Die Mitschuld des Westens an der globalen Flüchtlingskrise
Der neue Bericht des UNHCR offenbart schreckliches über den Zustand unserer Welt. Nach diesem sind 65,6 Millionen Menschen aus ihrer Heimat vertrieben- so viele wie noch niemals zuvor. Jeden Tag kommen weitere dazu. Diese Entwicklung ist ein eindrucksvoller Beleg dafür, dass die aktuelle Politik die Krisen auf der Welt nicht lösen kann. Der Hauptgrund, der die meisten der Vertriebenen dazu zwingt ihre Heimat zu verlassen, sind Konflikte. Der UN-Flüchtlingskommissar Felipe Grandi sagt in einem Interview zu diesen Daten: „Wir leben wirklich in einer Welt, in der es unmöglich geworden ist, Frieden zu schaffen“. Die Situation könnte nach dieser Einschätzung noch schlimmer werden. Von den insgesamt mehr als 65 Millionen Flüchtlingen sind 22,5 Millionen aus ihrem Heimatland geflohen, 40,3 Millionen sind Binnenflüchtlinge und suchen Schutz innerhalb ihres Heimatlandes, weitere 2,8 Millionen sind Asylsuchende. Die Vereinten Nationen gehen davon aus, dass etwas mehr als die Hälfte der Vertriebenen minderjährig sind. Sie sind während der Flucht besonders wehrlos und brauchen mehr Schutz. Über die Hälfte aller Flüchtlinge kommen aus drei Ländern: Syrien, Afghanistan und dem Südsudan. 1) Tagesschau: Flüchtlingszahl auf Höchststand; Artikel nicht mehr verfügbar
Besonders prekär ist die Lage im Südsudan. Der vorherrschende Konflikt lässt die Flüchtlingszahlen rasant ansteigen. Mehr als 1,9 Millionen fliehen vor dem schrecklichen Bürgerkrieg in ihrem Land. Allein mehr als 900.000 sind in das im Süden angrenzende Uganda geflüchtet. Fast 400.000 fliehen in den Norden, in den Sudan. Die aktuelle Flüchtlingskrise resultiert aus einem seit 2013 anhaltenden Bürgerkrieg. 2011 hat der Südsudan mit einer überwältigenden Mehrheit von 98 Prozent bei einem Referendum für seine Unabhängigkeit vom Norden des Landes gestimmt. Der Ausgang dieses Votums wurde damals in der ganzen Welt gefeiert. Seitdem ist dem Land keine positive Entwicklung widerfahren. Marodierende Milizen drangsalieren die Bevölkerung aufs Übelste. Geflüchtete berichten von Gräueltaten gegen Nichtkombattanten und der Rekrutierung von Kindern. Das Land hat seit der Sezession keine Gelegenheit, Strukturen aufzubauen, die eine Versorgung oder überhaupt das Regieren möglich machen. Die Regierung kämpft gegen die bewaffnete Opposition um die Macht im Land. Der Kampf entzündete sich an einer alten Konfliktlinie – der ethnischen Zugehörigkeit. Die beiden größten Volksgruppen des Landes, Dinka und Nuer, stehen sich in diesem blutigen Konflikt gegenüber: Auf der einen Seite der Staatspräsident Salva Kiir, ein Dinka, und Riek Machar, ein Nuer auf der anderen Seite. Alle Rebellengruppen stehen unter Waffen. Das liegt daran, dass die USA vor 2011 den Süden des Landes im Krieg gegen den Norden unterstützt haben. Offiziell wollte das Weiße Haus im Süden lebende Christen schützen. Viele gehen davon aus, dass der erhebliche Ölreichtum des Südens auch eine Rolle spielte. Die Waffen des Westens sorgen dafür, dass der Konflikt mit solcher Brutalität geführt werden kann. Die vielen Flüchtlinge haben keine andere Wahl, als die Flucht vor marodierenden Milizen und der brutalen Regierung. 2) UNHCR: South Sudan; Stand vom 19.06.17 3) Welt: Wer kämpft im Südsudan eigentlich gegen wen?; Artikel vom 19.01.14 4) CIA: South Sudan; Stand vom 19.06.17
