Kurdistan-Referendum: Bekommt das größte heimatlose Volk der Welt endlich seinen eigenen Staat?
Am Montag den 25. September haben die Kurden im Irak über ihre Unabhängigkeitspläne abgestimmt. Noch vor der offiziellen Bekanntgabe des Ergebnisses hat der Präsident der irakischen Kurden Massud Barzani die Zustimmung zur Unabhängigkeit verkündet. In einer Fernsehansprache rief er die irakische Führung zum Dialog auf und forderte von der Zentralregierung in Bagdad und den Nachbarländern, den Willen des kurdischen Volkes zu respektieren. Doch schon jetzt macht der irakische Ministerpräsident Haidar al-Abadi klar, dass das Ergebnis des Referendums nicht einfach anerkannt wird und auch die Türkei und der Iran ließen verlauten, dass sie das Referendum nicht akzeptieren. Doch wieso wollen die Kurden überhaupt ihren eigenen Staat und wie stehen letztendlich ihre Erfolgschancen? Eine Geschichte von Verrat und Unterdrückung am weltweit größten Volk ohne eigenen Staat, das schon so oft als Spielball der Mächte missbraucht wurde. 1) Tagesschau:Iraks Kurden stimmen ab ; Artikel vom 23.09.17 2) Süddeutsche Zeitung: Kurden-Präsident Barsani erklärt Sieg bei Unabhängigkeitsreferendum; nicht mehr verfügbar
Im 7. Jahrhundert wurden erstmals Angehörige von Stämmen in den Bergen des türkisch-irakisch-iranischen Grenzgebietes als Kurden bezeichnet, die sich in das Osmanische Großreich eingliederten. Als das Osmanische Reich nach dem ersten Weltkrieg zerfiel, sah der sogenannte Vertrag von Sèvres eine Autonomie der Kurden vor und auch ein eigenes Staatsgebiet wurde ihnen in Aussicht gestellt. Doch der Vertrag wurde nie umgesetzt und das kurdische Volk wurde von den britischen und französischen Kolonialmächten durch fragwürdige und willkürliche Grenzziehungen gespalten. So wurden die Kurden auf vier Länder verteilt, und zwar auf Syrien, die Türkei, den Iran und den Irak. In diesen Staaten leben heute 30 bis 40 Millionen Kurden als Minderheit, die seitdem mehr oder weniger unterdrückt und oftmals als Bürger zweiter Klasse behandelt werden. So legten Frankreich und Großbritannien den Grundstein für die Unterdrückung des kurdischen Volkes. Doch die Kurden konnten sich trotz allem ihre Identität bis heute bewahren. Deswegen kämpfen sie seit Jahrzehnten um Anerkennung, Autonomie und schließlich auch um Unabhängigkeit. 3) N24: Der kurdische Traum vom eigenen Staat; Artikel vom 10.01.13 4) Wikipedia: Vertrag von Sèvres (Osmanisches Reich); Stand vom 27.09.17
Ein Beispiel für die zahlreichen Schläge gegen die Kurden ist die Vertreibung der Einwohner des historischen Viertels Sur in der Kurdenmetropole Diyarbakir in der Türkei. Seit Juli 2015 kämpft dort das Militär gegen die PKK, eine kurdische, sozialistisch ausgerichtete und militante Untergrundorganisation. In Sur mussten laut Amnesty International damals 24.000 Menschen ihre Häuser aufgeben und das Viertel verlassen. Schuld seien Ausgangssperren, die die Behörden immer wieder verhängten. Lebensmittel- und Wasserknappheit waren die Folgen und wegen der anhaltenden Kämpfe fürchteten viele Anwohner um ihr Leben. Die Pausen zwischen den Ausgangssperren wurden daher von vielen kurdischen Zivilisten genutzt, um aus ihrer Heimat zu flüchten. Ein weiteres entsetzliches Beispiel für die Unrechtbehandlung der Kurden war die Operation „Anfal“ des ehemaligen irakischen Präsidenten Saddam Hussein, im Zuge derer von 1986 bis 1989 ein Völkermord an Kurden verübt wurde. Hunderte kurdische Dörfer wurden bombardiert und die restlichen Überlebenden wurden in die Wüste getrieben. Die Opferzahlen belaufen sich auf bis zu 180.000 Tote. Der traurige Höhepunkt dieser Grausamkeiten war 1988 der Giftgasanschlag auf die Stadt Halabdscha. 