Bis 2050 könnten 1,2 Milliarden Menschen aus ihrer Heimat vertrieben werden
1,2 Milliarden Menschen könnten bis 2050 gezwungen sein, ihre Heimat zurückzulassen. Zu dieser Prognose kommt das Institute for Economics and Peace (IEP) in seiner neuen Studie „Ecological Threat Register 2020 – Understanding Ecological Threats, Resilience and Peace”. Die Auswirkungen des Klimawandels, ein anhaltendes Bevölkerungswachstum, Unruhen und Konflikte könnten in den kommenden Jahrzehnten zu Massenmigration führen. Besonders Wasserknappheit und Nahrungsunsicherheit stellen große Risikofaktoren dar. Schon jetzt leben etwa zwei Milliarden Menschen in Gebieten, die stark von Wasserknappheit betroffen sind. In den vergangenen Jahren hat Wasserknappheit immer öfter als Katalysator für Konflikte gewirkt. Bis 2050 werden wohl etwa 27 Prozent aller Länder mit Wassermangel in katastrophalem Ausmaß zu kämpfen haben. Das wirkt sich natürlich auch auf die Ernährungssicherheit in diesen Ländern aus, denn die Landwirtschaft verbraucht den größten Anteil an verfügbarem Wasser. Aber nicht nur Wasserknappheit, sondern auch andere durch den Klimawandel bedingte ökologische Veränderungen und Naturkatastrophen sowie bewaffnete Konflikte verschärfen die Ernährungsunsicherheit. Bis 2050 werden wohl etwa 22 Prozent aller Länder sehr stark von Ernährungsunsicherheit betroffen sein. Dazu kommt, dass Überflutungen, Stürme und der steigende Meeresspiegel den Lebensraum vieler Menschen und damit deren Existenz bedrohen. Die Zahl der Naturkatastrophen hat sich in den letzten vier Jahrzehnten verdreifacht. In ihren Prognosen gehen die Wissenschaftler davon aus, dass Naturkatastrophen künftig mit mindestens der gleichen Regelmäßigkeit auftreten wie in den letzten Jahrzehnten. 1) Institute for Economics and Peace (IEP): Ecologic Threat Register 2020; Understanding Ecological Threats, Resilience and Peace; Stand September 2020 2) Institute for Economics and Peace (IEP): Global Peace Index 2020; Measuring Peace in a Complex World; Stand Juni 2020
Je weniger Frieden und je mehr Risikofaktoren, desto gefährdeter der Staat
Solche Veränderungen der Umweltbedingungen, die im Zuge des Klimawandels auftreten oder verstärkt werden, können große Belastungen für die Gesellschaft eines Staates darstellen. Entstehen ökologische Bedrohungen, so können sie laut den Experten als Risikomultiplikator für bestehende politische und sozio-ökonomische Spannungen wirken und diese intensivieren. Laut Expertise der Wissenschaftler werden durch den Klimawandel verursachte Umweltrisiken bis 2050 sogar größere negative Auswirkungen auf die Stabilität eines Landes haben, als jegliche andere ökonomische, geopolitische, gesellschaftliche oder technologische Veränderungen. Die ökologischen Risikofaktoren, welche in der Studie ausgemacht werden, sind Wasserknappheit, Ernährungsunsicherheit, Dürren, Überflutungen, Zyklone, Temperaturanstieg, steigender Meeresspiegel und Bevölkerungswachstum. Wie die Analyse der Studie zeigt, sind viele Länder sogar von mehreren Risikofaktoren betroffen. 19 Staaten sind von mindestens 4 ökologischen Risiken betroffen. Zusammen zählen sie rund 2,1 Milliarden Einwohner. Afghanistan hält mit sechs Risikopunkten die Spitze. 3) Institute for Economics and Peace (IEP): Ecologic Threat Register 2020; Understanding Ecological Threats, Resilience and Peace; Stand September 2020 4) Institute for Economics and Peace (IEP): Global Peace Index 2020; Measuring Peace in a Complex World; Stand Juni 2020
Entscheidend ist jedoch, ob die betroffenen Länder in der Lage sind und auch in Zukunft fähig sein werden, die neuen ökologischen Herausforderungen und Probleme zu bewältigen und sich der neuen Situation anzupassen. Vor allem für diejenigen Länder, in denen wenig Frieden herrscht, ist es laut der Studie besonders schwierig mit neuen Umweltbedingungen und ökologischen Schocks fertigzuwerden. Sie sind besonders gefährdet, unter dem Druck der Veränderungen zu kollabieren. Das bedeutet, dass Staaten, welche von besonders vielen ökologischen Risiken betroffen sind, aber über eine geringe Belastbarkeit verfügen, mit höherer Wahrscheinlichkeit von zivilen