Ist ein voller Tank mehr Wert als ein voller Bauch? – Landgrabbing in Sierra Leone
„Wie kann man ein Projekt finanzieren, bei dem Menschen ihr Land für Nahrungsmittelanbau weggenommen wird, um am Ende europäische Tanks zu füllen?“, fragt Abass Kamara, Protagonist der gestrigen Panorama Sendung des NDR. In der Reportage „Herr Abass und das geklaute Land“ berichtete der Menschenrechtsaktivist der Organisation SILONORF vom Landgrabbing in Sierra Leone.1)NDR: Panorama – Die Reporter „Herr Abass und das geklaute Land; Stand: 07.06.2016 Speziell bezog er sich auf das Makeni-Projekt von Addax Bioenergy.2)Brot für alle: Land Grabbing; nicht mehr vergügbar Es sollte sich dabei um ein Vorzeigeprojekt handeln. Ziel war es, ein nachhaltiges Projekt aufzuziehen, ein Vorbild für Investments in Afrika, erklärte Addax. Mittlerweile gilt das Projekt als gescheitert: Die Firma verhandelt die Übernahme, lokale Mitarbeiter haben ihre Anstellung verloren und viele Anwohner sind in ihrer Existenz bedroht. „Wir waren arm, doch jetzt sind wir noch ärmer. Es gibt sogar Hunger in unseren Gemeinden“, resümiert eine der Einheimischen.3)SRF: Addax Bioenergy: Schweizer Bioprojekt in Schieflage; 21.03.2016
Armut und Korruption hemmen die Entwicklung des Landes
Von 1991-2002 herrschte in Sierra Leone ein blutiger Bürgerkrieg, der nicht nur zahlreiche Tote hinterließ, sondern auch jeglichen Besitz und jegliche Infrastruktur zerstörte. Ein Großteil der Bevölkerung wurde zu Binnenflüchtlingen und besonders gut ausgebildete Kräfte verließen die Heimat vollständig. Von dieser Krise konnte sich das Land nur langsam erholen und so zählt es weiterhin zu den am geringsten entwickelten Ländern weltweit. Mehr als die Hälfte seiner Bewohner leben mit weniger als 1,25 Dollar täglich (Stand 2010). Aber nicht nur Armut, sondern auch die politische Situation hemmt die Entwicklung des Landes. Zwar konnten bisher einige demokratische Wahlen abgehalten werden, jedoch wird das Land nach wie vor von Korruption beherrscht. Auch schwache Infrastruktur, schlecht ausgebildetes Personal und geringe Löhne blockieren den öffentlichen Sektor. Es gelang deshalb bisher nicht, die zahlreichen natürlichen Ressourcen des Landes auszuschöpfen und davon zu profitieren.4)Stockholm Environment Institute: Agricultural investment and rural transformation: a case study of the Makeni bioenergy project in Sierra Leone; Stand: 08.06.2016 Um wirtschaftliches Wachstum zu initiieren, startete Präsident Koroma 2008 einen Aufruf, um ausländische Investoren anzuziehen.5)The Sierra Leone Telegraph: Addax Bioenergy operations in Sierra Leone is in serious financial trouble; 06.07.2015
Das Projekt beginnt vielversprechend
Mit 455 Millionen Euro ist das Makeni-Projekt die größte landwirtschaftliche Investition, die je in Sierra Leone getätigt wurde.6)Stockholm Environment Institute: Agricultural investment and rural transformation: a case study of the Makeni bioenergy project in Sierra Leone; Stand: 08.06.2016 Alles begann 2009 als der Schweizer Konzern Addax Bioenergy 56.000 Hektar Land in Sierra Leone pachtete, um Zuckerrohr anzubauen und Bioethanol für den europäischen Markt herzustellen.7)Deutscher Bundestag: Drucksache 18/8537; 20.05.2016 Dabei sicherte er sich die finanzielle Unterstützung von acht Entwicklungsbanken, darunter die Deutsche Investitions- und Entwicklungsgesellschaft (DEG), die etwa die Hälfte, also ca. 200 Mio. Euro beisteuerten. 8)Brot für alle: Land Grabbing; nicht mehr verfügbar Es sollte ein nachhaltiges, vorbildliches Projekt werden, das die Entwicklung in Sierra Leone fördert und Mitbestimmung und Umweltstandards großschreibt. Der Konzern versprach der Landbevölkerung verbesserte Infrastruktur, Schulen und Arbeitsplätze. 9)NDR: Panorama – Die Reporter „Herr Abass und das geklaute Land; Stand: 07.06.2016 Was so vielversprechend begann, entwickelte sich allerdings zu einer Enttäuschung.