Die prominenteste aller Flüchtlingskrisen ist Syrien. Nach den Zahlen des UNHCR sind über fünf Millionen Syrer auf der Flucht. Knapp drei Millionen davon sind in die Türkei geflohen und über eine Million nach Jordanien- zwei direkte Nachbarn der arabischen Republik. Der Streit in Syrien hat seinen Anfang im Arabischen Frühling. Im Jahr 2011 beginnen Proteste gegen den amtierenden Machthaber Syriens Baschar al-Assad. Der reagiert zunächst mit der Aufhebung von geltenden Notstandsgesetzen und lässt weitere Parteien zu. Die Demonstranten wollen seinen Rücktritt. Der Konflikt zwischen der schiitischen Bevölkerungsminderheit, die sich hinter Assad versammelt, und der sunnitischen Mehrheit in dem Land verschärft sich zusehends. Im Zuge des Konflikts organisieren sich Rebellengruppen anhand ihrer religiösen Strömungen. Im Norden übernehmen kurdische Milizen die Kontrolle und alawitische und schiitische Milizen stützen Assad. Die Fronten erhärten sich zunehmend und es gründen sich neue Gegner Assads, wie die Al-Nusra-Front, die auch Christen aufgrund ihrer Religionszugehörigkeit tötet. Bei internen Streitigkeiten 2013 auf der Seite der Kämpfer kommt es zu einer Spaltung. Die Al-Nusra-Front und der Islamische Staat im Irak und Levante (ISI/ISIL) teilen sich auf. Letztere Gruppe kämpft mit großem Erfolg gegen Assads Militär und begeht Massaker an Alawiten und Christen. Spätestens jetzt ist aus dem Konflikt ein Bürgerkrieg geworden. Im Sicherheitsrat der UNO schafft es die internationale Gemeinschaft nicht, sich über ein gemeinsames Vorgehen einig zu werden. Politische Seilschaften und außenpolitische Interessen machen die Situation in Syrien komplex. Die Bevölkerung flieht aus ihrer Heimat, weil es keine Sicherheit gibt. Die Regierung wird beschuldigt, Chemiewaffen einzusetzen, der Westen sieht ohnmächtig zu. Russland wird beschuldigt, dass Assad-Regime zu unterstützen. Saudi-Arabien wird vorgeworfen, den sogenannten Islamischen Staat finanziell unter die Arme zu greifen und der Türkei unterstellt man, eher ein Interesse daran zu haben, gegen die kurdischen Milizen vorzugehen. In all diesen Machtkalkülen scheint keiner an die Millionen Flüchtlinge zu denken, die zu großen Teilen vor dem Terror des Islamischen Staats und der eigenen Regierung nach Europa fliehen. 5) Süddeutsche Zeitung: Der syrische Bürgerkrieg im Überblick; Artikel vom 07.04.17 6) UNHCR: Syria Regional Refugee Response; Stand vom 19.06.17
Am Krieg in Afghanistan ist auch Deutschland direkt beteiligt. Seit 2001 kämpfen deutsche Soldaten, teils unter Einsatz ihres eigenen Lebens, darum, die Sicherheit Deutschlands am Hindukusch zu verteidigen. In der aktuellen Diskussion ist es höchst umstritten, ob Afghanistan ein sicheres Herkunftsland ist. Der Krieg im Land ist der erste NATO-Bündnisfall seit Bestehen des Militärallianz. Begründet wurde dieser mit dem Angriff Al-Qaidas auf das World Trade Center am elften September 2001. Die Sicherheitslage in dem Land ist desaströs. Die NATO und ihre Partner haben es nicht geschafft, die Ordnungskräfte des Landes so weit zu bringen, dass sie das Land sichern können. Immer noch liefert man sich mit den Taliban schwere Gefechte um Gebiete. In den letzten Wochen kam es wiederholt zu verheerenden Anschlägen und Attentaten gegen ausländische Militärs und die eigene Bevölkerung. Deutsche Entwicklungshelfer wurden ausgeflogen. Die Politik muss die Frage beantworten: Kann ein Land, in dem externe Militärmächte für Sicherheit sorgen müssen, ein sicheres Herkunftsland sein? Im Fall Afghanistans hat sich der Westen an dem Land versündigt. Die NATO hat staatliche Strukturen zerstört und es versäumt, nachhaltig für Sicherheit zu sorgen. Dies hat dazu geführt, dass die Taliban immer noch die Kraft haben, Macht auszuüben. 7) Spiegel Online:Viele Tote bei Bombenanschlag in Kabul; Artikel vom 03.06.17 8) Wikipedia: Krieg in Afghanistan; Stand vom 19.06.17
In allen drei beschriebenen Fällen scheint eine Lösung in näherer Zukunft unwahrscheinlich. Die Konflikte wurden entweder durch Eingreifen fremder Mächte entfacht oder verschlimmert. Die Zahlen von Flüchtlingen gehen weiter in die Höhe und die Industrienationen tragen eine Mitschuld an den Konflikten der Gegenwart und damit eine Verantwortung gegenüber den Geflüchteten.
Fußnoten und Quellen:
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