Dem Untergang geweiht – Kiribati und die Auswirkungen des Klimawandels
Ioane Teitiota – so heißt der Mann, der beinahe zum ersten offiziellen Klimaflüchtling der Welt geworden wäre. 2016 hatte er vor dem Menschenrechtsausschuss der Vereinten Nationen Klage gegen die neuseeländische Regierung eingereicht, nachdem sein Antrag auf Asyl als Klimaflüchtling von den Behörden abgelehnt und er zurück in seine Heimat, den pazifischen Inselstaat Kiribati, abgeschoben worden war. Im Januar dieses Jahres kam der Ausschuss zu einer bahnbrechenden Entscheidung: Zwar widersprach der Menschenrechtsausschuss der Entscheidung Neuseelands nicht, im Fall von Ioane Teitiota eine Abschiebung durchzuführen, da Kiribati erst in 15 bis 20 Jahren unbewohnbar werde. Jedoch müssen Staaten künftig die durch den Klimawandel bedingten Gefahren und Einschränkungen der Menschenrechte berücksichtigen. Menschen dürfen demnach nicht in einen Staat zurückgeschickt werden, in welchem ihr Leben und ihre Menschenrechte auf Grund des Klimawandels gefährdet sind. 1) OHCHR: CCPR/C/127/D/2728/2016; Zuletzt aufgerufen am 01.07.2020 2) Amnesty International: UN landmark case for people displaced by climate change; Artikel vom 20.01.2020 3) Time: Climate Refugees Cannot Be Forced Home, U.N. Panel Says in Landmark Ruling; Artikel vom 20.01.2020
Tatsächlich spitzt sich die Lage des pazifischen Inselstaates Kiribatis fortlaufend zu. Die Existenz der Insulaner ist stark gefährdet, ihre Zukunft ungewiss. Der Klimawandel hinterlässt hier tiefe Spuren und bringt gefährliche Wetterveränderungen mit sich. Immer häufiger treten extreme Wetterverhältnisse auf, immer öfter sind diese unberechenbar. Die Erwärmung des Meereswassers hat eine starke Korallenbleiche ausgelöst. Die Riffe, welche den 33 Inseln Kiribatis vor Wellen und Flut Schutz geboten haben, werden langsam zerstört. Tropenstürme, Zyklone und Springfluten dringen beinahe ungehindert an Land vor und beschädigen Wohnhäuser und die mühevoll errichteten Seemauern und Dämme. Erosion macht den Inseln in den Atollen Kiribatis sehr zu schaffen, da diese nur wenige Meter über dem Meeresspiegel liegen. Es gibt keine Möglichkeit auf höheren Grund auszuweichen. Die Menschen sind dem Meer ausgeliefert. Das Meer, welches die Grundlage ihrer Existenz ist, ist gleichzeitig ihre größte Bedrohung. Der Fischfang stellt die Hauptnahrungsquelle der Insulaner. Doch mit dem Absterben der Korallenriffe geht auch der Lebensraum der Fische immer weiter verloren, mit starken Auswirkungen für die Fischerei. Die ungebremsten Springfluten versalzen die landwirtschaftlich genutzten Flächen und machen die Böden unfruchtbar. Ein weitaus kritischeres Problem stellt die Trinkwasserversorgung Kiribatis dar. Brunnen sind die Hauptwasserquelle, neben gespeichertem Regenwasser. Doch oft werden die Brunnen durch das vordringende Meereswasser versalzen oder verschmutzt und der lang ersehnte Regen bleibt immer häufiger aus. 4) New York Times: A Remote Pacific Nation, Threatened by Rising Seas; Artikel vom 02.07.2016 5) Die Zeit: „Wollen Sie, dass wir zu Ihnen kommen?“; Artikel vom 08.10.2015 6) The Guardian: Waiting for the tide to turn: Kiribati’s fight for survival; Artikel vom 23.10.2017 7) World Bank Group Climate Change Knowledge Portal: Country Kiribati; Zuletzt aufgerufen am 01.07.2020 8) Oxfam: „Das Meer ist wie unsere Familie. Doch jetzt bedroht es uns“; Artikel vom 22.08.2018 9) Oxfam: Meine Insel, meine Mitmenschen und der Klimawandel; Artikel vom 28.02.2018 10) UNFCC: REPUBLIC OF KIRIBATI INTENDED NATIONALLY DETERMINED CONTRIBUTION; Zuletzt aufgerufen am 01.07.2020
