Drohender Bürgerkrieg in Kamerun – Wurzeln gehen zurück auf die Kolonialzeit
In der Republik Kamerun gibt es Proteste für eine Unabhängigkeit. Kamerunische Beobachter sagen, dass sich dort schon jetzt ein klassischer Bürgerkrieg „niedriger Intensität“ abspielt. Dies ist jedoch eher als schwerwiegend einzustufen, da das Land eine zentrale Bedeutung für die Stabilität Afrikas darstellt und eine derartige Entwicklung nicht zum Kontinent Afrika beiträgt, wie er derzeit international angestrebt wird: Eine Region der klassischen Moderne, mit vielen Möglichkeiten für alle Menschen. Nun hatte aber sogar die Regierung bzw. der Präsident Kameruns, Paul Biya, der sich eigentlich nur recht selten zur aktuellen politischen Lage im Land meldet, den sich langsam ausbreitenden Bürgerkrieg vergangenen Donnerstag offiziell bestätigt: „Kamerun ist Opfer wiederholter terroristischer Angriffe durch eine Bande von Terroristen, die sich auf eine sezessionistische Bewegung berufen“, erklärte er. Dabei versprach er, „alle Mittel“ einzusetzen, „diese Verbrecherbande unschädlich zu machen“. Der kamerunische Verteidigungsminister Joseph Beti Assomo kündigte am Samstag an, dass er die Anweisung des Präsidenten „bedenkenlos“ umsetzen werde, „um den gesunden Teil der Bevölkerung zu beruhigen“. 1) taz.de: Kamerun auf dem Weg zum Bürgerkrieg / Altes Regime und junge „Terroristen“;05.12.2017
Doch wer sind diese „Terroristen“ und um was geht es eigentlich in diesem Konflikt? Der nahende Bürgerkrieg dreht sich um den Südkamerun (präziser: Südwestkamerun) und die anglophone (englische) Sprache: Am 19. Juli 1884 wurde der Süden Kameruns britisches Protektorat. Dann, nach nur drei Jahren Existenz, wurde die Region in die deutsche Kamerun-Kolonie eingegliedert. Nach dem ersten Weltkrieg hatte man das Gebiet in ein französisches und ein englisches Mandatsgebiet aufgeteilt. Am 01. Januar 1960 entließ Frankreich Französisch-Kamerun in die Unabhängigkeit. Danach wurde das englische Mandatsgebiet 1961 nach Volksabstimmungen geteilt. Die Bewohner Britisch-Kameruns konnten sich somit zwischen dem Anschluss an das englischsprachige Nigeria und einer Autonomie innerhalb Kameruns entscheiden. Eine vollständige Unabhängigkeit stand jedoch nicht zur Wahl. Während sich die Menschen der Nordhälfte dazu entschieden, Nigeria beizutreten, verblieb der englischsprachige Teil bei Kamerun und stellt das heutige „Südkamerun“ dar. In den nächsten Jahren war Kamerun föderal organisiert, doch die zugesprochenen Autonomierechte Südkameruns wurden immer mehr durch die zentralistische französische Verfassung des Gesamtstaates abgebaut. Und eine Volksabstimmung im Jahr 1972 setzte der „föderalen Organisierung“ durch den französischen Zentralismus ein Ende. Dies wird bis heute bei den Anglofonen mit einer Annexion gleichgesetzt und abgelehnt. Der Ursprung dieses Konfliktes reicht also klar zurück in die Kolonialzeit von Frankreich und England. Der Kolonialismus hatte das Land wegen der beiden Sprachen bis heute gespalten. 2) taz.de: Kamerun auf dem Weg zum Bürgerkrieg / Altes Regime und junge „Terroristen“;05.12.2017 3) Wikipedia.org: Südkamerun; 27.10.2017
Die sich jetzt zuspitzende Krise hatte sich angekündigt und begann vor einem Jahr dementsprechend im anglophonen (englischsprachigen) Südwesten Kameruns, als Streitaktionen sich zu Protesten ausweiteten. Dort strebt die „Southern Cameroons Ambazonia Consortium United Front“, eine Unabhängigkeitsbewegung bzw. Sezessionsbewegung, einen unabhängigen englischen Staat namens „Ambazonien“ (Südkamerun) an. Die Bewegung hat für ihr Vorhaben viele Forderungen an die Regierung. So setzen sich die Anhänger dieser „Partei“ für die gleichwertige Anerkennung des englischen „Common Law“ mit dem französischsprachigen „Civil Law“ ein. In Kamerun sind die offiziellen Amtssprachen Französisch und Englisch, wobei Französisch deutlich überwiegt. 80 Prozent der Bevölkerung sprechen diese Sprache. Die Bewegung will, dass die Richter in „Ambazonien“ das englische System richtig anwenden und die englische Sprache benutzen. 4) taz.de: Aktivist über Staatsgründung in Kamerun / „Wir wollen Dialog, keine Gewalt; 13.10.2017
