Agrarallianz scheitert bei der Bekämpfung von Hunger in Afrika
Etwa neun Prozent der Weltbevölkerung hat 2019 gehungert – 690 Millionen Menschen, so der UN-Welternährungsbericht. Die Zahl ist seit 2014 stetig angestiegen und die Corona-Pandemie könnte die Situation noch weiter verschlechtern. Und das, obwohl die UN den weltweiten Hunger bis 2030 besiegen wollte. Die Zahl hungernder Menschen wächst in Afrika am schnellsten. In einer letzte Woche Freitag veröffentlichten Studie kommen überdies mehrere Organisationen, darunter Brot für die Welt, FIAN Deutschland und INKOTA, zu einem ernüchternden Urteil für eine Allianz, die genau dieses Problem angehen sollte: Die Allianz für eine Grüne Revolution in Afrika (AGRA) ist demnach an ihren eigenen Zielen gescheitert. Die Bundesregierung solle deren Finanzierung nun beenden. 1) Tagesschau: UN-Welternährungsbericht: Corona-Krise verschärft den Hunger; Stand 13.07.2020 2) Onetz: UN-Bericht: Unterernährung ist gefährlich auf dem Vormarsch; Stand 14.07.2020 3) Epo: Hunger in Afrika: Allianz für eine Grüne Revolution ist gescheitert; Stand 10.07.2020
Doch zunächst einmal zur AGRA: Die 2006 von der Bill-und-Melinda-Gates-Stiftung gegründete Agrarallianz hatte sich zum Ziel gesetzt, zur Hungerbekämpfung in Afrika beizutragen. Die Ernährungsunsicherheit in 20 afrikanischen Ländern sollte bis 2020 halbiert, die Einkommen und die Produktivität von 30 Millionen Kleinbauern verdoppelt und damit Hunger und Armut verringert werden. Erreicht werden sollte dies durch den konzerngetriebenen Ansatz einer Grünen Revolution: Mit lizenziertem, kommerziellen Hochertrags- und Hybridsaatgut, synthetischen Düngern und Pestiziden und durch die Integration in globale Lieferketten. Finanziert wurde sie mit über einer Milliarde Dollar, allen voran von der Bill-und-Melinda-Gates-Stiftung, aber auch von der Bundesregierung. Zudem unterstützten die USA und Großbritannien finanziell. Bemerkenswert ist auch: Die Produkte hierfür kommen mit Bayer (also mittlerweile auch Monsanto) oder BASF also unter anderem auch von Unternehmen, die aufgrund ihrer Praktiken häufiger unter scharfer Kritik stehen. AGRA bemüht sich in den letzten Jahren auch um politischen Einfluss in den Ländern, um eine Änderung der Gesetzgebung in Bezug auf Saatgut und Düngemittel sowie eine stärkere Öffnung der Märkte für internationale Konzerne zu bewirken. 4) Epo: Hunger in Afrika: Allianz für eine Grüne Revolution ist gescheitert; Stand 10.07.2020 5) Rosa Luxemburg Stiftung: Pressemitteilung – Hunger in Afrika: Allianz für eine Grüne Revolution in Afrika (AGRA) scheitert an selbstgesteckten Zielen; Stand 10.07.2020 6) Presseportal: Hunger in Afrika: Allianz für eine Grüne Revolution in Afrika (AGRA) scheitert an selbstgesteckten Zielen; Stand 10.07.2020 7) SZ: Entwicklungshilfe: Revolte gegen die „grüne Revolution“; Stand 10.07.2020 8) Falsche Versprechen: Die Allianz für eine Grüne Revolution in Afrika (AGRA); Stand Juni 2020 9) Taz: Aktivist über Landwirtschaft in Afrika: „Gatesstiftung verfehlt ihre Ziele“; Stand 10.07.2020
Einfluss von AGRA: Es profitieren die Agrarunternehmen, nicht die Kleinbauern
