Jemenkrieg: Eine Hölle auf Erden für Kinder
Seit nunmehr fünf Jahren wütet der Krieg im Jemen, noch immer weitgehend unbeachtet von der Weltöffentlichkeit. Laut UN handelt es sich um die größte humanitäre Katastrophe der Welt. Leidtragenden sind dabei in erster Linie die Kinder. Unicef bestätigte, dass bei dem jüngsten Angriff im Norden 19 Kinder getötet und 18 weitere verletzt wurden. Er stellt nur einen solchen Fall in einer Reihe vieler dar. Beachtung fand auch ein Luftangriff durch das von Saudi-Arabien angeführte Militärbündnis. Ziel war ein Schulbus voller Schüler, 40 von ihnen starben. 1) Unicef: Eskalierende Gewalt im Jemen: 37 Kinder bei Angriff in Al-Jawf getötet oder verletzt; Statement vom 21.02.20 2) Spiegel: Rakete trifft Zivilsiten – viele Kinder unter den Opfern; Artikel vom 24.08.18
Die Opfer des Jemenkriegs allein durch Waffengewalt beliefen sich bis Ende letzten Jahres auf bis zu 100.000 Tote. Jedoch muss jedem klar sein, dass die direkt durch Kriegswaffen getöteten Menschen nur einen Teil ausmachen. Rechnet man auch Sekundärphänomene ein, also Ursachen, die direkt aus dem Krieg entspringen, wie Hunger oder Epidemien, kommt man auf eine Zahl von 230.000. Von diesen sind 140.000 Kinder unter fünf Jahren. Drei von fünf der Todesopfer waren zu Beginn des Kriegs noch nicht einmal geboren. „Der Jemen ist heute eine Hölle auf Erden für Kinder. Und zwar für jeden einzelnen Jungen und jedes einzelne Mädchen.“ So äußerte sich Geert Cappelaere, Unicef-Regionaldirektor für den Mittleren Osten und Nordafrika, auf einer Pressekonferenz im November 2018.
Ausschlaggebend für die hohe Zahl von Toten unter Kindern sind vor allem diese Sekundärphänomene: Rund 7 Millionen Kinder haben nicht genug zu essen, 1,8 Millionen von ihnen sind akut mangelernährt. Die UN spricht von „der schlimmsten Hungersnot der Welt seit 100 Jahren“. Genaue Zahlen sind aufgrund der Informationslage in dem Bürgerkriegsland nicht möglich. Doch laut der NGO „Save the Children“ sind seit März 2015 bis Oktober 2018 ca. 85.000 Kleinkinder an den Folgen von Hunger gestorben. „Für jedes Kind, das durch Bomben und Kugeln getötet wird, sterben Dutzende am Hunger“ meinte ihr Präsident. 3) der Freitag: Der Krieg gegen Jemens Kinder; Beitrag vom 20.01.20
Zudem verbreitete sich die Krankheit Cholera, infizierte 2,2 Mio. Menschen und forderte mindestens 2500 Todesopfer. Die Hälfte aller Infizierten ist unter 14 Jahre alt. Es handelt sich um die größte jemals registrierte Choleraepidemie. Weitere Krankheiten wie Malaria, Masern, Diphtherie und Denguefieber grassieren zudem im Jemen. Vor allem die Jüngsten sind von diesen Gefahren besonders bedroht. Sie machen 65 Prozent aller Toten von Maserninfizierten aus. Die eh schon geringe Impfrate nahm während des Kriegs dramatisch ab, sodass ein flächendeckender Schutz nicht gewährleistet ist. Das Denguefieber brach Ende letzten Jahres aus, übers Land verteilt gibt es derzeit 52.000 Verdachtsfälle. Unter den 162 Toten sind 78 noch Kinder. Im Schnitt stirbt im Jemen alle zehn Minuten ein Kind an einer vermeidbaren Krankheit. Hungersnot und Gesundheitsbeschwerden beeinflussen sich dabei gegenseitig. So wie hungernde Kinder schneller krank werden, begünstigen Krankheiten wie Cholera Mangelernährung. Des Weiteren leiden knapp 50 Prozent unter ihnen an Wachstumsstörungen, rund 80.000 weitere haben psychische Störungen aufgrund von Raketenexplosionen. 4) Unicef: Kinder im Jemen – ein Situationsbericht; Bericht vom 12/2018 5) Zeit: Dengue-Fieber im Jemen: Mindestens 162 Menschen gestorben; Artkel vom 16.01.20