Da viele der kleineren Inseln bereits unbewohnbar geworden sind, steigt die Zahl der Menschen, die auf die Hauptinsel Süd-Tarawa ausweichen müssen. Mehr als die Hälfte aller ca. 110.000 Einwohner Kiribatis leben mittlerweile hier. Die hohe und weiter zunehmende Bevölkerungsdichte schafft soziale Probleme, unter anderem Streit um Land. Die Bevölkerung erlebt nicht nur physische, sondern auch mentale und spirituelle Belastungen. Ihre Heimat ist ein wichtiger Bestandteil ihrer Kultur und Identität. Um diese so gut wie möglich zu schützen, unterstützt die Regierung immer wieder neue Projekte, doch es fehlen finanzielle Mittel. Weitere Seemauern werden entlang der Küsten errichtet, Seedeiche angelegt und Mangroven angepflanzt, die weitere Erosion verhindern sollen. Langfristig jedoch kann der Schutz der Bevölkerung nicht gewährleistet werden. Schätzungen der Weltbank zufolge könnten kleine Dörfer wie Buariki bereits bis 2050 fast vollständig unter Wasser liegen. Glaubt man Klimamodellen, so wird bis 2100 ganz Kiribati dasselbe Schicksal ereilen. Das Risiko, dass die Bewohner Kiribatis ihre Heimat früher oder später aufgeben müssen, ist sehr hoch. Mit hoher Wahrscheinlichkeit wird es der erste Staat sein, der durch den steigenden Meeresspiegel im Meer versinkt. Um für dieses Szenario vorzusorgen, hat die Regierung Kiribatis 2014 auf der 2000 Kilometer entfernten und zu Fidschi gehörenden Insel Vanua Levu 20 Quadratkilometer Land erworben. 11) The Guardian: Besieged by the rising tides of climate change, Kiribati buys land in Fiji; Artikel vom 01.07.2014 12) The New York Times: A Remote Pacific Nation, Threatened by Rising Seas; Artikel vom 02.07.2016 13) The Guardian: Waiting for the tide to turn: Kiribati’s fight for survival; Artikel vom 23.10.2017 14) World Bank Group Climate change Knowledge Portal: Country Kiribati; zuletzt aufgerufen am 01.07.2020 15) Oxfam: Meine Insel, meine Mitmenschen und der Klimawandel; Artikel vom 28.02.2018 16) Climate Action Network: As impacts rise, decisions on loss and damage must be central to COP25 agenda; Beitrag vom 03.12.2019 17) Save Kiribati: Population; nicht mehr verfügbar 18) Time: Climate Refugees Cannot Be Forced Home, U.N. Panel Says in Landmark Ruling; Artikel vom 20.01.2020
Zwar weist Fidschi im Vergleich zu Kiribati eine robustere Küstenlinie und eine allgemein etwas höhere Lage auf; wie viele andere pazifische Inselstaaten, ist aber auch Fidschi besonders stark vom Klimawandel und dem steigenden Meeresspiegel bedroht. Erst 2016 hatte ein schwerer Zyklon die Inselgruppe verwüstet und dabei 24 000 Häuser dem Erdboden gleichgemacht. Der Schaden betrug ca. ein Fünftel des Bruttoinlandsproduktes des Staates. Auch hier werden immer wieder ganze Dörfer umgesiedelt, um die Menschen vor den gewaltigen Naturereignissen zu schützen. Das Schicksal und die Zukunft pazifischer Inselstaaten liegen nicht länger in ihrer eigenen Hand. Sie sind auf das Wohlwollen und die Kooperation der großen Industrienationen angewiesen. In einem Zusammenschluss führen die betroffenen Staaten eine gemeinsame Kampagne, um den Rest der Welt an seine klimapolitische Verantwortung zu erinnern und zum Handeln zu bewegen. Denn nur durch die Eindämmung von Schadstoffemissionen der großen Industriestaaten kann die fortschreitende Erwärmung des Meeres und der dadurch steigende Meeresspiegel aufgehalten werden. 