Sandverbrauch könnte 100 Millionen Menschen zur Flucht zwingen
Sand ist vermutlich der meist unterschätzte Rohstoff unseres Alltags und findet aufgrund seiner unterschiedlichen Bestandteile in vielen Produkten Verwendung. Von Glas über Waschmittel zu getrockneten Nahrungsmitteln, Haarspray, Papier, Zahnpasta und vieles mehr – ohne den „unbekannten Helden“ geht nichts. Die wichtigen Rohstoffe, die im Sand enthalten sind, werden auch zur Herstellung von Computern und anderen elektronischen Geräten benötigt. Demnach ermöglichte dieser elementare Stoff erst die technischen Entwicklungen des Informationszeitalters. Auch unsere Mobilität haben wir dem Sand zu verdanken. In Verkehrsmitteln –wie dem Flugzeug- verbirgt er sich in jeglichen Bestandteilen: in den Kunststoffen, Reifen, Triebwerken, Farben und selbst dem Leichtmetallrumpf. Es ist wie mit der Luft. Man denkt nicht an sie, könnte aber ohne kaum leben. 1) zeitenschriften.com: Unter den Autobahnen – Stand: 25. Mai 2016
Regierungen sind der größte Sandverbraucher
Der Bausektor hat den größten Sandbedarf. Vermischt ergeben Sand und Zement Beton, der heute die Infrastruktur und Städte prägt. Aufgrund seiner technischen Eigenschaften und geringen Produktionskosten revolutionierte dieser Baustoff den gesamten Sektor und ist das meist genutzte Material. Zwei Drittel aller Bauwerke auf diesem Planeten bestehen aus Stahlbeton, der wiederum zu zwei Dritteln aus Sand besteht. Daraus ergibt sich pro Bauwerk eine unsinnige Menge Sand. Ein mittelgroßes Haus benötigt etwa 200 Tonnen Sand, ein größeres Haus wie beispielsweise ein Krankenhaus kommt auf 3.000 Tonnen Sand, ein Atomkraftwerk gar auf 12 Millionen Tonnen Sand. Private Haushalte sind jedoch nicht die größten Verbraucher – mit dem Bau von Autobahnen stehen Regierungen unangefochten an der Spitze. Für gerade einmal einen Kilometer werden 30.000 Tonnen Sand gebunden. Damit liegt der weltweite Sandkonsum bei unfassbaren 15 Milliarden Tonnen pro Jahr. Außer Luft und Wasser wird keine Ressource häufiger verbraucht. Woher nehmen wir den vielen Sand? 2) zeitenschriften.com: Unter den Autobahnen – Stand: 25. Mai 2016
Die hohe Nachfrage ist nicht leicht zu decken, da leicht zugängliche und kostengünstige Abbaugebiete schon erschöpft sind. Der naheliegende Wüstensand ist aufgrund seiner durch den Wind geglätteten Oberfläche nicht zur Weiterverarbeitung zu gebrauchen. So wurde zuerst damit begonnen, Flüsse auszubaggern. Als dies kurze Zeit später in den jeweiligen Gebieten zu Hochwasser führte, ließen die Förderunternehmen davon ab und gingen zum Tagebau über. Hier regten aber die daraus resultierenden unschönen Mondlandschaften öffentlichen Protest an, sodass sich von nun an der Fokus auf das Meer richtete. 3) youtube: Die neue Umweltzeitbombe – Stand: 12. September 2016
Schwimmbagger rauben dem Meer nicht nur den Sand, sondern auch die Lebewesen
Ein mit Saugarmen ausgestattetes Schiff, das in Fachkreisen Schwimmbagger genannt wird, pumpt pro Tag die riesige Menge von bis zu 4.000 Kubikmeter Sand hoch. Bei dieser Methode der Sandgewinnung werden jegliche Pflanzen und Tiere, die am Meeresboden leben, angesaugt und getötet. Als Teil der Nahrungskette über ihnen, nimmt das Massensterben auch Einfluss auf die Fischbestände im jeweiligen Gebiet. In Indonesien, wo 92 Prozent des Fischbedarfs über traditionelle Fischerei gedeckt wird, werden die Menschen ihrer Lebensgrundlagen beraubt, sodass die Existenz tausender Familien gefährdet ist. Bereits 25 indonesische Inseln sind von der Weltkarte gestrichen, da sie infolge des rasanten Sandabbaus einfach verschwanden. 4) youtube: Die neue Umweltzeitbombe – Stand: 12. September 2016
Grund für das Zurückziehen des Sandes an den Küsten ist das natürliche Zusammenwirken zwischen Wind, Wellen und Wasserströmungen. Der durch die Sandentfernung entstehende Hohlraum am Meeresboden wird aufgefüllt, indem der höher liegende Sand –beispielsweise einer Insel- herabsickert.
