Vom Irakkrieg zum „Islamischen Staat“ – Westliche Interventionen und ihre Folgen
„Ich werde an deiner Seite sein, komme, was wolle.“ – waren Tony Blairs Worte an Ex-US-Präsident George W. Bush, die Geschichte machen, die Krieg und eine destabilisierte Region zur Folge haben sollten. Sie entstammen dem kürzlich veröffentlichten Chilcot-Untersuchungsbericht zur Rolle Großbritanniens im Irakkrieg. Sie zeigen die blinde Kompromisslosigkeit mit der der Ex-Premierminister bereit war, die USA beim Sturz des Saddam-Regimes zu unterstützen.
Der Bericht spricht nicht direkt von Lügen durch Blair, doch offenbart er, wie vorschnell ein Krieg beschlossen wurde, bevor diplomatische Lösungen ausgeschöpft waren. Er zeigt, wie Vorwürfe über Massenvernichtungswaffen unbesehen geglaubt wurden, wie in einen Krieg gezogen wurde, ohne, dass es eine realistische Vision für einen Irak nach dem Regime gab. Im Juni 2003, erst drei Monate nach Beginn der Invasion, schienen Blair Zweifel an seiner Entscheidung zu kommen. „Die Aufgabe ist absolut überwältigend, und ich bin überhaupt nicht sicher, ob wir dafür aufgestellt sind.“, schrieb er sorgenvoll an Bush. Es waren Bedenken, die sich bewahrheiten sollten.1)Tony Blair: Liebesbriefe an Bush im Irakkrieg; Artikel vom 06.07.2016 Die Koalition entschied den Krieg zwar für sich und Saddam Hussein wurde gestürzt. Doch das war alles, was sie gewann. „Die Welt war und ist, meiner Meinung nach, eine bessere ohne Saddam Hussein“, verteidigte Blair seine damalige Entscheidung.2)Chilcot report delivers damning verdict on British role in Iraq War; Artikel vom 07.07.2016 Und auch, wenn manch einer dieser Aussage zustimmen würde, im Nahen Osten waren die Folgen seines Sturzes verheerend. Aus heutiger Sicht war die Intervention im Irak der Beginn einer Destabilisierung der gesamten Region. Doch noch immer ist es Mode unter unseren Regierungschefs, dem „radikalen Islamismus“ die Schuld an der bestehenden Instabilität zu geben, anstatt ihn als eine Ausgeburt verfehlter westlicher Nahostpolitik zu erkennen. Mit dem Vertrag von Sèvre, dem Sykes-Picot Abkommen und besonders der Balfour-Deklaration als traurige frühe Vorboten, stellt der Irakkrieg nur einen weiteren aggressiven Eingriff in die Region dar. Eine weitere Intervention, die jedoch im Gegensatz zu ihren Vorgängern ein Machtvakuum hinterließ: einen schwachen irakischen Staat.
Der „Islamische Staat“ ist eine direkte Folge des Irakkrieges
Bereits Blair schien damals die Gefahr zu ahnen. Die ganze Region könne auseinanderfallen, wenn der Irak zerbreche, schrieb er dem damaligen US-Präsident Bush in einem weiteren veröffentlichten Brief.3)Tony Blair: Liebesbriefe an Bush im Irakkrieg; Artikel vom 06.07.2016 Eine, wie sich zeigte, richtige Einschätzung, auf die jedoch keine entsprechenden Konsequenzen folgten. „ISIL ist ein direkter Auswuchs Al-Quaedas im Irak, die eine direkte Folge unserer Invasion waren. Dies ist ein Beispiel für ungewollte Konsequenzen“, kommentierte auch der aktuelle US-Präsident Barack Obama die Entwicklung in einem Interview mit VICE-News im letzten Jahr. 4) VICE: President Obama Speaks with VICE News; Stand: 17.03.2015; nicht mehr verfügbar Besonders kritisiert werden muss in diesem Zusammenhang die Unfähigkeit nach der Intervention, ein stabiles politisches System zu etablieren.
Der IS ist auch eine direkte Folge aus der Ausschließung der Sunniten von der Macht in Bagdad.5)An der Wurzel des IS-Dschihadismus; Artikel vom 04.12.2015 „Es gäbe keinen ISIS, wenn wir nicht in den Irak einmarschiert wären“, fasst Lt. David Kilcullen, ein ehemaliger Militärberater der Ex-Verteidigungsministerin Condoleezza Rice, zusammen.6)Former US military advisor David Kilcullen says there would be no Isis without Iraq invasion; Artikel vom 04.03.2016 Der Irakkrieg und die mangelnde politische Befriedung während der Besatzung des Landes stellten also den Anfang einer destabilisierenden Nahostpolitik seit 2003 dar, die schwache und zerfallene Staaten in der Region hinterließen. Die Führungsriege des „Islamischen Staates“ stellte in den US-Gefängnissen im Irak gar erste Kontakte her und setzt sich unter anderem aus ehemaligen Saddam Offizieren zusammen.7)Ex-Offiziere von Saddam Hussein haben das Sagen; Artikel vom 28.08.2014 Doch nicht nur im Irak, auch durch die verfehlte Machtpolitik in Syrien und Libyen in Folge des „Arabischen Frühlings“ sei der IS gestärkt worden, beschreibt Kilcullen weiter.8)Former US military advisor David Kilcullen says there would be no Isis without Iraq invasion; Artikel vom 04.03.2016 So bildete die agressive britische und amerikanische Nahostpolitik den Nährboden für den IS und eine weitere Ausbreitung Al-Quaedas in der gesamten Region.
Die „Flüchtlingskrise“: auch das Erbe einer verfehlten Nahostpolitik
Die heutige humanitäre und politische Krise Europas ist also nicht zuletzt auf die vorschnellen und kurzsichtigen Entscheidungen Präsident Bushs und Premierminister Blairs zurückzuführen. „Es war das, woran ich glaubte, und ich glaube das immer noch“, sagte Blair kürzlich zum Krieg im Irak. Doch wenn im Jahre 2014, elf Jahre nach Beginn der Invasion, noch immer 2,3 Millionen Iraker auf der Flucht waren, klingt diese Aussage wie Hohn für die Menschen, die ihre Heimat und Sicherheit verloren.9)Landesprofil Afghanistan UNdata; Stand: 07.07.2016 Chilcots Untersuchungsbericht ist ein wichtiger Schritt, die Fehler der damaligen Politik aufzuarbeiten. Doch es braucht mehr als das: eine Revision der gesamten westlichen Nahostpolitik. Denn eine wirkliche Lösung für die sogenannte „Flüchtlingskrise“ kann es nur mit einem stabilen Frieden im Nahen Osten geben.
Fußnoten und Quellen:
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