Kamerun: Koloniale Grenzziehung spaltet das Land bis heute
Kamerun im Jahre 1868: Eines Tages betritt ein gewisser Carl Woermann die Bühne in dem zentralafrikanischen Land und gründet an der Mündung des Wouri eine erste Niederlassung seines Hamburger Handelshauses, das unter anderem in der Reederei investiert war und alsbald zum größten Privatbetreiber der Welt aufsteigen sollte. Ein reger Austausch von Waren folgte, wobei C. Woermann vor allem Branntwein und Waffen aus dem Deutschen Reich anlieferte und im Gegenzug Palmöl und Kautschuk in die deutschen Lande importieren ließ. Damit begann eine Zeit, in welcher der deutsche Einfluss auf Kamerun immer stärker wurde; schließlich schloss der kaiserliche Generalkonsul am 14. Juli 1884 mehrere Schutzverträge mit regionalen Herrschern ab und proklamierte infolgedessen das Schutzgebiet Kamerun als „Deutsche Kolonie“. Nach dem Ersten Weltkrieg wurde aus dem Land französisches und britisches Mandatsgebiet, wobei der größte Teil – etwa vier Fünftel des Landes – von den Franzosen und der sich im Westen befindliche Rest von den Briten verwaltet wurde. Auch nach der Entlassung in die Unabhängigkeit im Jahre 1960, bei der die Herrschaft in den französischsprachigen Teil überging, besteht diese Zweiteilung des Landes fort; in etwa 80 Prozent der Menschen leben in dem frankophonen und etwa 20 Prozent in dem anglophonen Teil. Insgesamt hat das Land, das an Nigeria, den Tschad, die Zentralafrikanische Republik, den Kongo, Gabun und Äquatorialguinea grenzt, 25 Millionen Einwohner. Seine wichtigsten Exportprodukte sind neben dem Erdöl, dessen Mengen aber im internationalen Vergleich marginal sind, Holzprodukte, Kakao und Kaffee. 1) Wikipedia: Kamerun; Stand: 19.2.2019 2) Wikipedia: Carl Woermann; Stand: 19.2.2019
Zwischen den beiden Bevölkerungsgruppen kam es immer wieder zu Spannungen, weil sich der englischsprachige Teil seit jeher von der politischen und wirtschaftlichen Teilhabe ausgeschlossen fühlt. Seit November 2016 jedoch reißen die Proteste der anglophonen Kameruner im Westen des Landes nicht mehr ab. Anfangs liefen die Demonstrationen noch friedlich ab, dann flogen Molotowcocktails – mittlerweile steht das Land am Rand eines Bürgerkrieges. Englisch gilt zwar offiziell als gleichberechtigte Sprache in Kamerun – so sollte gemäß einer alten Vereinbarung der Unterricht an den Schulen im anglophonen Teil auch auf Englisch stattfinden –, die Wirklichkeit sieht jedoch oftmals anders aus. Yaoundé schickt immer mehr französische Lehrer in den Westen. Auch wichtige Positionen in Verwaltung und Justiz werden in der Regel durch Französischsprachige besetzt. Die Rede ist von einer „Französisierung“ und man fordert Minderheitenrechte. Als Anfang Oktober 2017 „Präsident“ Sisiku Ayuk einen eigenen anglophonen Staat namens „Ambasonien“ ausrief, wurde eine schwere Krise ausgelöst, infolge derer 17 Menschen bei Demonstrationen ums Leben kamen. Der seit mittlerweile 36 Jahren herrschende Dauerpräsident Paul Biya begegnet den Separatisten zunehmend mit eiserner Hand. Hunderte von Menschen starben schon in dem brutalen Konflikt, Tausende wurden inhaftiert und Zigtausende mussten aus ihrer Heimat in die Büsche oder ins Nachbarland Nigeria fliehen. „Die Menschen haben Angst vor der Armee. Sie werden von ihr terrorisiert. Niemand scheint in ihren Händen sicher zu sein. Du bist sofort schuldig, du kannst noch nicht mal sagen, wer du bist. Das ist außergerichtliche Rechtsprechung, die Hinrichtung von Menschen. Und davon gibt es viele Fälle“, sagt der Erzbischof von Bamenda, Cornelius Fontem Esua. Immer wieder gibt es Berichte über willkürliche Verhaftungen, Folterungen und sogar Hinrichtungen. „Sie verletzen die Menschenrechte, wenden unverhältnismäßig