Unruhen, politischer Instabilität, sozialer Zersplitterung und wirtschaftlichem Zusammenbruch bedroht sind. 5) Institute for Economics and Peace (IEP): Ecologic Threat Register 2020; Understanding Ecological Threats, Resilience and Peace; Stand September 2020 6) Institute for Economics and Peace (IEP): Global Peace Index 2020; Measuring Peace in a Complex World; Stand Juni 2020Bewaffnete Konflikte und ökologische Bedrohungen können sich dabei zu einem Teufelskreis entwickeln. Durch Konflikte werden Ressourcen zerstört, und die Knappheit führt wiederum zu weiteren Konflikten. Ein fortwährendes Bevölkerungswachstum zusätzlich zu den ökologischen Folgen des Klimawandels – bis 2050 werden nach Prognosen etwa 10 Milliarden Menschen die Erde bevölkern – wird die Ressourcenknappheit in Zukunft weiter verschärfen und die Konkurrenz um die verfügbaren Rohstoffe verstärken. Die ökologischen Auswirkungen des Klimawandels stellen so eine gewaltige Herausforderung für den Frieden in vielen Ländern der Erde dar. 7) Institute for Economics and Peace (IEP): Ecologic Threat Register 2020; Understanding Ecological Threats, Resilience and Peace; Stand September 2020 8) Institute for Economics and Peace (IEP): Global Peace Index 2020; Measuring Peace in a Complex World; Stand Juni 2020
31 Länder besitzen nicht notwendige Widerstandsfähigkeit
In der Studie wurden 31 Länder ausgemacht, welche nicht über die notwendige Widerstandsfähigkeit verfügen, um die ökologischen Herausforderungen zu bewältigen, die in Zukunft auf sie zukommen werden. Sie zählen gemeinsam mehr als eine Milliarde Menschen, die bis 2050 gezwungen sein könnten, ihre Heimat zu verlassen. Zu den Hotspots gehören die afrikanische Sahelzone, weiter südlich liegende afrikanische Staaten wie Angola oder Madagaskar sowie der Nahe und Mittlere Osten von Syrien bis Pakistan und Afghanistan. In diesen Staaten könnten selbst kleine Ereignisse für Instabilität sorgen, in Gewalt umschlagen und zu einer Massenvertreibung der Bevölkerung führen, was wiederum negative Auswirkungen auf die regionale und globale Sicherheit hätte. 9) Institute for Economics and Peace (IEP): Ecologic Threat Register 2020; Understanding Ecological Threats, Resilience and Peace; Stand September 2020 10) Institute for Economics and Peace (IEP): Global Peace Index 2020; Measuring Peace in a Complex World; Stand Juni 2020
Diese Länder werden bis 2050 zwar nicht vollständig unbewohnbar sein. Sollten die vorausgesagten Entwicklungen jedoch eintreten, könnte nach Einschätzungen der Wissenschaftler ein großer Teil ihrer Bewohner dazu gezwungen sein, umzusiedeln. Die meisten von ihnen werden wohl zu Binnenvertriebenen werden oder in Nachbarstaaten Zuflucht suchen. Rund ein Fünftel könnte den Schätzungen zufolge aber auch in weiter entfernte Länder fliehen. Eine massenhafte Migrationsbewegung, die auf solche Entwicklungen zurückzuführen ist, würde vor allem europäische Länder betreffen, die als relativ krisensicher eingestuft werden. Schon die Flüchtlingskrise im Jahr 2015 hatte Europa in eine tiefe Krise gestürzt und den europäischen Zusammenhalt auf eine harte Probe gestellt. Eine künftige Massenmigration könnte diese in ihrer Dimension weit übersteigen. Die Studie macht deutlich, welches Ausmaß die Bedrohungen des Klimawandels annehmen können. Es steht viel auf dem Spiel, sowohl für die Krisenstaaten als auch die als krisensicher eingestuften Länder. In jedem Fall werden die Auswirkungen des Klimawandels in der einen oder anderen Form weltweit zu spüren sein. Umso wichtiger ist es, dass sich die Staatengemeinschaft ihrer Verantwortung bewusst wird. Nur mit einer konsequenten, gemeinsamen Klimapolitik, durch welche die Erderwärmung auf 1,5 Grad Celsius begrenzt wird, können die ökologischen Belastungen des Klimawandels abgeschwächt werden. 11) Institute for Economics and Peace (IEP): Ecologic Threat Register 2020; Understanding Ecological Threats, Resilience and Peace; Stand September 2020 12) Institute for Economics and Peace (IEP): Global Peace Index 2020; Measuring Peace in a Complex World; Stand Juni 2020
Fußnoten und Quellen:
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