Die Allianz ist der Studie zufolge an ihren eigenen Zielen gescheitert: In den 13 AGRA-Schwerpunktländern hungern 30 Prozent mehr Menschen. In Bezug auf den Hunger hat sich die Lage in diesen Ländern also sogar verschlechtert. Und auch das Risiko für kleinbäuerliche Erzeuger, sich zu verschulden, ist höher. So konnten sie beispielsweise in Sambia und Tansania bereits nach der ersten Ernte ihre Kredite für Saatgut und Düngemittel nicht zurückzahlen. Kleinen Landwirten droht zum Teil die Schuldenfalle, während Saatgutkonzerne und Agrarchemiehändler im Geschäft mit diesen keinem finanziellen Risiko ausgesetzt sind und nur profitieren können. „Die Bäuerinnen und Bauern werden gedrängt, das teure Hybridsaatgut der Konzerne zu kaufen, das nur in Kombination mit Düngemitteln funktioniert, die sich die Menschen eigentlich gar nicht leisten können“, so Mutinta Nketani von PELUM Sambia, eine Mitautorin der Studie. Sie bezeichnet AGRA deshalb als „Teufelskreis“, der die Armut der Kleinbauern verstärkt und deren natürliche Lebensgrundlage zerstört. Diesen wird zudem die Wahlfreiheit im Anbau eingeschränkt, wobei der Fokus von AGRA einseitig auf Mais liegt. So werden traditionelle klimaresistente und nährstoffreiche Nahrungsmittel wie Hirse und Sorghum ebenso wie andere lokale Sorten wie Maniok, Süßkartoffeln und Erdnüsse verdrängt. Sie erhielten in Ruanda sogar eine Geldstrafe, wenn sie keinen Mais oder andere genehmigte Pflanzen anbauten. Auch sollen Farmer im Rahmen von AGRA dazu gezwungen worden seien, ihre Mischkulturen aufzugeben. Die politische Einflussnahme von AGRA in den Ländern zielt, das zeigt die Studie, mehr auf verbesserte Bedingungen für die Agrarunternehmen und Agrarchemiehändler als auf die Anliegen der Kleinbauern ab. Den Prinzipien der Grünen Revolution soll politisch der Weg bereitet werden, kommerzielles Saatgut soll beispielsweise bäuerliches Saatgut zurückdrängen. 10) Epo: Hunger in Afrika: Allianz für eine Grüne Revolution ist gescheitert; Stand 10.07.2020 11) SZ: Entwicklungshilfe: Revolte gegen die „grüne Revolution“; Stand 10.07.2020 12) Falsche Versprechen: Die Allianz für eine Grüne Revolution in Afrika (AGRA); Stand Juni 2020
Es gibt also kaum mehr Produktivität oder Ertragssteigerungen, kaum höhere Einkommen oder eine bessere Ernährungssicherheit, dafür aber Umweltschädigungen durch zum Beispiel Monokulturen und synthetische Düngemittel, sowie bedrohte Selbstbestimmung vor Ort und geringere Ernährungsvielfalt und damit drohende Mangelernährung. Ein Sprecher von AGRA dagegen behauptet, die Allianz ermutige Bauern zum Anbau verschiedener Pflanzen. Was deren Verschuldung betrifft, so wisse man von nichts, so AGRA und das Entwicklungsministerium. Allgemein stellt sich AGRA gegen die Ergebnisse der Studie: Diese seien unwissenschaftlich und da man nicht involviert worden sei, könne man die Details auch nicht kommentieren. Zum Ansatz von AGRA generell heißt es, afrikanische und europäische Landwirte sollten die selben Chancen erhalten. Die Gates-Stiftung verteidigt die Kollaboration: „Es gibt viele Wege, Kleinbauern vor Ort nachhaltig zu helfen.“ 13) Epo: Hunger in Afrika: Allianz für eine Grüne Revolution ist gescheitert; Stand 10.07.2020 14) SZ: Entwicklungshilfe: Revolte gegen die „grüne Revolution“; Stand 10.07.2020 15) Falsche Versprechen: Die Allianz für eine Grüne Revolution in Afrika (AGRA); Stand Juni 2020