harte und widerrechtliche Gewalt an – oft mit tödlichen Folgen“, kritisiert Amnesty International in einem Bericht das Vorgehen der Regierungstruppen. Die Unabhängigkeitskämpfer sehen sich als Schutzmacht der bedrohten Zivilisten: „ Wir versuchen die Leute hier und in den Nachbardörfern zu beschützen. Denn die Armee attackiert uns hier und tötet unschuldige Leute. Darum sind wir hier und passen auf“, sagt ein anglophoner Kämpfer. Mittlerweile dreht sich die Gewaltspirale immer schneller; auch auf Seiten der Aufständischen gibt es Gewalt – gegen Uniformierte, Dorfälteste, die mit den staatlichen Autoritäten kooperieren, und Schulen, die den Boykott der französischen Sprache nicht mitmachen. So sind laut Amnesty International im Jahr 2017 mehr als 30 Schulen niedergebrannt worden. 3) Frankfurter Rundschau: Kamerun vor dem Bürgerkrieg?; Artikel vom 19.6.2018 4) Tagesschau: Drohender Bürgerkrieg in Kamerun: „Wir leben in ständiger Angst“; Artikel nicht mehr verfügbar 5) Der Standard: Grenze: 43.000 Flüchtlinge: Kamerun-Konflikt droht zu eskalieren; Artikel vom 1.2.2018 6) Deutschlandfunk: Separatisten in Kamerun – Die anglophone Minderheit begehrt auf; Artikel vom 27.10.2018 7) Amnesty International: Cameroon 2017/2018; Stand: 19.2.2019
Erst dieses Jahr kam es zu einem Überfall auf ein Krankenhaus in Kumba in Westkamerun, bei dem vier Patienten verbrannten. Bewaffnete Unabhängigkeitskämpfer und Regierungstruppen beschuldigen sich gegenseitig der Tat. Im November 2018 wurden staatlichen Angaben zufolge 79 Schüler und drei Lehrer von Separatisten aus einer Schule entführt. Die Aufständischen hingegen wehren sich gegen die Anschuldigungen. Die Entführung sei inszeniert, um ihre politischen Ziele zu diskreditieren. Die auf einem Video mit den Entführern zu hörende Aussprache des Englischen sei fehlerhaft und deute auf einen frankophonen Sprecher hin; auch der Bart des in dem Filmmaterial zu sehenden Täters sei aufgeklebt. 8) Epo.de: Kamerun. Patienten bei Angriff auf Krankenhaus getötet; Artikel vom 13.2.2019 9) Spiegel: Separatisten entführen rund 80 Schüler; Artikel vom 5.11.2018 10) Spiegel: Kamerun unter Paul Biya. Die rätselhafte Kinder-Entführung von Ambazonien; Artikel vom 6.11.2018 11) Spiegel: Kamerun. Kindergeiseln sind wieder frei; Artikel vom 7.11.2018
43.000 Menschen sollen in den vergangenen Monaten bereits ins benachbarte Nigeria geflohen sein, darunter auch politisch Aktive, die Guerilla-Attacken organisieren. Die große Mehrheit jedoch sucht einfach nur nach Schutz vor der Regierungsgewalt. „Die Gendarmen sind kurz hereingekommen, haben die Leute schikaniert und sind sofort wieder gegangen. Sie machen das schon, seitdem die Krise über die Unabhängigkeitsbewegungen ausgebrochen ist und die Flüchtlinge gezwungen hat, nach Nigeria zu fliehen“, beschreibt Solomon Eremi, Sprecher der Nigeria Security and Civil Defence Corps (NSCDC) die Lage. Um die Beziehungen zu Kamerun nicht zu gefährden, mit denen man unter anderem bei der Bekämpfung der Dschihadisten von Boko Haram im Norden des Landes zusammenarbeitet, liefern die Nigerianer die Separatisten immer wieder an ihr Nachbarland aus. 12) Der Standard: Grenze: 43.000 Flüchtlinge: Kamerun-Konflikt droht zu eskalieren; Artikel vom 1.2.2018
Im Kampf zwischen den Separatisten und der Zentralregierung sind 2018 über 400 Männer, Frauen und Kinder gestorben. UN-Schätzungen zufolge sind bereits über 160.000 Menschen zu Flüchtlingen im eigenen Land geworden. 13) Tagesspiegel: Präsidentschaftswahl in Afrika. Kampf um Kamerun; Artikel vom 5.10.2018 14) Tagesschau: Drohender Bürgerkrieg in Kamerun: „Wir leben in ständiger Angst“; Artikel nicht mehr verfügbar
Fußnoten und Quellen:
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