Libanon: Ein Land vor dem wirtschaftlichen und politischen Kollaps
Der Nahe Osten ist derzeit nicht nur in politischer Hinsicht ein Pulverfass, auch wirtschaftlich ist die Lage im Irak, Syrien und vor allem im Libanon äußerst prekär. Gebeutelt von mehreren Jahren des Bürgerkrieges, der Flucht und Misswirtschaft ist die Region in wirtschaftlicher Hinsicht mehr als instabil und die Aussichten auf Besserung sind verschwindend gering. 1)Telepolis: Syrien und Libanon im Dollar-Schlamassel – Artikel vom 23.01.2020
Besonders tief in der Krise steckt der Libanon. Seit dem 17. Oktober vergangenen Jahres gehen die Menschen dort auf die Straßen und protestieren gegen die politische Korruption der Eliten und die Misswirtschaft. Auf dem Korruptionsindex von Transparency International liegt der Libanon auf Platz 137 von 180 beobachteten Ländern. Aufgrund des immensen Drucks auf die Regierung trat der damalige Präsident Saad Hariri knapp zwei Wochen später zurück. Daraufhin wurde der Universitätsprofessor Hassan Diab als sein Nachfolger bestimmt. Doch die Proteste hielten an und die Forderung nach Neuwahlen trieb die Demonstranten weiterhin zahlreich auf die Straßen. Als der designierte Präsident sein neues Kabinett am 21. Januar dann vorstellte, kam es zu Auseinandersetzungen zwischen Demonstranten und der Polizei. Als der Regierung Diab`s nach einer zweitägigen Sitzung Mitte Februar das Vertrauen ausgesprochen wurde, waren die Hoffnungen der Bevölkerung auf Neuwahlen völlig zerstört und die gewaltsamen Auseinandersetzungen erreichten ihren Höhepunkt. 200 Menschen wurden bei den Ausschreitungen verletzt. 2)Transparency International: Lebanon – letzter Stand 06.03.2020 3)Die Tageszeitung: Regierungsbildung im Libanon – über 200 Verletzte bei Protesten – Artikel vom 11.02.2020 4)Die Tageszeitung: Vertrauensvotum für Regierung im Libanon – Neue Gesichter, alte Lösungen – Artikel vom 12.02.2020
Die neue Regierung konnte die Vertrauensfrage nur durch die Unterstützung prosyrischer Parteien gewinnen, die wiederum von der schiitischen Hisbollah unterstützt werden. Die eigentliche Forderung der Aufstände nach einer Absetzung der korrupten Elite blieb somit unbeantwortet. Der Libanon hat damit zwar ein neues Kabinett, aber die alten konfessionellen Rivalitäten zwischen sunnitischen Hariri Anhängern und der designierten schiitisch nahestehenden Regierung bestimmen weiterhin den politischen Diskurs. Hintergründe der Proteste sind nicht nur politischer Natur, die Bevölkerung Libanons steckt mitten in der größten Wirtschaftskrise seit dem Bürgerkrieg. 1997 wurde das libanesische Pfund (Lira) an den US-Dollar gekoppelt. Die Staatsverschuldung beträgt mittlerweile 86 Milliarden US-Dollar. Der beinahe Staatsbankrott ist der Tatsache geschuldet, dass mehr Libanesen außerhalb des Libanon leben und aufgrund hoher Zinsen ihre Ersparnisse bei libanesischen Banken anlegten, die wiederum ihr Geld in hochverzinste Staatsanleihen investierten. 5)Die Tageszeitung: Vertrauensvotum für Regierung im Libanon – Neue Gesichter, alte Lösungen – Artikel vom 12.02.2020 6)Tagesspiegel: Wirtschaftskrise im Libanon – Ein Land in der Depression – Artikel vom 27.12.2019
Der Verfall der einheimischen Währung stellt nicht nur die libanesische Bevölkerung vor ein großes Problem, auch die 1,5 Millionen syrischen Geflüchteten sind von der Wirtschaftskrise betroffen. 73 Prozent der Geflüchteten im Libanon leben unter der Armutsgrenze. Viele von ihnen bekommen keine offizielle Arbeitserlaubnis, wodurch sie oftmals gezwungen sind illegal zu arbeiten. Aufgrund der Wirtschaftskrise sind es genau ihre Arbeitsplätze, die als erstes gestrichen werden. Gleichzeitig werden Lebenserhaltungskosten durch den Verfall der Lira immer teurer. Die Asylsuchenden befinden sich in einem Teufelskreis.
Das Land steht vor dem finanziellen Zusammenbruch. Daher hat Präsident Diab mehrere Länder um Finanzhilfen gebeten. Frankreich, die Vereinigten Staaten, China, Saudi-Arabien, die Türkei, China und Ägypten sollen demnach aus der Krise helfen. 7)The New Humanitarian: Lebanon’s financial crisis hits syrian refugees hard – Artikel vom 09.01.2019 8)Reuters: Libanon bitte um internationale Finanzhilfen – Artikel vom 06.12.2019
Das Problem daran, wie im Nahen Osten so oft, sind die verstrickten und oft unübersichtlichen Interessenslagen. Da Libanons Regierung nur mit Hilfe der Hisbollah ins Amt kam, sind die Reaktionen auf den Hilfeschrei aus dem Libanon sehr verhalten. Vor allem den Vereinigten Staaten ist die von der Hisbollah unterstützte Regierung ein Dorn im Auge. Da die aktuelle Nah-Ost-Strategie der USA vorsieht, die Ausweitung der Macht Irans in der Region zu verhindern, lautet die Vorgehensweise der Trump-Administration maximalen Druck auf das Regime auszuüben. Deshalb verweigerte die US-Regierung finanzielle Hilfen an den Libanon und forderte Großbritannien und Frankreich sogar auf, ihre Zahlungen zu stoppen. Frankreich kritisierte das Vorgehen der USA und prangerte die Trump-Regierung an, ihre Kampagne gegen den Iran mit der Krise im Libanon zu vermischen. In Beirut heißt es sogar überspitzt, Washington hätte nichts gegen einen Kollaps des Landes, um die Kraft der Hisbollah zu mindern und so einen regime change zu ermöglichen. 9)Reuters: Exclusive: If Lebanon needs financial aid, France will be there, finmin says – Artikel vom 23.02.2020 10)Financial Times: Lebanon´s economic crisis requires an urgent decision on IMF aid – letzter Stand 05.03.2020 11)Frankfurter Allgemeine Zeitung: Proteste im Libanon – Ein Land vor dem Kollaps – Artikel vom 24.01.2020
Einmal mehr zeigt sich wie machtpolitische Interessen der Vereinigten Staaten auf dem Rücken der Bevölkerung ausgetragen werden. Eine politische Sanktionierung in einer wirtschaftlichen Krise trifft zwar auch die Regierung, aber die Leidtragenden sind vor allem die ärmsten Bevölkerungsschichten Libanons und syrische Geflüchtete. Wenn die internationale Staatengemeinschaft nicht bald eine Lösung für die Krise findet, steht der Libanon vor einem wirtschaftlichen, politischen und gesellschaftlichen Kollaps.
Fußnoten und Quellen:
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