Agro-Kraftstoffe: Segen oder Fluch?
Zehn Prozent Agrosprit im Tank bis 2020 – so lautet die bisherige Zielvorgabe der EU-Kommission. Fraglich ist jedoch, ob es dabei bleibt.
Agro-Treibstoffe, auch Biotreibstoffe genannt, sind flüssige oder gasförmige Kraftstoffe, die aus nachwachsenden Rohstoffen wie Weizen, Roggen, Raps und Sonnenblumen hergestellt werden. 1) Klimaretter.info: Agro-Treibstoff, Agro-Kraftstoff; Link nicht mehr abrufbar – 11.05.2018 Die Erneuerbare-Energien-Richtlinie gibt bislang ein 10-Prozent-Ziel für den Einsatz von regenerativer Energie im Verkehr vor. Bis zu 7 Prozent davon können aus Agrokraftstoffen beigesteuert werden. Vergangenen Montag entschied nun der Umweltausschuss des Europaparlaments über eine Herabsetzung der Obergrenze bis 2030 auf 3,8 Prozent und eine damit einhergehende Verringerung der staatlichen Förderung von Agrokraftstoffen – und das hat mehrere Gründe. 2) Oxfam Deutschland: CDU-Abgeordnete blockieren Fortschritte bei Agrosprit-Politik; 23.10.2017
Die EU ist nicht imstande, die nötige Menge an Rohstoffen für den Agrosprit allein zu produzieren – sie ist auf Importe angewiesen. Im Klartext heißt das: Für Biotreibstoff in PKW-Tanks muss Nahrungsmittelanbaufläche Energiepflanzen-Plantagen weichen – sie stehen in direkter Konkurrenz. Die Folgen davon sind Nahrungsmittelverknappung und Preissteigerungen bei Lebensmitteln. Die gestiegene Maisnachfrage amerikanischer Ethanolproduzenten führte im Jahr 2007 beispielsweise zu einer Verdoppelung des Maismehlpreises in Mexiko, auch als Tortillia-Krise bekannt.
800 Millionen Menschen, die ein Auto besitzen und dabei selbstverständlich satt sind, stehen mit ihrem Wunsch nach Agro-Treibstoffen 850 Millionen Menschen gegenüber, die kaum genug Geld für Nahrung besitzen. Das Getreide, das in Ethanol umgewandelt für eine einzige Tankfüllung eines PKWs benötigt wird, könnte einen Menschen ein ganzes Jahr lang ernähren. Auf diese Weise kann das Ziel der G8-Staaten, den Welthunger zu halbieren, nicht realisiert werden, da die landwirtschaftliche Fläche durch den Anbau von Energiepflanzen de facto reduziert wird. Nachdem die Weltbevölkerung immer weiter wächst, muss ein Hektar Ackerland heute ohnehin schon mehr Menschen mit Nahrung versorgen als noch vor 70 Jahren. 1950 ernährte ein Hektar 1,7 Personen, im Jahr 2050 werden bereits 7 Menschen von einem Hektar Ackerland leben müssen. 3) Umweltinstitut München e.V.: Fragen & Antworten – Agro-Kraftstoffe – Soziale/Ökonomische Aspekte; nicht mehr verfügbar
Des Weiteren führt der Anbau von Energiepflanzen zu Landkonflikten und Landvertreibungen – das hat strukturelle Gründe. Spritpflanzen müssen auf Millionen Hektar wachsen, um fossile Brennstoffe zu ersetzen. Entgegen aller Behauptungen der Industrie profitieren davon allerdings nicht die lokalen Gemeinschaften sondern die großen Konzerne. Zentralisierte Strukturen unter dem Einfluss von Agroindustrie- und Gentechnikkonzernen sind die Folge. Sie versprechen sich von dem Energiepflanzenanbau horrende Renditen. Dieses System beachtet kleinbäuerliche Strukturen in intakten ländlichen Gemeinschaften in keinster Weise und ist auch nicht an vielfältigem und nachhaltigem Anbau sowie fairem Handel interessiert. Die Folge sind Landvertreibungen und Übernahmen riesiger Flächen durch Großkonzerne. In den Ländern des globalen Südens sind vor allem Menschen in direkter Nachbarschaft der Agrosprit-Plantagen stark betroffen. Kleinbauern werden dort illegal enteignet und Bauern, die ihren Acker nicht aufgeben wollen, in manchen Fällen sogar erschossen. In Kolumbien haben Menschenrechtler beispielsweise 113 Morde an Bauern durch das Paramilitär im Auftrag von palmölproduzierenden Unternehmen dokumentiert. 4) Umweltinstitut Münche e.V.: Fragen & Antworten – Agro-Kraftstoffe – Soziale/Ökonomische Aspekte; nicht mehr verfügbar
Die zuerst sehr optimistischen Annahmen über die Nachhaltigkeit von Agro-Kraftstoffen mussten in den letzten Jahren immer weiter korrigiert werden. „Agrosprit führt in die umweltpolitische Sackgasse“, so Landwirtschaftsexperte Alexander Hissting von Greenpeace. „Er ist ineffizient, teuer und schafft keineswegs – wie behauptet – Arbeitsplätze“. 5) Greenpeace: Agrosprit – Wunschdenken und Wirklichkeit; 18.01.2008 Die Produktion von Agrokraftstoffen ist für den Hunger auf der Welt mitverantwortlich sowie für die Zerstörung von Lebensräumen und die Vertreibung von Menschen aus vielen ländlichen Regionen des globalen Südens.
Nach der Entscheidung des Umweltausschusses befasst sich nun am 28. November der Industrieausschuss des Europaparlaments mit der Überarbeitung der Erneuerbare-Energien-Richtlinie. 6) Oxfam Deutschland: CDU-Abgeordnete blockieren Fortschritte bei Agrosprit-Politik; 23.10.2017
Fußnoten und Quellen:
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