ausländischen Investoren aufgekauft, wobei die Rechte und Bedürfnisse ländlicher Bevölkerungsgruppen ignoriert werden. Bodenrechte werden zugunsten ausländischer Investoren verändert und damit wird Kleinbauern die Lebensgrundlage genommen. Dieser Landraub oder auch „Landgrabbing“ wird betrieben, um sogenannte Cash-Crops, also Pflanzen, die dem kommerziellen Weiterverkauf und nicht dem Nutzen der lokalen Bevölkerung dienen, anzubauen. Über drei Viertel der erworbenen Fläche im Senegal wird für die Produktion von Pflanzen für die Biotreibstoffgewinnung verwendet, und gute 82 Prozent der insgesamt erworbenen Fläche wurde von Investoren aus Europa erworben. Dem Bundesministerium für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung nach liegen zwei Drittel der weltweit von großflächigen Landkäufen und -pachten betroffenen Flächen in afrikanischen Ländern südlich der Sahara und damit in Ländern, die am meisten von absoluter Armut betroffen sind. Das Wasser, welches für die neu angelegten Felder benötigt wird, wird lokalen Bauern einfach genommen, und diese dadurch vertrieben. Die großangelegten Monokulturen von Erdnüssen und anderen wasserintensiven Pflanzenarten im Senegal laugen den Boden aus und machen ihn für kommende Generationen unfruchtbar; das Land wird buchstäblich „Ver-Wüstet“. Bauern finden auf dem Land keine Arbeit mehr oder können mit den internationalen Großkonzernen nicht konkurrieren; was folgt, ist Migration – erst in die Stadt und dann nach Europa. 7) Deutsche Welle: Rettung für die Böden in Senegals Erdnusstal; Video vom 27.10.2015 8) factfish: Senegal – Erdnüsse, mit Schale, Produktionsmenge; Stand 2017 9) pressenza: Landkauf durch reiche Länder entzieht senegalesischen Bauern die Lebensgrundlage; Artikel vom 31.01.2017 10) Oxfam: Fragen und Antworten zum Landgrabbing; Bericht 2011 11) Land Coalition: Large Scale Land Aquisitions Profile – Senegal; nicht mehr verfügbar 12) Bundesministerium für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung: Investitionen in Land und das Phänomen „Land Grabbing“; Strategiepapier 2012
Aus der Perspektivlosigkeit und permanenten Bedrohung einer humanitären Katastrophe scheint es oftmals nur den Ausweg der Flucht zu geben. Dabei wird die Entscheidung, die eigene Heimat zu verlassen, nicht nur individuell, sondern oft kollektiv von der Familie getroffen. Es wird sich ein sozialer Aufstieg erhofft, und dieser Aufstieg ist immer öfter – nicht nur im Senegal, sondern weltweit – geographisch definiert. Es steht also nicht mehr der Beruf an sich im Vordergrund, sondern der Ort, an dem man arbeitet bzw. lebt. Ein senegalesischer Lehrer in einem senegalesischen Dorf hat weniger Ansehen als eine senegalesische Reinigungskraft in Deutschland, genauso wie ein rumänischer Verwaltungsbeamter in einer rumänischen Stadt weniger Ansehen hat als ein rumänischer Erntehelfer in den Niederlanden. Die Migranten sollen dann ihre Familien durch Rücküberweisungen finanziell unterstützen – denn obwohl das Land oft als ein Musterland Afrikas beschrieben wird, lebt knapp die Hälfte der Bevölkerung unter der Armutsgrenze und im Human Development Index der Vereinten Nationen belegt es Platz 164 von 189. Die Rücküberweisungen haben 2016 knapp 14 Prozent des gesamten Bruttoinlandprodukts ausgemacht. 13) Bundeszentrale für politische Bildung: Die Auswandererbevölkerung; Artikel vom 01.11.2007 14) Deutschlandfunk: Rückkehr in den Senegal: „Ich bin mit leeren Händen gekommen“; Artikel vom 13.02.2018 15) United Nations Development Programme: Human Development Reports – Senegal; Stand 2018
Der Senegal, ein Land, das immer als Vorbild für andere Nationen der Region galt, wird immer mehr in einen Überlebenskampf verwickelt. Der massive Anbau von Monokulturen wie der Erdnuss und das „Landgrabbing“ großer ausländischer Investoren zur Kultivierung von Cash-Crops gefährdet die Ernährungs- und Versorgungssicherheit vieler Senegalesen. Der Klimawandel und die damit einhergehende Desertifikation bedrohen ganze Landstriche und die darauf lebende Bevölkerung. Die Weltbank geht in den nächsten 60 Jahren von einem Anstieg der Temperaturen um etwa 4°C aus, bei gleichzeitigem Rückgang von Niederschlägen – aber nicht erst 2080, sondern bereits dieses Jahr droht eine humanitäre Notlage aufgrund einer Dürre. Bessere Aussichten bietet da für viele nur die Flucht nach Europa, ungeachtet aller Gefahren auf dem Weg. Denn: Was hat man schon zu verlieren? 16) World Bank Group: Climate Data – Senegal; Stand 2019 17) World Bank Group: Climate Data Projections – Senegal; Stand 2019 18) Aktion gegen den Hunger: Mauretanien und Senegal – 900.000 Menschen steuern auf kritische Ernährungssituation zu; Artikel vom 24.05.2019
Fußnoten und Quellen:
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