Proteste in Marokko: Die Berber-Region begehrt auf
Im Norden Marokkos kommt es seit letztem November immer wieder zu Protesten gegen die Sozialpolitik des marokkanischen Königshauses. Die Region rund um die Küstenstadt Al-Hoceima, in der überwiegend Berber, die Urbevölkerung Marokkos, leben, leidet seit Jahren unter Arbeitslosigkeit, Korruption und struktureller Benachteiligung durch die Regierung. Sie hatte sich in den vergangenen Jahrzehnten schon mehrfach gegen die Herrschenden erhoben, doch die Berberaufstände von 1958 und 1984 waren gewaltsam unterdrückt worden und bis heute wird die Region mit Vernachlässigung gestraft. Auch durch die offizielle Arabisierungspolitik des Königreichs fühlen sich Berber bis heute diskriminiert, vor allem die Frauen der Volksgruppe. Doch in Europa und der westlichen Welt bleiben die größten Unruhen seit dem arabischen Frühling weitgehend unbeachtet.
Angefangen hatten die erneuten Proteste durch den Tod des Fischhändlers Mouhcine Fikri im Oktober vergangenen Jahres. Nachdem Polizisten Fikris Tagesfang beschlagnahmt und in einen Müllwagen geworfen hatten, da sie die Ware als illegal ansahen, sprang der verzweifelte Händler hinterher, um seine Lebensgrundlage zu retten. Doch der Mann wird von der Presse des Müllwagens zerquetscht. Durch ein Video des schrecklichen Vorfalls, das durch die sozialen Medien in ganz Marokko verbreitet wurde, wurde Mouhcine Fikri zum Symbol einer neuen Protestwelle, die für die soziale Gerechtigkeit in der Berber-Region kämpft. 1) TAZ: Tod eines Fischhändlers in Marokko-Vom System zerquetscht; 11.11.16 2)alsharq.de:Proteste in Marokko: „Der König spricht lieber mit Le Président“; nicht mehr verfügbar
Nach dem grausamen Tod Fikris begannen in der Region Massenproteste, die bis heute anhalten. Der inoffizielle Anführer der Bewegung ist der Gelegenheitsarbeiter Nasser Zefzafi, der öffentliche Kritik am Königshaus und der Regionalverwaltung der Berber-Region verübte. Am 29 Mai dieses Jahres wurde Zafzati schließlich verhaftet, nachdem er in einer Moschee den Imam bei seiner Predigt unterbrochen hatte und fragte, ob die Moschee „Gott oder den Mächtigen“ gehöre. Durch die Festnahme des Protestführers gingen abermals Massen unter dem Motto „Wir sind alle Zefzafi“ auf die Straßen und es kam zudem zu Ausschreitungen. Die Proteste wurden durch die Polizei rigide niedergeschlagen und viele Führungspersonen der Bewegung wurden verhaftet.
In Marokko wird das Aufbegehren des Volkes vom Machtapparat als Bedrohung empfunden und deswegen versucht die Regierung so gut wie möglich, die Situation im Norden des Landes zu verschleiern. Beispielsweise wollten deutsche Reporter des „Weltspiegels“ einen Beitrag zu den Protesten in der Stadt Al-Hoceima drehen, doch dies wurde ihnen untersagt. Auch auf eine Anfrage einer Stellungnahme der zuständigen Behörden bekamen die ARD-Reporter keine Antwort. Stattdessen wurden die Journalisten ständig von Sicherheitskräften kontrolliert und verfolgt und mussten die Stadt ohne brauchbares Material verlassen. Zudem werden störende Bürger von Seiten der Staatsmacht häufig beschuldigt, die marokkanische Monarchie stürzen zu wollen, obwohl die Berber bisher nur für Gleichberechtigung und eine menschenwürdige Lebensgrundlage einstanden. Viele werden verhaftet. Anschließend werde bei Gericht laut marokkanischen Juristen klar gegen internationales Recht verstoßen, indem zum Beispiel bei der Beweisaufnahme schon geringste Indizien zu einer Verurteilung führen. Meinungs- und Pressefreiheit werden in Marokko also nicht zwingend eingehalten. Aufgrund der Unterdrückung der Berber in Marokko sehen sich viele Menschen dazu gezwungen, das Land letztendlich zu verlassen, um aus der Perspektivlosigkeit ihrer Heimat zu entkommen. Letztes Jahr waren es rund 11.700 Marokkaner und vor allem junge Menschen fliehen Richtung Europa, was auch der hohen Jugendarbeitslosigkeit geschuldet ist, die bei rund 20 Prozent liegt. 3) Deutschlandrundfunk:Keimt ein zweiter arabischer Frühling?; 03.06.17 4) Der Tagesspiegel: Die Rebellion der Berber; 05.06.17 5) TAZ: Proteste in Marokkos Berberregion-Über Nacht zum Helden; 28.05.17
Laut dem Auswärtigen Amt der Bundesrepublik Deutschland sind die diplomatischen Kontakte zu Marokko traditionell eng, freundschaftlich und spannungsfrei. Delegationen aus Deutschland bereisen das Land regelmäßig, und das auch aufgrund der „Erklärung von Rabat“, ein Dokument, das „einen verstärkten Dialog in den Bereichen demokratische Entwicklung, Rechtsstaat, Zivilgesellschaft und Menschenrechte vorsieht“. Doch wieso schreitet die Bundesregierung dann nicht in den Berber-Konflikt ein, indem von Staatsseite eindeutig gegen die angesprochenen Punkte verstoßen wird? Die Antwort: Marokko stellt für die Bundesregierung und ganz Europa einen immens wichtigen Partner bei der Migrationsfrage und dem Kampf gegen den Terror da. Aufgrund der Nähe zu Spanien ist die Route über Marokko beliebt bei Flüchtlingen. Damit diese Migranten die spanische Küste erst gar nicht erreichen, bekommt die marokkanische Regierung viele Millionen Euro aus der Europäischen Union. Man kooperiert also mit einem Land, das selbst tausende Flüchtlinge pro Jahr hervorbringt und unterstützt dieses Regime zudem mit hohen finanziellen Mitteln. So schüren die Staaten der EU und damit auch Deutschland die Fluchtursachen marokkanischer Migranten.
Ein Regime das nicht auf die Klagen und Sorgen seiner Bürger hört, kann wohl nur durch internationalen Druck und Repressionen beeindruckt und zum Handeln gezwungen werden. Und sollte sich die Ausweglosigkeit der Menschen im Norden Marokkos nicht wandeln, so werden in den nächsten Jahren weitere zahllose Menschen ihre Heimat Richtung Europa verlassen müssen. 6) Auswärtiges Amt: Beziehungen zu Deutschland; Stand vom 19.09.17 7)ARD Weltspiegel: Wut auf den König; 17.09.17 8) Deutschlandrundfunk:Marokko und die Flüchtlingskrise Spaniens Grenzwächter; 14.04.16
Fußnoten und Quellen:
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