19) Oxfam: Klimakrise zwingt jährlich 20 Millionen Menschen zur Flucht; Pressemitteilung vom 02.12.2019 20) Time: The Leaders of These Sinking Countries Are Fighting to Stop Climate Change. Here’s What the Rest of the World Can Learn; Artikel vom 13.06.2019 21) The New York Times: A Remote Pacific Nation, Threatened by Rising Seas; Artikel vom 02.06.2016
Wie Oxfam berichtet, sind wirtschaftsschwache Länder besonders schwer vom Klimawandel gefährdet, obwohl sie am wenigsten zu diesem beigetragen haben oder beitragen. Die ungleichen Auswirkungen der Klimakrise erscheinen ungerecht. Während Industrienationen wie China und die USA, aber auch die Europäische Union, Indien, Russland und Japan die Umwelt am stärksten belasten, sind es die kleinen Inselstaaten, welche am meisten durch die Auswirkungen der Erderwärmung in ihrer Existenz bedroht sind. Das Risiko, dass Menschen zu Binnenflüchtlingen werden, ist dort am höchsten. 22) Oxfam: Klimakrise zwingt jährlich 20 Millionen Menschen zur Flucht; Pressemitteilung vom 02.12.2019 23) European Parliament: Top greenhouse gases emitters in the world in 2015; Stand 2019; Zuletzt aufgerufen am 01.07.2020
Tatsächlich wurden klimabedingte Katastrophen und extreme Unwetter in den vergangenen zehn Jahren zur Hauptursache für Binnenflüchtlinge. Durchschnittlich sahen sich jährlich mehr als 20 Millionen Menschen gezwungen, aus solchen Gründen ihre Heimat zurückzulassen. Der Fall Kiribatis steht exemplarisch für viele andere pazifische Inselstaaten. Kiribatis Beitrag an Schadstoffemissionen ist vernachlässigbar und einer der geringsten der Welt. Gleichzeitig ist Kiribati einer der am meisten betroffenen Staaten und muss einen hohen Preis für die Schadstoffemissionen anderer bezahlen. Die Kosten zur Eindämmung und Beseitigung der klimabedingten Schädigungen liegen bei 35 Prozent des Bruttoinlandsproduktes. Geld, das auch in anderen Bereichen dringend benötigt wird, wie beispielsweise im Bildungssystem, im Gesundheitssystem oder im Ausbau sanitärer Einrichtungen. Um Kiribati und andere pazifische Inseln vor klimabedingten, wirtschaftlichen Schädigungen und dem Versinken zu bewahren, ist ein Umdenken in den Industriestaaten dringend notwendig. Drastische Maßnahmen zur Einsparung von Schadstoffen müssen ergriffen werden. Sollte die Weltgemeinschaft weiterhin die gelobten Klimaschutzziele verfehlen und der Klimawandel nicht gebremst werden, sind der Lebensraum und die Lebensgrundlage von Millionen Menschen dem Untergang geweiht, die in Folge heimatlos werden. 24) Oxfam: Klimakrise zwingt jährlich 20 Millionen Menschen zur Flucht; Pressemitteilung vom 02.12.2019 25) Oxfam: Klimawandel treibt Menschen in die Flucht; Pressemitteilung vom 02.11.2017 26) Save Kiribati: Social Issues; nicht mehr verfügbar 27) UNFCCC: REPUBLIC OF KIRIBATI INTENDED NATIONALLY DETERMINED CONTRIBUTION; Zuletzt aufgerufen am 01.07.2020
Fußnoten und Quellen:
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