Natürlich weiß man auch nicht, wie die Situation vor Ort ohne AGRA ausschauen würde. Dennoch ist die Frage, ob mit der von der Allianz verwendeten Methodik überhaupt eine Verbesserung abzusehen ist und war. Durch den Ansatz von AGRA profitieren offensichtlich Agrarunternehmen mehr als die Kleinbauern vor Ort. Und in Wissenschaft und Politik entfernt man sich immer mehr von input-intensiver Landwirtschaft. Bei dieser Nutzungsform werden immer mehr landwirtschaftliche Betriebsmittel (Inputs) wie Hybridsaatgut, synthetische Düngemittel, Pestizide oder Maschinen benötigt, was die Produktivität und damit den Ertrag erhöhen soll. Es entstehen jedoch Umweltschäden, Arbeitsplatzverluste besonders im globalen Süden und Farmer geraten in Abhängigkeiten. Immer mehr wird man sich der begrenzten Möglichkeiten dieses Ansatzes bewusst, vor allem im Kampf gegen den Klimawandel und in der Anpassung an seine Folgen. Vor kurzem dokumentierte der Weltklimarat der UN die Auswirkungen von industrieller Landwirtschaft auf den Klimawandel und forderte Veränderungen. Der Weltbiodiversitätsrat sieht die industrielle Landwirtschaft als eine der Hauptursachen für die Naturzerstörung an. 16) SZ: Entwicklungshilfe: Revolte gegen die „grüne Revolution“; Stand 10.07.2020 17) Falsche Versprechen: Die Allianz für eine Grüne Revolution in Afrika (AGRA); Stand Juni 2020
Agrarökologie als Alternative
Hier muss also in Deutschland und international ein Umdenken stattfinden. Das Bundesministerium für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung (BMZ) finanziert die AGRA zwischen 2017 und 2021 mit 10 Millionen Euro in Ghana und Burkina Faso, was allerdings weniger als 0,5 Prozent der Entwicklungszusammenarbeit im Jahr entspricht. Insgesamt orientiert man sich immer mehr an der Agrarökologie. Da AGRA gescheitert ist, empfehlen die Herausgeber der Studie der deutschen Bundesregierung die Finanzierung der Allianz zu beenden. Politisch und finanziell unterstützt werden sollte eine auf Agrarökologie basierende und klimaresistente Nahrungsmittelerzeugung durch kleinbäuerliche Erzeuger. Der Ansatz der Agrarökologie zielt auf ökologisch nachhaltige und sozial gerechte Agrar- und Ernährungssysteme ab. Dazu zählen auch die ökologisch und sozial nachhaltige Landwirtschaft und die Anpassung an Umweltbedingungen vor Ort ebenso wie die Minimierung der Verwendung von externen Ressourcen. Das Konzept erhält weltweit steigende Anerkennung und Unterstützung. 18) SZ: Entwicklungshilfe: Revolte gegen die „grüne Revolution“; Stand 10.07.2020 19) Falsche Versprechen: Die Allianz für eine Grüne Revolution in Afrika (AGRA); Stand Juni 2020 20) Positionspapier: Agrarökologie stärken: Für eine grundlegende Transformation der Agrar- und Ernährungssysteme; Stand Januar 2019 21) Misereor: Deutschsprachige Zusammenfassung der Studie: Agrarökologie – ein Weg zu nachhaltigen Ernährungssystemen; Stand Dezember 2018 22) Weltagrarbericht: Wege aus der Hungerkrise: Die Erkenntnisse des Weltagrarberichtes und seine Vorschläge für eine Landwirtschaft von morgen: Agrarökologie; Stand 16.07.2020
Auch das BMZ verteidigt seine Zusammenarbeit mit AGRA: Man könne durch die Unterstützung von AGRA für Ansätze der Agrarökologie werben und die Arbeit der Allianz in Richtung nachhaltige Landwirtschaft beeinflussen. Es will die Untersuchung jetzt für sich auswerten. Klar ist, dass sich die Bundesregierung Gedanken machen muss, welche Formen von landwirtschaftlicher Entwicklung sie unterstützen möchte. Generell müssen auch international solche Programme und Entwicklungen gefördert werden, die Hunger und Armut auch wirklich und sozial wie ökologisch nachhaltig angehen. Denn nur diese können langfristig Früchte tragen. 23) SZ: Entwicklungshilfe: Revolte gegen die „grüne Revolution“; Stand 10.07.2020
Fußnoten und Quellen:
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