Die vergessene Flüchtlingskrise: 1,2 Millionen Venezolaner auf der Flucht
Im Verlauf der letzten zwei Jahre ist die Zahl der Menschen, die das krisengebeutelte Venezuela verlassen haben, sprunghaft angestiegen. Zu groß sind das Elend und die Perspektivlosigkeit der Bevölkerung geworden. Insgesamt haben in den vergangenen 20 Jahren, seit dem die Sozialisten die Regierung stellen, 3 Millionen Menschen das Land verlassen, davon allerdings allein in den letzten zwei Jahren 1,2 Millionen – und eine Trendwende bei den Migrationsbewegungen ist in der aktuellen Situation nicht absehbar. In Kolumbien beispielsweise halten sich nach jüngsten Schätzungen der dortigen Behörden über 600.000 Venezolaner auf. Das UNHCR ging im September 2017 noch von circa 440.000 Menschen aus, die in dem Nachbarstaat auf ein Ende der Krise warten. Zum Vergleich: Der Bürgerkrieg in Syrien hat laut Zahlen des UNHCR 5.560.000 Menschen die Flucht ergreifen lassen. Bei den Rohingya im Grenzgebiet zwischen Myanmar und Bangladesch sind es ebenfalls etwa 1,2 Millionen Vertriebene. 1) Business Insider: ‚I don’t have a happy ending‘: Venezuela’s misery is deepening — and spilling over its borders; Artikel vom 14.02.2018 2) UNHCR: Venezuela Situation September 2017; Situation Update; aufgerufen am 20.02.2018 3) The Wall Street Journal: Venezuela’s Misery Fuels Migration on Epic Scale; Artikel vom 13.02.2018 4) UNHCR: Syria Regional Refugee Response; Total Persons of Concern; aufgerufen am 20.02.2018 5) UNOCHA: Rohingya Refugee Crisis; aufgerufen am 20.02.2018
Zwar zeigt Venezuelas Nachbar bislang große Hilfsbereitschaft, um den Menschen vor Ort wenigstens das Nötigste – wie etwa eine gesundheitliche Notversorgung oder Wasser und Lebensmittel – zukommen zu lassen, allerdings erhöht die kolumbianische Regierung nun auch die Präsenz ihrer Sicherheitskräfte an der gemeinsamen Grenze. Die Aufstockung des Grenzschutzes umfasst 2000 Einheiten von bisher 1000 auf 3000 Polizisten und Militärs. Illegale Übertritte in dem schwer kontrollierbaren und unzugänglichen Gebiet sollen auf diese Weise eingedämmt werden. Auch Brasilien verlegt mehr Truppen an die Grenze. 6) WINK: Colombia tightens border control as Venezuela migrants surge; Artikel vom 08.02.2018 7) Reuters: Colombia, Brazil tighten borders as Venezuelan crisis deepens; Artikel vom 08.02.2018
Unterdessen verstärkt sich die Krise in Venezuela in sämtlichen Sektoren des öffentlichen Lebens und droht das Land in den Abgrund zu ziehen. Eingerahmt wird die verheerende Lage von den Versuchen des Staatspräsidenten Nicolás Maduro, den Regierungsapparat nach seinen autokratischen Vorstellungen zu formen. Um die extreme Hyperinflation des Landes zu stoppen und um das Vertrauen der internationalen Geldgeber in die venezolanische Wirtschaft wiederherzustellen, plant die Regierung eine eigene ölgedeckte Kryptowährung, den Petro, zu emittieren. Der Vorverkauf dafür hat bereits begonnen. Über die Erfolgsaussichten dieser Maßnahme gehen die Meinungen von Fachkundigen allerdings auseinander. Zwar sei die Idee strategisch und konzeptuell schlüssig, jedoch fehlt das Vertrauen in die digitale Leistungsfähigkeit des südamerikanischen Landes und auch die tatsächliche Erdölfördermenge hat sich seit Beginn der Wirtschaftskrise negativ entwickelt. 8) Amerika 21: Venezuela führt Kryptowährung Petro ein; Artikel vom 08.01.2018 9) Deutschlandfunk: Venezuela – Regierung kündigt Kryptowährung „Petro“ an; Artikel vom 04.12.17
Angetrieben durch die katastrophale Wirtschaftslage erreicht auch die Versorgungssituation der Bevölkerung kontinuierlich neue Tiefpunkte. Laut der venezolanischen Caritas leiden bereits 15 Prozent der Minderjährigen unter Mangelernährung, 300.000 von ihnen drohen zu verhungern. Die Kindersterblichkeit ist im Jahr 2016 um circa 30 Prozent im Vergleich zum Vorjahr gestiegen. Es fehlt an dringend benötigten Medikamenten, was dazu führt, dass die Ärmsten schon nicht mehr versorgt werden können. 10) latina press: Humanitäre Katastrophe in Venezuela: 300.000 Minderjährige riskieren den Tod; Artikel vom 18.02.2018
Die angestaute Wut und Enttäuschung in der Bevölkerung entlädt sich immer wieder in heftigen Protesten, die zunehmend in gewalttätige Ausschreitungen und Plünderungen ausarten, auf die die Polizei mit Härte antwortet. Über 120 Menschen sind bei diesen Straßenkämpfen bislang ums Leben gekommen. Aber nicht nur auf der Straße geht die Regierung hart gegen ihre Kritiker vor. Auch der Vorwurf der Misshandlung inhaftierter Oppositioneller steht im Raum. Die Chefanklägerin des Internationalen Strafgerichtshofs in Den Haag, Fatou Bensouda, hat deshalb jüngst Vorermittlungen eingeleitet, um diese Verdachtsmomente zu überprüfen. 11) Zeit Online: Militär tötet wichtigen Rebellenführer; Artikel vom 17.01.2018
Um sich greifende Hoffnungslosigkeit, genährt durch die prekäre wirtschaftliche Lage sowie ein Klima der Angst vor staatlicher Repression und Anarchie in den Städten lassen immer mehr Menschen in Venezuela an einer lebenswerten Zukunft in ihrer Heimat zweifeln. Laut einer Umfrage aus dem Dezember letzten Jahres denken bereits 40 Prozent der Bevölkerung darüber nach, das Land zu verlassen. 2014 lag dieser Wert noch bei 12 Prozent. Die sozialistische Regierung unter Maduro hat das Land politisch und wirtschaftlich international weitgehend isoliert. Unter diesen Voraussetzungen scheint die Lage ausweglos, zumal die USA bereits angedeutet haben, die anstehende Präsidentschaftswahl nicht anzuerkennen, was die Probleme im Land noch weiter verschärfen dürfte. 12) Business Insider: ‚I don’t have a happy ending‘: Venezuela’s misery is deepening — and spilling over its borders; Artikel vom 14.02.2018
Fußnoten und Quellen:
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