Die schlechte Infrastruktur erschwert die Situation zusätzlich. Lediglich die Hälfte der Gesundheitseinrichtungen ist noch intakt, es mangelt an Personal, Medikamenten und Ausstattung. Viele der Ärzte und Krankenpfleger arbeiten ohne geregeltes Gehalt. Die Angriffe der von Saudi-Arabien geführten Koalition trafen auch Krankenhäuser und Institutionen, die zerstört wurden und vielen Menschen die Chance auf gesundheitliche Behandlung nahmen. Neben medizinischer Infrastruktur wurden auch Wasser- und Lebensmittelversorgungen bombardiert. Ungefähr 14,4 Millionen haben keinen Zugang zu sanitären Einrichtungen und sauberem Trinkwasser. Die große Anzahl der Binnenflüchtlinge verschärft das Problem zusätzlich. Ungefähr zwei Millionen der Vertriebenen sind im Jemen unterwegs, nur etwa 65.000 Menschen konnten das Land verlassen. In den Flüchtlingslagern mit kaum vorhandenen sanitären Einrichtungen und Hygienevorrichtungen ist eine Infektion kaum aufzuhalten. Es steht der Verdacht im Raum, Saudi-Arabien und seine Koalitionspartner benutzen diese Auswirkungen bewusst zur Kriegsführung. 6) Lüders, Michael: Armageddon im Orient – Wie die Saudi-Connection den Iran ins Visier nimmt; 2018 7) Amnesty: Jemen der ignorierte Krieg – „Viele werde mehrfach vertrieben“; Interview von 03/19
Im diesem Zusammenhang wirkt auch die Schließung der Flughäfen durch die Saudi-Emirate-Koalition problemverstärkend. Kranke können nicht mehr zur ärztlichen Behandlung ausgeflogen werden, für viele bedeutet das das Todesurteil. Das Norwegian Refugee Council berichtete, dass allein ein Jahr der Schließung des Sana’a Airport zu mehr Toten führte als durch direkte Waffengewalt. Der saudische Kronprinz Mohammed bin Salman verfolgt im Jemen eine perfide Art der Kriegsführung: Statt auf Bodentruppen setzt er neben Luftangriffen auf zivile wie militärische Ziele auf eine Luft- Boden und Seeblockade. Als Folge ist es kaum noch möglich medizinischen Bedarf oder Lebensmittel einzuführen. Da der Jemen jedoch zum Großteil auf Importe angewiesen ist kommt dieses Vorgehen einem Menschheitsverbrechen gleich. Die Isolation des Landes trifft neben der Versorgung auch auf den Informationsfluss nach außen zu. Für Journalisten ist der Zugang zu dem Land meist beschwerlich. Das Medieninteresse hierzulande ist demensprechend gering. 8) NCR: Yemen airport closure killed more peole than airstrikes; Artikel vom 09.08.17 9) Lüders, Michael: Armageddon im Orient – Wie die Saudi-Connection den Iran ins Visier nimmt; 2018 10) der Freitag: der Krieg gegen Jemens Kinder; Beitrag vom 20.01.20
Die Situation im Jemen macht deutlich, dass sich Krieg nicht nur auf reine Waffengewalt reduzieren lässt. Er umfasst verschiedene Aspekte, die alle in Verbindung stehen und sich gegenseitig beeinflussen. Das Leid, das Jemens Kinder tagtäglich ertragen müssen, steht damit in direkter Verbindung. Die Waffen der Koalition kommen aus insgesamt 32 Ländern. Deutschland befindet sich auf dem fünften Platz. Alle Länder der ersten vier Plätze sind zugleich ständige Mitglieder des UN-Sicherheitsrats. Somit offiziell hauptverantwortlich für die Wahrung des Weltfriedens und der internationalen Sicherheit. Den höchsten Preis für die Unfähigkeit der Weltgemeinschaft Frieden zu schaffen zahlen die Kinder. Der Jemen ist dabei kein Einzelfall. In Konfliktgebieten ist die Anzahl der Gewalttaten gegen Kinder massiv gestiegen. Seit 2010 hat sie sich fast verdreifacht, die UN spricht von 24.000 Fällen im Jahr 2018. Ursache dafür sind vor allem die länger andauernden Kriege. Neben dem Jemen sind vor allem auch Syrien und der Kongo stark betroffen. 11) Die Freiheitsliebe: Cholera – die Geißel des Jemenkriegs. beim UN-Menschenrechtsrat in Genf; Artikel vom 07.07.19 12) Zeit: Gewalt gegen Kinder in Krisengebieten hat zugenommen; Artikel vom 30.12.19
Fußnoten und Quellen:
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