Der indonesische Sand wird an reichere Nachbarländer exportiert. Singapur erlebte in den letzen Jahrzehnten einen beispiellosen Aufschwung. Um dem Kollaps zu entgehen, musste die Stadt rasch wachsen und machte sich von Sandimporten abhängig. Die Ausdehnung der Stadt konnte vor allem durch Aufschüttungen im Meer erreicht werden. In den letzten 40 Jahren stiegen Wohn- und Arbeitsflächen um 20 Prozent an. Häfen, Rennstrecken, Gebäude und Straßen taten ihr übriges. Bis zum Jahr 2030 soll die jetzige Fläche von 130 Quadratkilometer noch um weitere 100 Quadratkilometer vergrößert werden. Der Hunger nach immer neuem Sand ist so groß, dass einige Länder wie Malaysia, Kambodscha, Vietnam oder auch Indonesien inzwischen schon beschlossen haben, den Handel mit Singapur zu verbieten. Dies scheint jedoch kaum jemanden davon abzuhalten, einfach weiterzumachen und die Investoren zufriedenzustellen. Singapurische Händler versuchen sich mit illegal abgebautem Sand zu behelfen und operieren unter falschen Namen mithilfe lokaler Schmuggler-Netzwerke. Pikant daran ist vor allem, dass sich der Staat, zum größten Umweltschützer der Region ernannt hat und sich als „grünste Metropole Asiens“ verkauft. 5) ingenieur.de: Der Sandverbrauch führt zum Raubbau an der Natur – Artikel vom 14. Juli 2013
Die Sandmaffia hat in Indien die Zügel in der Hand
Mumbai, eine Metropole an Indiens Küste, befindet sich aufgrund der ständig steigenden Einwohnerzahlen infolge der Urbanisierung in einer ähnlichen Situation. Durch den anhaltenden Bauboom steigt der Sandverbrauch immens. Kriminelle Organisationen machen sich dies zunutze. So ist die Sandmaffia die größte kriminelle Vereinigung Indiens. Der Einfluss auf den Bausektor reicht damit vom Baugeschäft selbst bis zur Stadtverwaltung. Da sie in jedem Glied der Produktionskette involviert ist, kann sie mehrfach profitieren. Unter dem Schutz korrupter Behörden operieren Sandpiraten in aller Öffentlichkeit an 8.000 illegalen Abbauorten entlang der Küsten und Flüsse des Subkontinents. Trotz ständig neuer Bauvorhaben stehen 50 Prozent aller Wohnung leer. Einfache Leute können sich die durch Spekulation entstandenen Luxus-Wohnungen nicht leisten. Weltweit leben ein Drittel der städtischen Bevölkerung in Slums – so auch in Mumbai. 6) zeit.de: Wie Gold am Meer – Stand: 28. August 2014
In Florida befinden sich neun von zehn Stränden auf dem Rückzug. Ganze Häuserreihen verschwinden einfach, da sie über die letzten Jahre hinweg immer näher zum Meer rückten. Neben den Hauseigentümern sind auch Hotellerie, Gastronomie und Transportunternehmen betroffen. Um den Rückzug des Sandes zu stoppen, wird eine besonders perfide Methode angewendet. Schwimmbagger werfen den Sand vom Meer auf die Strände und fungieren dabei als Killer. Alles was im Sand lebt wird angesaugt, in ein Rohr geleitet, zerquetscht und an den Strand gepumpt, wo andere Organismen lebendig begraben werden und schließlich ersticken. Dabei werden bei der Methode lediglich die Symptome des Sandmangels bekämpft. In Florida hat das Aufschüttungsprojekt 17 Mio. Dollar verschlungen, doch der Sand war innerhalb eines Jahres wieder verschwunden. Die Folgen für die Tierwelt blieben. 7) netzfrauen.org: Unserer Erde geht der Sand aus – Sand wird zur Schmuggelware
Staudämme verschlimmern die Lage zusätzlich
Dass Entstehen von Sand ist ein langwieriger Prozess. Tausende Jahre benötigt es, bis ein Sandkorn durch Verwitterung von Gebirgsfelsen entsteht und über Flüsse bis zu den Küsten transportiert wird. Durch das Errichten von Staudämmen erreichen die Sandkörner die Küsten heute erst gar nicht mehr. Seit der Unabhängigkeitserklärung im Jahr 1776 hat die USA jeden Tag ein Stauwerk errichtet. Als Folge stecken ein Viertel der globalen Sandreserven in Dämmen fest – Tendenz steigend. Der direkt am Staudamm liegende Sand dient den Schmugglern als leicht zugängliche Quelle, was die Brisanz zusätzlich erhöht. 8) netzfrauen.org: Unserer Erde geht der Sand aus – Sand wird zur Schmuggelware
Mit den Küsten ist es wie mit allen anderen natürlichen Umgebungen. Wir halten sie für so groß und weiträumig, dass wir meinen, unsere Eingriffe hätten keine Auswirkungen, aber diese Denkweise ist überholt. Unsere Landwirtschaft, unsere Wasserressourcen, die Strände und der Sand sind alle Teil eines vernetzten Systems. Der Krieg um den Sand gefährdet das Überleben von Bevölkerungen und schafft zwischenstaatliche Konflikte. Weltweit befinden sich 75 bis 90 Prozent der Stände auf dem Rückzug. Schätzungen zufolge wird bis 2025 drei Viertel aller Erdbewohner in der Nähe der Küste leben. Die Ausbeutung der Ressource, der schlechte Küstenschutz und das künstliche Blockieren des natürlichen Sandkreislaufs führen zu einem explosiven Cocktail. Der Rückzug des Sandes zusammen mit dem Anstieg des Meeresspiegels stellt eine ökologische Zeitbombe dar, die zur Flucht von über 100 Mio. Menschen führen könnte, die derzeit weniger als einen Meter über dem Meeresspiegel leben.
Fußnoten und Quellen:
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