Wie Waffenexporte die Rekrutierung von Kindersoldaten begünstigen
Das Leben von Kindersoldaten ist eine Kindheit ohne Kindheit. Was Minderjährige an der Front erleben, überwinden sie oftmals nie. Wie auch, wenn ihnen statt Stiften, Schulbüchern oder Spielzeug, Waffen und Granaten in die Hand gedrückt werden? In einem neuen Bericht des Deutschen Bündnis Kindersoldaten (ein Zusammenschluss von der Kindernothilfe, terre des hommes Deutschland und World Vision Deutschland) wird Bilanz gezogen. Der Report untersucht, in welchem Maße die Bundesrepublik die UN-Kinderrechtskonventionen zu Kindern in bewaffneten Konflikten umsetzt. Deutschland schneidet katastrophal ab.
Obwohl die Bundesregierung ein entsprechendes Zusatzprotokoll zu den Kinderrechtskonventionen bereits 2004 ratifiziert hat, geht die Republik den Empfehlungen der UN für die Rechte des Kindes noch immer nicht ausreichend nach. Die Situation hat sich sogar weiter verschlechtert. Der Bericht kritisiert vor allem den mangelnden Schutz von Kindersoldaten und im Zuge dessen auch die deutschen Waffenexporte.1) epo: Schattenbericht Kindersoldaten: Deutsche Bilanz fällt „katastrophal“ aus; Artikel vom 28.11.2019
Für letzteres steht Deutschland immer wieder (berechtigt) in der Kritik. Vor allem Waffenlieferungen in Länder, die direkt oder indirekt an einem kriegerischen Konflikt beteiligt sind, sind moralisch fragwürdig. Dennoch steigert Deutschland seine Rüstungsexporte weiter. In den letzten Jahren um 13 Prozent. Spitzenreiter im internationalen Waffenhandel ist und bleibt die USA. Mit 36 Prozent führt sie den Welthandel an. Gefolgt von Russland, Frankreich und Deutschland auf Platz vier. Saudi-Arabien ist der weltweit größte Waffenimporteur. Jede dritte Waffe geht in die Großregion des Mittleren Osten.2) Der Tagesspiegel: Weltweite Rüstung: Deutschland steigerte Waffenexporte um 13 Prozent; Artikel vom 11.03.2019
Bereits im März 2017 einigten sich SPD und Union im Koalitionsvertrag auf einen Rüstungsexportstopp für die unmittelbar am verheerenden Krieg im Jemen beteiligten Staaten. Mehrere Hintertüren wurden jedoch offen gelassen.3) ZeitOnline: Konflikte: Rüstungsexportstopp für Saudi-Arabien verlängert; Artikel vom 18.09.2019 Das änderte sich erst nach der Ermordung des saudi-arabischen und regierungskritischen Journalisten Jamal Khashoggi im November 2018. Demnach wurden keine neuen Rüstungsgeschäfte mit Saudi-Arabien genehmigt und bereits genehmigte Exporte blockiert. Das Königreich steht an der Spitze einer Allianz, die im Jemen seit Jahren gewaltsam gegen die vom Iran unterstützten Huthi-Rebellen vorgeht und dabei auch die Zivilbevölkerung nicht verschont. Der Krieg im Jemen ist die schlimmste humanitäre Krise unserer Zeit. Seit Beginn der Militäroffensive sollen mindestens 10.000 Menschen ums Leben gekommen sein. Hunger, Cholera, Armut und Zerstörung machen der Bevölkerung zusätzlich das Leben zur Hölle. Vier von fünf Jemeniten und Jemenitinnen sind auf Nothilfe angewiesen. Kinder leiden besonders. Rund zwei Millionen Jungen und Mädchen unter fünf Jahren sind akut unterernährt. Laut einem Bericht der SOS-Kinderdörfer setzt die saudi-arabische Armee auch Kindersoldaten aus dem Sudan ein. Sie werden in ihrem Heimatland rekrutiert und müssen dann an vorderster Front kämpfen. Viele Minderjährige lassen dort ihr Leben.4) Deutschlandfunk: Jemen: Der vergessene Krieg; Artikel vom 15.03.2019 5) SOS Kinderdörfer weltweit: Kindersoldaten im Jemen: Kanonenfutter für die Front; Pressemitteilung vom 16.01.2019
Wie genau definiert sich der Begriff Kindersoldat? Als Kindersoldat gelten alle Kinder und Jugendlichen unter 18 Jahren, die bewaffneten Streitkräften oder Gruppen angegliedert sind. Ihre „Tätigkeiten“ reichen allgemein vom tatsächlichen Kämpfen und Töten, über die Aufgaben eines Spähers oder Trägers bis hin zu Küchendiensten. Viele werden Opfer von sexuellem Missbrauch. Teilweise werden die Kinder entführt und mit Gewalt zum Einsatz gezwungen, in anderen Fällen wird ihre Armut und Not ausgenutzt. Sie sind leichter zu beeinflussen als Erwachsene und kosten weniger. Niemand weiß, wie viele Kindersoldaten es weltweit tatsächlich gibt. Manche Schätzungen gehen von bis zu 250.000 Betroffenen aus. Beweise gibt es aber nur in deutlich weniger Fällen. Jeder Einsatz eines Minderjährigen in der Armee oder in bewaffneten Gruppen gilt als Verletzung der Kinderrechte. Bei Kindern unter 15 sogar als Kriegsverbrechen.6) Unicef: Kindersoldaten in Afrika und weltweit; Artikel vom 12.02.2019
Deutsche Unternehmen dürfen trotz alledem weiterhin zu gemeinsam mit anderen Ländern produzierten Rüstungsgütern nach Saudi-Arabien zuliefern. Rüstungsexporte für die übrigen Länder der arabischen Allianz wurden nicht gestoppt. Waffen im Wert von 1,1 Milliarden Euro gingen so beispielsweise nach Ägypten.7) Focus Online: Konflikte: Bund verlängert Rüstungsexportstopp für Saudi-Arabien: nicht mehr verfügbar
Krieg, Bürgerkrieg oder sonstige Gewalt bewaffneter Gruppen sind Hauptfluchtgründe. In den meisten Ländern, aus denen Menschen fliehen, herrscht irgendeine Art von brutalem Konflikt. In Deutschland kommen mehr als 70 Prozent der Asylsuchenden aus diesen entsprechenden Ländern. Auch für ehemalige Kindersoldaten ist die Flucht oftmals die einzige Hoffnung auf ein besseres Leben. Denn wem der Ausstieg aus der Armee gelingt, für den ist der Horror noch nicht zwangsläufig vorbei. In Somalia beispielsweise werden Aussteiger sowohl von gegnerischen als auch von ihren eigenen ehemaligen Gruppen mit dem Tod bedroht oder ermordet. Das Bundesamt für Migration verweigerte solchen Fällen mehrfach die Anerkennung als Flüchtling. Die Begründung: In Somalia sei jedes Kind von der Rekrutierung zum Kindersoldat bedroht und es handele sich deshalb um keine individuelle Verfolgung, die man in Deutschland für den Asylerhalt vorweisen muss. Die besonders hohe Bedrohungslage der Kinder wird ihnen also zum Nachteil ausgelegt.8) epo: Schattenbericht Kindersoldaten: Deutsche Bilanz fällt „katastrophal“ aus; Artikel vom 28.11.2019
Fußnoten und Quellen:
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