5000 Menschen erstickten qualvoll, darunter viele Frauen und Kinder. Bei der schwersten Giftgasattacke seit dem 2. Weltkrieg kam das tödliche Gift nicht etwa vom damaligen Erzfeind des Iraks, dem Iran, sondern vom eigenen Präsidenten, der an den Kurden mit der grausamen Attacke ein Exempel statuieren wollte. 5) Zeit Online: Amnesty wirft Türkei Vertreibungen vor; Artikel vom 06.12.16 6) Spiegel: Irakischer Giftgasangriff; Artikel vom 15.03.13 7) Amnesty International: Hundertausend Kurden im Südosten der Türkei vertrieben; Stand vom 06.12.16
Doch trotz allem konnten vor allem die irakischen Kurden die Autonomiebestrebungen so vorantreiben, dass schlussendlich ein Referendum über die Unabhängigkeit erreicht werden konnte. Im Norden des Landes liegt die Autonome Region Kurdistan, die im Jahre 1970 entstand. Die Region mit ihrer Hauptstadt Erbil hat eine eigene Regierung und ein eigenes Parlament, doch gilt sie auch als eine Verwaltungseinheit der irakischen Zentralregierung. Grund für die Autonomieerfolge sind wichtige Erdölvorkommen und Förderanlagen in ihrem Einflussbereich. Diese befördern die wirtschaftliche Unabhängigkeit und bilden zudem auch ein gewisses politisches Erpressungspotenzial gegenüber der Regierung in Bagdad. Seit dem Sturz Saddam Husseins 2003 wurde das Verhältnis zwischen Bagdad und der Kurdenregierung in Erbil stetig besser. Aber der Streit um die Erdölvorkommen in der Kurdenregion wurde bis heute nicht ganz gelöst. 2014 überfielen IS-Terroristen die Kurden im Nordirak und die irakische Armee ließ die Kurden im Stich. Die Spannungen wuchsen wieder und das Verlangen nach einem eigenen Staat verstärkte sich dadurch abermals.
Die Umsetzung der Unabhängigkeit ist allerdings eher unrealistisch. Die irakische Regierung verurteilt das Kurdenreferendum und auch ein Bürgerkrieg ist, vor allem wegen der Erdölvorkommen, bei einer Abspaltung durchaus wahrscheinlich. Die Türkei hielt als Antwort auf die Abstimmung Militärmanöver an der irakischen Grenze ab und der Iran tat es ihr gleich. Sie befürchten nämlich, dass die Autonomiebestrebungen der irakischen Kurden auf die iranischen und türkischen Kurden ermutigend wirken. Und auch eigentliche Befürworter der Kurden wie die USA und Deutschland hatten sich aufgrund eines möglichen Bürgerkriegs gegen das Referendum ausgesprochen. Sie unterstützen die Kurden normalerweise, weil diese wichtige Partner im Kampf gegen den sogenannten Islamischen Staat bilden und schon viele militärische Erfolge gegen den IS feiern konnte. Im Nordirak sind auch deutsche Soldaten stationiert, die kurdische Peschmerga für den Kampf gegen den Terror ausbilden. Folglich wären auch deutsche Waffen in einen möglichen Bürgerkrieg verwickelt. 8) Tagesschau:Iraks Kurden stimmen ab ; Artikel vom 23.09.17
Die fatalen Folgen der willkürlichen Grenzziehungen für die Kurden waren die letzten 100 Jahre für alle Welt immer wieder deutlich sichtbar. Unterdrückung, Verfolgung und der IS-Terror zwangen schon viele von ihnen dazu ihre Heimat zu verlassen. 2016 waren beispielsweise von 2279 Türken, die von Januar bis Juli Asyl beantragten, 2002 Menschen kurdischer Herkunft. Das macht 90 Prozent aller türkischen Asylanträge. Schon 2015 waren die Kurden bei den türkischen Asylbewerbern die überwältigende Mehrheit. 9) Der Tagesspiegel: Auffallend viele kurdische Flüchtlinge; Artikel vom 23.08.16
Fußnoten und Quellen:
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