Außerdem setzen sich die Anhänger dafür ein, dass Gesetze in diesem Gebiet vom Französischen ins Englische übersetzt werden. Laut ihrer Auffassung führe die jetzige Situation dazu, dass die „ambazonische“ Bevölkerung keinen gesicherten Zugang zu ihren Rechten erhalte und es zu vielerlei falschen Rechtsprechungen komme, was wiederum ihren entsprechenden Plan rechtfertigt. Zudem sei es so, dass in den letzten Jahren immer mehr englischsprachige Lehrer sich ihrer Unabhängigkeitsbewegung angeschlossen hätten, da gleichzeitig vermehrt französischsprachige Lehrer in die Schulen „Ambazoniens“ geströmt sind, die aber bis heute überhaupt kein Englisch sprechen. Somit verstanden die dort lebenden Kinder gar nichts mehr und die Bildung wurde blockiert. Zuvor war es ihre Hoffnung gewesen, alle diese Probleme in einem föderalen System bzw. Kamerun zu lösen. Doch heute hat sich die Sichtweise der Anhänger verändert. Sie wollen entsprechend einen unabhängigen souveränen Staat aufbauen. Die Regierung Kameruns macht aber beim Vorhaben nicht mit, investiert gar nichts in die Pläne, und auf dem Arbeitsmarkt wird die englischsprachige Bevölkerung systematisch ausgegrenzt. Beispielsweise führt die Unabhängigkeitsbewegung auf, dass alle wichtigen Ministerposten mit französischsprachigen Ministern besetzt sind. Diese Ungerechtigkeit wolle man nun komplett beseitigen, friedlich, sagen die Unabhängigkeitskämpfer. Man kann sich mit dem Rest der Bevölkerung nicht identifizieren, so war und ist bis heute noch das Argument für eine Abkoppelung. 5) taz.de: Aktivist über Staatsgründung in Kamerun / „Wir wollen Dialog, keine Gewalt; 13.10.2017
Jedoch sieht die Regierung das Wort „friedlich“ anders. Nachdem im südwestlichen Teil von Kamerun eine Ausgangssperre infolge der von den radikalen Aktivisten symbolisch ausgerufenen Unabhängigkeit am 1. Oktober 2017 errichtet wurde, begannen die nicht so friedlichen Aktionen der Sezessionisten: Seit November wurden zehn Sicherheitskräfte getötet. Die Gewalt kommt aber von beiden Seiten: Nach den harten Worten vom kamerunischen Präsidenten und Verteidigungsminister zur Situation folgte auch das harte Durchgreifen der kamerunischen Streitkräfte. Doch schon nach den ersten Protesten und Generalstreiks vor einem Jahr hatte die Regierung das Internet monatelang komplett sperren lassen, wodurch jedoch viele wirtschaftliche Aktivitäten zusammenbrachen. Am 22. September 2017, bei einer Demonstration von über 50.000 Ambazoniens-Anhängern, erschoss die Polizei den Berichten von Amesty International zufolge an diesem Tag mindestens 17 Demonstranten. In der Unruheregion greifen die Regierungsbehörden zu immer radikaleren Mitteln. So ist der öffentliche Nahverkehr oder auch das Überschreiten der Distriktgrenzen verboten sowie eine Armeeverstärkung in die Gebiete entsandt worden, die die Bevölkerung langsam einkreist. Zusätzlich wird immer mehr davon berichtet, dass die Streitkräfte vor allem nachts in die Häuser der Bewohner eindringen, um diese zu verhaften und in Gefängnisse zu bringen. 6) taz.de: Kamerun auf dem Weg zum Bürgerkrieg / Altes Regime und junge „Terroristen“;05.12.2017
Der Führer der Oppositionellen und vor allem der im anglophonen Raum verankerten Social Democratic Front (SDF), Joshua Osih, wirft den Sicherheitskräften vor, auf unbewaffnete Demonstranten immer wieder scharf zu schießen. Vergeblich versucht die SDF die Krise im anglophonen Landesteil im Parlament von Kamerun zu thematisieren, doch die Regierung reagiert nicht. Die Recherchen der Organisation „International Crisis Group“ (ICG) ergaben, dass seit Oktober 2016, dem Ausbruch der Demonstrationen, mindestens 56 Menschen von Sicherheitskräften getötet und mehrere hundert verletzt wurden. „Wegen dieser mörderischen Repression schwellen die Ränge der Sezessionisten Tag zu Tag an“, erläutert die ICG in dem neuen Bericht. Die Regierung weist alle diese Vorwürfe zurück und zieht nur die Sezessionisten für den Tod von über 100 unschuldigen Menschen sowie den Bombenanschlägen zur Verantwortung. 7) taz.de: Kamerun auf dem Weg zum Bürgerkrieg / Altes Regime und junge „Terroristen“;05.12.2017
Die Vereinten Nationen sind wegen dieser Entwicklung zunehmend besorgt. Generalsekretär António Guterres hatte sich deshalb schon zwei Mal darüber direkt mit Präsident Biya unterhalten. Denn das Land hat schon seit mehreren Jahren an zwei Fronten mit Instabilität zu tun: gegen eindringende Warlords aus der Zentralafrikanischen Republik im Osten, die auch mit einem Bürgerkrieg zu kämpfen hat. Und im äußersten Norden gegen die dschihadistische Terrorgruppe Boko Haram, die aus Nigeria eingedrungen ist, um eine Zeitlang auf der kamerunischen Seite der Grenze einen Unterschlupf zu finden. Viele Flüchtlinge (97.400 Menschen: Stand 18.11.2017) fanden deshalb aus den zwei Staaten in Kamerun Schutz, doch jetzt droht ein weiterer Bürgerkrieg diese Menschen zu vertreiben. Dazu kommen noch die Millionen Kameruner, die zur Binnenflucht bzw. Flucht gezwungen wären. 8) taz.de: Kamerun auf dem Weg zum Bürgerkrieg / Altes Regime und junge „Terroristen“;05.12.2017
Fußnoten und Quellen:
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