Nichts als leere Versprechungen – die Kosten tragen die Einheimischen
Zwar wurde Addax Bioenergy in kurzer Zeit tatsächlich zu einem der Hauptarbeitgeber in der Region mit mehr als 3 455 Angestellten. Von diesen waren allerdings nur 46 Prozent festangestellt, der Rest als Saisonarbeiter, in einem unsicheren Arbeitsverhältnis. 10)Stockholm Environment Institute: Agricultural investment and rural transformation: a case study of the Makeni bioenergy project in Sierra Leone; Stand: 08.06.2016Auch handelte es sich oftmals nicht um existenzsichernde Löhne, die die Ausgaben einer ländlichen Familie decken konnten. Addax unterbot teilweise sogar die eh schon geringen Mindestlöhne im öffentlichen Sektor Sierra Leones.11)Deutscher Bundestag: Drucksache 18/8537; 20.05.2016
Auch die Pachtverträge, die Addax mit den regionalen Oberhäuptern aushandelte, sind fragwürdig. 52 Dörfer und mehr als 13 000 Kleinbauern in der Provinz Northern in Sierra Leone sind vom Zuckerrohrabbau durch Addax Bioenergy betroffen.12)Brot für alle: Land Grabbing; nicht mehr verfügbar „Wir haben kaum verstanden, was in den Verträgen von Addax stand, die waren auf Englisch“, erzählt Dorfsprecher Joseph Sankoh. 13)NDR: Panorama – Die Reporter „Herr Abass und das geklaute Land; Stand: 07.06.2016 Das Land, das bis dato von Kleinbauernfamilien genutzt worden war, wurde auf 50 Jahre an den Konzern verpachtet. Gezahlt wurde den Landbesitzern ein Pachtzins von etwa 7,90 bis 12 Dollar pro Jahr, was selbst für Sierra Leone äußerst gering ist. Zusätzlich trafen Addax Bioenergy und der Staat ein Abkommen, das dem Unternehmen weitreichende Steuererlasse einräumte.14)Brot für alle: Land Grabbing; nicht mehr verfügbar
Die Versprechungen bezüglich der Elektrizitätserzeugung konnten ebenfalls nicht eingehalten werden. Geplant war, dass das Unternehmen aus der Biomasse, die bei der Verarbeitung des Zuckerrohrs entsteht, Elektrizität generieren und so über 20 Prozent des Landesbedarfs decken würde. Dem Wirtschaftsmagazin Eco zufolge hat der Konzern nicht nur viel zu wenig Strom produziert, sondern zu manchen Zeitpunkten sogar noch zusätzlich Strom aus dem nationalen Netz bezogen, das die sowieso schon unterversorgte Hauptstadt Freetown beliefert.15)SRF: Addax Bioenergy: Schweizer Bioprojekt in Schieflage; 21.03.2016
Die Bevölkerung hat vor allem ihre Unabhängigkeit verloren
Mittlerweile ist das Projekt gescheitert. Im Spätsommer 2015 stellte Addax die Ethanolproduktion ein. Die gewünschten Renditen blieben aus und der Konzern sucht nun stattdessen nach neuen Investoren.16)SRF: Addax Bioenergy: Schweizer Bioprojekt in Schieflage; 21.03.2016 Zurück bleibt die Bevölkerung, die nicht nur ihre Ländereien verloren hat, sondern nun auch in ihrer Existenz bedroht ist. Die Böden sind nach der intensiven Zuckerrohrkultivierung nicht mehr für den kleinbäuerlichen und diversifizierten Anbau brauchbar. Auch das landwirtschaftliche Unterstützungsprogramm von Addax ist mittlerweile ausgelaufen.17)Brot für alle: Land Grabbing; nicht mehr verfügbar Über 3.500 Menschen haben ihre Arbeitsplätze verloren, aber viel schlimmer noch: auch ihre Fähigkeit zur Selbstversorgung.
„Das Beispiel Addax Bioenergy in Sierra Leone zeigt, wie ein ausländischer Investor die lokale Bevölkerung in Abhängigkeiten führt: Zuerst verpachten die Behörden und Dorfchefs das Land der Bäuerinnen und Bauern und gefährden deren Lebensgrundlage. Mit dem Rückzug von Addax droht den Menschen noch mehr Ungemach“, befürchtet Silvia Lieberherr, Expertin für Landgrabbing bei Brot für alle.18)Brot für alle: Addax zieht sich aus Vorzeigeprojekt zurück – doch die Verantwortung bleibt; nicht mehr verfügbar
Fußnoten und Quellen:
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